Ausgerechnet die ärmsten Staaten an der sogenannten „Balkanroute“ hatten sich nach der Machtübernahme der Taliban im August als erste bereit erklärt, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen: In Albanien, Kosovo und Nordmazedonien sollten Afghanen, die im Dienst der US-Armee oder amerikanischer Hilfsorganisationen gestanden hatten, vor ihrer endgültigen Übersiedlung in die USA die Bearbeitung ihrer Einreiseanträge abwarten.
Doch die meisten der Transitflüchtlinge hängen vier Monate später noch immer in ihren Zwangsgastländern auf dem Westbalkan fest. Die Zahl der vorübergehend aufgenommenen Afghanen beginne nur „langsam zu schwinden“, berichtete in dieser Woche die Agentur „Balkan Insight“. So seien von den 2.400 in Albanien aufgenommenen Afghanen erst 150 weitergereist. Von den 407 Flüchtlingen, die Nordmazedonien aufnahm, hätten erst 76 das Land verlassen. Von den knapp 1.000 Afghanen, die in Kosovo Aufnahme fanden, soll ein Drittel nach Kanada und in die USA ausgeflogen worden sein.
Merklich schlechter ist die Lage für die Flüchtlinge aus Afghanistan, die sich als illegale Grenzgänger über die Balkanroute auf eigene Faust in Richtung Westen durchzuschlagen versuchen: Laut einem in diesem Monat veröffentlichten Rapport der „Initiative zum Schutz der Rechte an den Grenzen“ (PRAB) werden Afghanen weiter besonders häufig zum Opfer illegaler Abdrängungen („pushback“) und Abschiebungen durch die Grenzpolizei an der Balkanroute: 32 Prozent der 6.336 meist mehrfach abgedrängter Flüchtlinge, die PRAB von Juli bis November dieses Jahres erfasst und gesprochen hat, waren Afghanen.
„Ketten-pushback“
Über dreiviertel der dokumentierten Fälle betrafen Flüchtlinge, die von der kroatischen Polizei über die grüne Grenze nach Bosnien abgeschoben wurden. Vermehrte Fälle des illegalen „pushback“, das oft mit Misshandlungen und der Konfizierung der Besitztümer einher geht, konstatierte PRAB auch im rumänisch-serbischen und ungarisch-serbischen Grenzgebiet. Das „Ketten-pushback“, mit dessen Hilfe aufgegriffene Migranten über mehrere Grenzen hinweg in Staaten verfrachtet und abgeladen werden, in denen sie sich manchmal nie aufgehalten hatten, findet nicht nur von Slowenien über Kroatien nach Bosnien, sondern auch von Österreich über Ungarn nach Serbien statt.
Jeder zweite der 4.600 Flüchtlinge, die sich derzeit in Serbiens Auffangzentren aufhalten, ist Afghane. Gut die Hälfte von ihnen hat sich erst nach der Machtübernahme der Taliban auf den Weg nach Westen gemacht. Eine vermehrte Zahl von afghanischen Flüchtlingen auf der Balkanroute ist seit der Machtergreifung der Taliban laut der PRAB-Studie bisher nicht auszumachen: „Diejenigen, die aus Afghanistan zu fliehen versuchen, sehen sich mit vielfachen Hindernissen konfrontiert – von den geschlossenen Grenzen in Iran und der Türkei bis hin zu den pushbacks an der griechisch-türkischen Grenze.“
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