ÖsterreichMega-Inflation und Rezession bedeuten beispiellos harte Gehaltsverhandlungen

Österreich / Mega-Inflation und Rezession bedeuten beispiellos harte Gehaltsverhandlungen
Der neue SPÖ-Chef Andreas Babler stellt sich hinter die Forderungen der Gewerkschaften Foto: APA/AFP/Georg Hochhuth

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Österreich steht wegen der weit über EU-Niveau liegenden Inflation und einer beginnenden Rezession vor einem heißen Herbst. Die Gewerkschaften fordern ihren größeren Anteil am schrumpfenden Kuchen.

In der Metallindustrie startete am Montag die für alle anderen Branchen richtungsweisende Lohnrunde mit dem erwarteten Hammer: Die Gewerkschaft fordert für die 120.000 in diesem Sektor Beschäftigten 11,6 Prozent mehr Lohn. Gemessen an der Inflationsrate ist dieser Einstiegswert aber gar nicht extrem: Er liegt nur zwei Punkte über der durchschnittlichen Teuerungsrate der vergangenen zwölf Monate. Jetzt rächt sich, dass die türkis-grüne Bundesregierung die Inflation viel schlechter in den Griff bekommen hat als die meisten EU-Staaten. Im August war die Rate sogar wieder von sieben auf 7,4 Prozent gestiegen, während sie in der Euro-Zone zumindest leicht um 0,1 auf 5,2 Prozent zurückgegangen war. Nur in der Slowakei und Kroatien ist der Preisanstieg noch dramatischer.

Die Ursachen dafür sehen Experten des Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo) nicht nur in äußeren Faktoren wie dem Ukraine-Krieg oder der lange (zu) lockeren Zinspolitik der EZB. Anders als Deutschland, Italien oder Spanien verzichtete Österreich auf Senkungen der Mehrwertsteuer und setzte populistisch auf breit gestreute, zudem sozial wenig treffsichere Ausgleichszahlungen an die Bürger. Das befeuerte die Inflation ebenso wie die Neigung der Tourismuswirtschaft, die nach der Pandemie gestiegene Akzeptanz höherer Preise voll auszukosten. So führt die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) ein Viertel des Verbraucherpreisanstieges im Jahr 2022 auf die hohen Gewinne in Gastronomie und Hotellerie zurück. Nachdem die Unternehmensgewinne im ersten Quartal 2023 sogar ursächlich für 40 Prozent der Inflation waren, wendet sich das Blatt inzwischen: Seit dem Frühjahr sind die im Vorjahr um mehr als sieben Prozent gestiegenen Löhne Hauptinflationstreiber.

Trübe Aussichten

Diese Entwicklung illustriert das Dilemma der Metaller-Verhandlungen: Ein heuer noch höherer Abschluss kann zwar gut mit vergangenen Gewinnen gerechtfertigt werden, wird aber für so manches Unternehmen in der Branche das Ende bedeuten. Denn die Sozialpartnerfolklore, die Arbeitgeber Gehaltsforderungen mit dem Hinweis auf eine triste Zukunft zurückweisen lässt, hat dieses Mal eine sehr reale Basis. Es schaut tatsächlich nicht gut aus. Die hohe Inflation beeinträchtigt den Standort Österreichs im Wettbewerb mit dem Rest der Welt, wo die vielerorts wesentlich geringere Teuerung auch eine weniger ausgeprägte Lohndynamik bedeutet.
Die Zahlen malen schon jetzt eine düstere Zukunft: Die Metallindustrie verbuchte im ersten Halbjahr einen Rückgang von 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Auftragseingänge schrumpften um 18 Prozent. Österreichs Industrie befindet sich bereits in einer Rezession.

Für die Gewerkschaft ist dies freilich kein Grund zur Zurückhaltung. Denn im Alltag schlägt die Inflation oft noch viel härter zu: So verweist der ÖGB auf eine Verdreifachung des Gaspreises binnen zwei Jahren, eine Verdoppelung der Fernwärmetarife und eine 50-Prozent-Steigerung bei Brennholz und Heizöl. Die Regierung hält mit Übergewinnsteuern für Energiekonzerne dagegen, was aber mehr dem Finanzminister als den preisgeplagten Kunden nützt.

Auch die Mieten sind deutlich stärker gestiegen als die Gesamtinflation. Die Gewerkschaft sieht die Verantwortung dafür bei der Bundesregierung, die im Kampf gegen die Teuerung versagt habe. Schützenhilfe erhält sie dabei von der SPÖ, deren neuer Chef Andreas Babler sich demonstrativ hinter die Gewerkschafter stellt und der Regierung „unterlassene Hilfeleistung“ vorwirft. Metaller-Chefverhandler Reinhold Binder bereitete die Arbeitgeber „auf harte Verhandlungen“ vor. Man schrecke „nicht vor Kampfmaßnahmen zurück“. Die Streikbereitschaft unter den Mitgliedern ist angesichts weiter steigender, die letzte Lohnerhöhung längst neutralisiert habender Preise entsprechend hoch.

Wider die Profitgier

Ein Einigungspotenzial liegt im nicht-pekuniären Bereich: Neben mehr Lohn wollen die Gewerkschaften auch eine sechste Urlaubswoche, die es derzeit erst nach 25 Jahren Betriebszugehörigkeit gibt, sowie die Möglichkeit, Einkommen gegen Freizeit zu tauschen. Kein Zweifel besteht aber in der Grundforderung: Ein Gehaltsplus unter der Inflationsrate wird es mit der Gewerkschaft nicht geben. Binder verweist auf „die Profitgier“ der Gegenseite: Angesichts hoher Gewinne und Ausschüttungen an die Eigentümer müssten „nun die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch ihren Anteil bekommen“. Sollte die Arbeitgeberseite das nicht respektieren, „dann werden Kampfmaßnahmen eingeleitet“.

Damit droht der österreichischen Streikstatistik ein „Inflationsschub“. Traditionell können in der konsensorientierten Alpenrepublik Arbeitsniederlegungen in Minuten gemessen werden. 2022 etwa wurden pro Arbeitnehmer 1,8 Streikminuten gezählt – und das bedeutete bereits ein Vielfaches der Werte im vergangenen Jahrzehnt, als jährliche Streikminuten von null bis 0,5 gemessen wurden. Jetzt stehen die Zeichen auf Sturm – auch weil die schon von Vorwahlkampfeifer getriebene Politik wenig Kalmierendes beiträgt.