Es fehlen noch ein paar Minuten bis Sitzungsbeginn, da steuert die Kanzlerin betont gelassen auf die Regierungsbank zu. Tags zuvor kam dieser Weg für Merkel noch dem berühmten Gang nach Canossa gleich. Ihre öffentliche Bitte um Verzeihung wegen des verunglückten Oster-Shutdowns hatte für Riesen-Wirbel auch unter den Parlamentariern gesorgt.
Von dieser Aufregung ist jetzt nur noch wenig zu spüren. Merkels Rede wird kaum durch Zwischenrufe gestört. Formal betrachtet soll es in der Regierungserklärung um den noch am gleichen Tag beginnenden Video-Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs gehen. Aber die FDP hat per Antrag Druck gemacht, dabei auch das Thema Corona zu behandeln. Eigentlich war das überflüssig. Denn nicht nur in Deutschland, sondern auch im großen Rest Europas jagt ein Lockdown den anderen, geht es mit dem Impfen mehr schlecht als recht voran.
Merkel spannt dann auch einen großen Bogen von Brüssel nach Berlin. Sie verteidigt noch einmal ihre Maxime, auf eine gemeinsame Beschaffung von Impfstoff durch die EU gesetzt zu haben, räumt aber auch europäische und nationale Schwachstellen beim Corona-Management ein. Und gelegentlich wird sie emotional. Angesichts der wieder rasant steigenden Neuinfektions-Zahlen würden sich viele Menschen fragen, ob alle Einschränkungen umsonst gewesen seien, ob das immer so weitergehe. Merkels Antwort: „Man kann auch nichts erreichen, wenn man immer nur das Negative sieht.“ Bei den Impfungen sei „Licht am Ende des Tunnels“ erkennbar, auch Tests seien ausreichend bestellt. Und dann preist Merkel die Beispiele Tübingen und Rostock, wo die Inzidenzen durch behördliche Kreativität vergleichsweise niedrig sind. Es sei keinem Bürgermeister oder Landrat verwehrt, das Gleiche zu tun, sagt Merkel.
Wahlkampfmodus
Geht das wirklich so einfach? FDP-Chef Christian Lindner verweist darauf, dass Landesbehörden kreative Lösungen vor Ort auch ausbremsen würden. Überhaupt müsse sich an den Entscheidungsverfahren grundlegend etwas ändern. „Freiheitseingriffe sollte es nur dort geben, wo sie wirklich notwendig sind“, mahnt Lindner. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland beklagt, dass die Regierungen von Bund und Ländern weit weg von der Stimmung in der Bevölkerung seien. Auch sei „die EU unfähig, Impfstoff zu beschaffen“. Deutschland first, lautet Gaulands Botschaft. Mit dieser Haltung steht seine Partei freilich allein auf weiter Flur. Auch Amira Mohamed Ali verteidigt den europäischen Gedanken bei der Impfstoffbeschaffung. „Aber das Ergebnis war katastrophal“, setzt die Fraktionschefin der Linken hinzu. Unter allen Rednern fährt sie die größten verbale Geschütze gegen Merkels Corona-Politik auf. Von einem „Trümmerhaufen“ ist die Rede, von „Chaos“ und „Realsatire“.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich scheint ebenfalls im Wahlkampfmodus zu stecken, wenn auch etwas freundlicher verpackt. Er hätte sich von der Kanzlerin „mehr Mut“ bei der Einbeziehung von Unternehmen in die Teststrategie gewünscht. Der jüngste Bund-Länder-Beschluss erhält dazu in der Tat wenig Verbindliches. Wahr ist aber auch, dass die Ministerpräsidenten mit SPD-Parteibuch genauso ihren Segen dazu gegeben hatten. Schließlich folgt noch ein kleiner Seitenhieb gegen Gesundheitsminister Jens Spahn. Der hatte mal gesagt, dass man wegen der Corona-Maßnahmen „einander viel verzeihen“ müsse. Merkel hat sich entschuldigt. Andere kündigten es nur an, stichelt Mützenich.
Derweil schwatzt Merkel mit Spahn auf der Regierungsbank besonders auffällig und ausführlich.
De Maart
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