Nach Schüssen bei Polizei-RazziaNeue Spannungen im Nordkosovo

Nach Schüssen bei Polizei-Razzia / Neue Spannungen im Nordkosovo
Polizisten gingen in Mitrovica gegen Schmuggler vor und stießen dabei mit ethnischen Serben zusammen Foto: dpa/Bojan Slavkovic

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der überwiegend serbisch besiedelte Norden des Kosovo kommt nicht zur Ruhe. Nach einer von Schüssen und Ausschreitungen überschatteten Polizei-Razzia hat Belgrad erstmals offen eine Militärintervention in dem von Belgrad nicht anerkannten Nachbarstaat angedroht. Die EU ist besorgt – und uneinig.

Den Schüssen und Schockbomben folgen heftige Vorwürfe – und dunkle Drohungen. Von einer an den Kosovo-Serben begangenen „Kristallnacht“ sprach nach einer am Mittwoch im Nordkosovo völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizei-Razzia aufgebracht Goran Rakic, der Chef der von Belgrad gesteuerten Minderheitenpartei der „Serbischen Liste“: „Sie feuerten auf Menschen mit bloßen Händen. Aber wir werden uns verteidigen – mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.“

Die Nerven liegen mal wieder blank beim Dauerstreit ums Amselfeld. Schon beim von der EU nur mühsam beschwichtigten Zank um die gegenseitige Anerkennung der Kfz-Kennzeichen hatten Belgrad und Pristina Ende September an Kosovos Nordgrenze schwer bewaffnete Sondereinsatzkräfte und Panzerfahrzeuge auffahren lassen. Nun ist es eine von blutigen Ausschreitungen überschattete Polizei-Aktion, die die Kosovo-Serben und Serbiens Regierung erneut auf die Barrikaden gehen lässt.

Schmugglergut beschlagnahmt

Beschlagnahmtes Schmugglergut im Wert von mehreren hunderttausenden Euro sowie acht Verhaftungen lautete die Bilanz einer landesweiten Polizei-Operation gegen Schmuggler-Netzwerke. Doch im überwiegend serbisch besiedelten Norden stieß diese auf Proteste – und erbitterten Widerstand. Die von „kriminellen Kreisen“ gesteuerten Demonstranten hätten die Einsatzkräfte mit „Granaten, Feuerwaffen und Schockbomben“ attackiert, klagte danach Kosovos Polizei-Chef Sabedin Mehmeti, der von zehn verletzten Polizisten sprach.

Wenn sie weiter auf unsere Leute schießen, haben wir keine Wahl. Wir werden die Ermordung unseres Volks nicht zulassen

Serbiens Staatschef Vucic droht mit einer Militärinvasion

Kosovos Polizei habe mit scharfer Munition auf Zivilisten geschossen und einen in der Brust getroffenen Demonstranten selbst lebensgefährlich verletzt, so der Vorwurf Belgrads. Vom einem „Pogrom“ sprach bei einem Truppenbesuch an der Grenze empört Staatschef Aleksander Vucic, der erstmals offen mit einer Militärinvasion drohte: „Wenn sie weiter auf unsere Leute schießen, haben wir keine Wahl. Wir werden die Ermordung unseres Volks nicht zulassen.“ Die internationale Gemeinschaft müsse „zwischen Krieg und Frieden in Kosovo“ entscheiden, forderte düster Serbiens Parlamentsvorsitzender Ivica Dacic.

Eine völlig andere Lesart hat Kosovos Regierung. Die internationale Schutztruppe KFOR sei über die seit einem Jahr vorbereitete Aktion unterrichtet gewesen, so Innenminister Xhelal Svecla. An der Operation, bei der vor allem albanische Tatverdächtige verhaftet wurden, seien nicht nur ein Staatsanwalt und ein Untersuchungsrichter der serbischen Minderheit, sondern auch serbische Polizisten beteiligt gewesen: „Die Operation ist nicht gegen eine Volksgruppe gerichtet, sondern gegen kriminelle Schmuggler.“

In „einer normalen Situation“ wäre eine derartige Polizeioperation ohne Proteste über die Bühne gegangen, glaubt der Belgrader Analyst Dusan Janjic. Doch die Serben in Nordkosovo seien von Belgrad in einen „Zustand geführt“ worden, in dem sie „alles als gegen sie gerichteten Angriff“ sehen würden: „Sie fordern selbst, dass Serbiens Armee nach Kosovo einmarschiert, um sie zu verteidigen.“

EU ist besorgt – und uneinig

Die EU reagierte in ersten Stellungnahmen besorgt – und uneinig. Eher hilflos forderte der EU-Außenbeauftragte Josep Borell ein „sofortiges Ende der Gewalt“: „Einseitige Aktionen“ seien inakzeptabel. Auf Widerspruch stieß er damit bei Viola von Cramon, der Kosovo-Berichterstatterin des Europaparlaments: „Die EU sollte die Staaten unterstützen, die gegen das Organisierte Verbrechen kämpfen.“

Kosovos Premier Albian Kurti erhöhe wegen der Lokalwahlen am Sonntag „bewusst die Spannungen“, vermutet hingegen die Belgrader Zeitung Blic. Tatsächlich sind die vermehrten Spannungen in Nordkosovo nicht nur mit Kosovos Kommunalwahlen, sondern auch mit Serbiens nahenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr zu erklären: Um sich als Schutzvater aller Serben in der Region zu profilieren und von den sich mehrenden Skandalen im eigenen Land abzulenken, segelt Dauerwahlkämpfer Vucic schon seit Wochen gegenüber den Nachbarn Bosnien, Kosovo, Kroatien und Montenegro auf verschärftem Konfrontationskurs.