GesellschaftNach dem Mord an einer 22-Jährigen protestieren Italiens Frauen gegen Gewalt

Gesellschaft / Nach dem Mord an einer 22-Jährigen protestieren Italiens Frauen gegen Gewalt
Demo vor der Uni: In Mailand haben sich die Anzeigen sexueller Gewalt im vergangenen Jahr verdoppelt Foto: AFP/Piero Cruciatti

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Die Gewalt gegen Italiens Frauen nimmt zu. Die Staatsanwaltschaften konstatieren immer mehr Taten in Partnerschaften. 55 Frauen wurden bislang in diesem Jahr ermordet. Gleichzeitig kürzt die Regierung Meloni die Unterstützung für Notrufzentralen um 70 Prozent.

Seit Tagen widmen sich die Hauptbeiträge in den italienischen Medien dem Mord an der 22-jährigen Giulia Cecchettin. Nach einem Streit in einem Einkaufszentrum nahe Venedig wurde die Studentin von ihrem Freund, Filippo Turetta, misshandelt und getötet. Die Leiche der jungen Frau fand die Polizei in einem Bergsee der Dolomiten. Turetta wurde schließlich in Deutschland auf der Autobahn A9 nahe Bad Dürrenberg verhaftet.

Die Tat ist leider kein Einzelfall in Italien. Wie die Staatsanwaltschaften landauf, landab erklären, mehren sich die Zahlen der Anzeigen. Allein in diesem Jahr sind bislang 55 Frauen von ihren Ehemännern oder Partnern getötet worden. Doch nicht nur die Taten, die bis zum Äußersten führen, alarmieren: In Mailand haben sich die Anzeigen sexueller Gewalt im vergangenen Jahr verdoppelt.

Doch mehr als die Hälfte der Staatsanwälte, die für eine Aufklärung und Ermittlung der Taten benötigt würden, fehlen, erklärt die Vizegeneralstaatsanwältin der lombardischen Metropole, Letizia Mannella. Sie habe lediglich acht Staatsanwälte zur Verfügung, erklärt die Chefermittlerin in Sachen Gewalt gegen Frauen. In den ersten acht Monaten habe es 1.000 Anzeigen häuslicher und sexueller Gewalt gegen Frauen gegeben, mehr als das Doppelte des Vorjahreszeitraums. Die Dunkelziffer, so die Juristen, dürfte deutlich höher liegen. Immerhin, so Mannella, habe sich die Zahl der vor Gericht laufenden Verfahren von 20 auf 53 erhöht. Dies sei ein gutes Signal an die Frauen, Vertrauen in den Rechtsapparat zu haben, betont die Staatsanwältin.

Allerdings dauerten die Verfahren viel zu lange und es würde nach wie vor von den Strafverteidigern versucht, die Taten herunterzuspielen und die Frauen mitverantwortlich für die Gewalt zu machen, so der Mailänder Gerichtspräsident Fabio Roia. Wie dies funktioniert, bestätigt auch ein Post des Rechtsanwalts Emanuele Compagno. Auf X, vormals Twitter, äußert sich der Verteidiger Filippo Turettas abwertend: „Das Phänomen falscher Anzeigen wegen sexueller Gewalt, Vergewaltigungen und Stalking steigt“ und „Die Frauen sind doch selber schuld, wenn sie sich anziehen wie N….“. Abwertende Kommentare einer patriarchalischen Gesellschaft.

Gewalt und wirtschaftlicher Druck

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zufolge geben 49 Prozent der befragten Frauen an, von ihrem Partner ökonomisch abhängig zu sein. Fügten sie sich nicht dessen Forderungen, würden ihre Konten gesperrt oder Haushaltsgeld entzogen. Vor allem im wirtschaftlich prekären Süden des Landes mehrt sich diese Zahl.

Noch dramatischer sehen die Zahlen bei Geschiedenen aus. Hier geben 67 Prozent der Frauen an, dass sie von ihrem Ex-Partner keine finanzielle Unterstützung für sich und ihre Kinder erhalten. Martina Albini, Koordinatorin eines Studienzentrums von WeWorld, erklärte gegenüber der Tageszeitung Ilfattoquotidiano, die „Kontrolle der materiellen Ressourcen der Frauen ist ein Druckmittel, um deren Autonomie einzuschränken. Es handelt sich um Missbrauch, der physischem und psychischem gleichzusetzen ist.“

Wenn es kein entschiedenes Eingreifen der Politik gibt, wird sich an der Lage der Frauen in absehbarer Zeit nichts ändern, befürchten Frauenrechtler. Zwar gebe es verbale Verurteilungen der Gewalt gegen Frauen, wie wiederholt in Aussagen des Staatspräsidenten Sergio Mattarella, doch sieht die praktische Politik anders aus.

Anfang der Woche demonstrierten Tausende auf den Straßen und Plätzen von Bologna gegen die Gewalt gegen Frauen. Die Kundgebung, die ihre Solidarität mit Giulia Cecchettin und anderen Opfern ausdrückte, protestierte auch gegen die Entscheidung der Regierung Giorgia Melonis, die Mittel für Frauenhäuser und Notrufzentralen um 70 Prozent zu kürzen. Dies, so die Demonstranten, sei in Zeiten steigender Gewalt genau das falsche Zeichen.