Postwendend zurückgewiesen hat Wien am Sonntag eine mit Zweifeln an der Neutralität verknüpfte Kritik Moskaus an der unmissverständlichen Verurteilung des russischen Ukraine-Feldzuges durch die Bundesregierung. In ungewöhnlich scharfer Form hatte das russische Außenministerium am Vortag Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) „einseitige und empörende Aussagen“ vorgeworfen. Nehammer habe der Führung Russlands die Entfesselung eines Kriegs, die Verletzung des internationalen humanitären Rechts und sogar Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Schallenberg wiederum habe die „absurde Anschuldigung“ erhoben, Russland hätte die gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur zerstört. Dadurch würden ernste Zweifel an der Qualität von Wiens „Neutralität“ aufkommen, die in letzter Zeit merklich erodiere, so das russische Außenamt. Man werde das in Zukunft berücksichtigen, schloss die Erklärung in warnendem Unterton.
Das Außenministerium in Wien replizierte mit einer Klarstellung, dass Österreich zwar „militärisch gesehen ein neutraler Staat“ sei, aber „politisch niemals neutral, wenn es um die Achtung des Völkerrechts geht“. Österreich sei „keineswegs neutral gegenüber Gewalt und wir werden nie schweigen, wenn die Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit eines Staates angegriffen wird“.
Lohn der Anbiederung
Die Klarstellung war wohl nötig, da der Kreml offenbar einer Fehlinterpretation der „immerwährenden Neutralität“ Österreichs anhängt. Dass es dazu kommen konnte, ist nicht nur Folge der sowjetischen Denkart, die mit Wladimir Putin wieder im Kreml vorherrscht und in den Jahrzehnten vor Glasnost und Perestroika nicht einmal einen Beitritt Österreichs zur damaligen EG realistisch erscheinen ließ.
Das russische Drängen auf eine neutralistische Positionierung Österreichs in der aktuellen Krise ist auch eine Konsequenz aus der Servilität, die Russland in den vergangenen Jahren entgegengebracht wurde — von Chancen witternden Wirtschaftsvertretern über den mit Putin befreundeten Ski-Altstar Karl Schranz bis hin zur FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl, die den Kreml-Chef 2018 zu ihrer Hochzeit eingeladen und vor ihm den durch die Weltpresse gegangenen Knicks gemacht hatte. Das vermittelte Moskau eine russophile Alpenrepublik mit Hang zum Neutralismus. Dem entspricht auch der Diskurs in sozialen Medien, wo nicht wenige Österreicher das Putin’sche Narrativ von der Bedrohung Russlands durch die NATO über- und eine äquidistante Position einnehmen. Das ist es, was viele Österreicher unter Neutralität verstehen: sich heraushalten, nur nicht Partei ergreifen.
Durchgeschwindelt
Angesichts des Ukraine-Krieges werden nun aber Zweifel laut, ob die Neutralität wirklich das sicherheitspolitische Ei des Kolumbus ist. Sie biete keinen Schutz, findet etwa Günter Höfler, ehemaliger Kommandant des Streitkräfteführungskommandos des Bundesheeres. „In der Geschichte hat sie ein Land noch nie vor einem Aggressor bewahrt“, so der pensionierte Generalleutnant, der sich ausdrücklich für einen NATO-Beitritt Österreichs ausspricht. Es gebe nur zwei Alternativen: „Eine starke bewaffnete Neutralität wie die Schweiz oder ein Beitritt zur NATO.“
Ein neutraler oder bündnisloser Staat bleibt allein, wenn er angegriffen wird. Niemand eilt ihm zu Hilfe. Das zeigt die Ukraine.
Von stark bewaffnet kann in Österreich freilich keine Rede sein. „Wir schwindeln uns immer nur durch“, sagt Höfler und spart nicht mit Vorwürfen an die Politik. Das Bundesheer habe Konflikte wie den gegenwärtigen in seinen strategischen Analysen immer als eine der möglichen Bedrohungen am Schirm gehabt, was aber „niemand ernst genommen“ habe. Das Militär sei mit einem Budget von 0,6 Prozent des BIP unterdotiert und „nicht in der Lage, einen konventionellen Angriff auf Österreich abzuwehren.“
Kanzler Nehammer hat zwar erst am Freitag eine Anhebung der Verteidigungsausgaben auf ein Prozent des BIP versprochen, doch ob der grüne Koalitionspartner dabei mitspielt, ist fraglich. Denn populär ist mehr Geld fürs Militär in Österreich nicht.
Opposition gegen NATO
Ein NATO-Beitritt würde zudem noch ein deutlich höheres Verteidigungsbudget bedeuten. Nichtsdestotrotz ist die Diskussion eröffnet. Auch Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) plädierte am Sonntag in einem Gastkommentar für die Kleine Zeitung dafür. „Ein neutraler oder bündnisloser Staat bleibt allein, wenn er angegriffen wird. Niemand eilt ihm zu Hilfe. Das zeigt die Ukraine“, so Khol. Auch Österreich müsse „zur Kenntnis nehmen: Die Neutralität schützt nicht mehr“. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner lehnte einen NATO-Beitritt umgehend ab und sprach sich ebenso wie die FPÖ für eine Beibehaltung der Neutralität aus.
Andreas Khol war in den 1980er Jahren, als mit Blick auf Moskau ein EG-Beitritt Österreichs noch ausgeschlossen schien, einer der ersten Politiker gewesen, die sich dennoch für eine Annäherung an die spätere EU engagiert hatten. Die aktuelle NATO-Diskussion dürfte allerdings eine akademische bleiben.
De Maart
Das Wort "Neutralität" bekommt doch nach dem Feldzug Putins eine ganz neue Bedeutung,oder? Jetzt wo man merkt wie schnell es gehen kann liebäugelt man mit der Nato. Dafür gibt es doch ein Wort. So wie die Schweiz,die eingeigelt inmitten lauter Natoländern,sich keine Sorgen machen muss,aber jederzeit mit der Neutralitätsfahne winken kann. Putin muss Trump wohl sehr vermissen,heuer.