Kujtim F. (Fejzulai) kommt aus einer „vollkommen normalen Familie“, sagt der Anwalt, der den Montagabend nach einem blutigen Terrorlauf durch die Wiener Innenstadt erschossenen Dschihadisten schon einmal vor Gericht vertreten hat. Im April vergangenen Jahres war der 20-Jährige zu 22 Monaten Haft verurteilt worden, weil er nach Syrien auszureisen versucht hatte, um sich dort dem „Islamischen Staat“ (IS) anzuschließen. Die Mutter hatte ihn als vermisst gemeldet.
In der Türkei war der aus Nordmazedonien stammende Österreicher aufgegriffen und zurückgeschickt worden. Schon nach sieben Monaten Haft kam Kujtim aber frei, da auf ihn die günstigen Bestimmungen des Jugendstrafrechtes anzuwenden waren. Er blieb aber nicht sich selbst überlassen, sondern wurde vom Verein Derad (Deradikalisierung) betreut, einer NGO, die mit sogenannten Interventionsgesprächen bei fanatisierten Häftlingen eine Abkehr vom radikal-islamistischen Gedankengut bewirken will.
Offenbar ebenso wenig erfolgreich wie im Fall Lorenz K., der im vergangenen August aus dem Gefängnis heraus für Terror-Alarm gesorgt hatte: Der ebenfalls von Derad betreute 21-Jährige sitzt seit 2018 neun Jahre Haft ab, weil er einen Zwölfjährigen in Ludwigshafen zu einem Selbstmordanschlag auf einen Weihnachtsmarkt anzustiften versucht hatte. Via Smartphone machte der junge Mann von der Zelle aus IS-Propaganda.
Propaganda à la IS
Lange, bevor der IS nach der Ausrufung des „Kalifats“ in Syrien und im Irak 2014 in aller Munde kam, war Österreich eine Hochburg islamischer Extremisten. Selbst die moderne IS-Kommunikation via Internet hatte ein Österreicher vorweggenommen. 2007 hatte sich Mohamed M. (Mahmoud) als führendes Mitglied einer „Global Islamic Media Front“ geoutet, die im Internet Drohvideos gegen die österreichische und die deutsche Bundesregierung verbreitet hatte.
Wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung saß der Sohn eines aus Ägypten geflüchteten Muslimbruders vier Jahre im Gefängnis, ehe er 2011 nach Deutschland übersiedelte, um die Salafisten-Gruppe „Millatu Ibrahim“ zu gründen. Seiner Ausweisung kam er mit der Ausreise nach Ägypten zuvor. 2014 tauchte er im syrischen Rakka aktiv auf und ließ sich für ein IS-Propagandavideo bei der Ermordung eines Opfers filmen. Er gilt inzwischen als tot.
Nicht tot ist die islamistische Ideologie. Mehrere Studien haben sich mit diesem Phänomen in Österreich beschäftigt. Sie alle legen nahe, dass junge Männer oder auch Frauen für Islamismus empfänglich sind. Kujtim F., sagt sein Anwalt, habe „das Pech gehabt, an die falschen Freunde zu geraten. Wäre er nicht in eine Moschee, sondern zum Boxen gegangen, wäre er Boxer geworden“. Moscheen, in denen Islamisten ihr Denken an junge Leute vermitteln, gibt es in Wien, auch wenn diese nicht immer einfach als solche zu identifizieren sind. Schon 2015 hatte eine Studie des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung Österreich als Mekka der Islami-Fundis entlarvt.
Wie viele Zeitbomben?
Für die Studie wurden Umfragen unter 9.000 Muslimen und Christen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien, Schweden und den Niederlanden ausgewertet. Mehr als die Hälfte der jungen Muslime in Österreich, mehr als in jedem anderen der untersuchten Länder, stimmte der Aussage „Die Gebote der Bibel/des Koran sind für mich wichtiger als die Gesetze meines Landes“ zu. Zum Vergleich: Nur vier Prozent der christlichen Jugendlichen teilten diese Ansicht.
Angesichts der tief verwurzelten islamistischen Ideologie ist auch die im vergangenen Sommer gezogene Bilanz der Sicherheitsbehörden nicht verwunderlich: 331 „Foreign Terrorist Fighters“ mit Österreich-Bezug sind demnach bekannt. Es handelt sich um Männer und Frauen, die nach Syrien gereist sind oder reisen wollten, um für den IS zu kämpfen oder im ersehnten Kalifat zu leben.
Viele wie Mahmoud M. sind inzwischen tot. Einige wurden abgefangen oder nach ihrer Rückkehr verurteilt. Andere sind untergetaucht. Es ist also eher wahrscheinlich, dass Kujtim F. nicht die einzige Zeitbombe war.
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