Seit Mitte vergangener Woche dauert der jüngste Angriff des Regimes von Alexander Lukaschenko auf letzte unabhängige Medienschaffende, aber auch Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Menschenrechtsbüros in Weißrussland. Der angeblich vor elf Monaten zum sechsten Mal als Staatspräsident bestätigte Autokrat hatte zuvor zuletzt mehrmals betont, dass von den unabhängigen Medien eine große Gefahr für das Land ausgeht.
Dass sich die neue Repressionswelle am Freitag auch auf das vom US-Kongress finanzierte Radio Swoboda, den weißrussischen Dienst von Radio Free Europe (RFE), ausdehnte, stellt indes eine weitere Steigerung dar. Es dauerte nur wenige Stunden, bis häufig zitierte Experten des Radios das Land fluchtartig verließen. Darunter befindet sich der Doyen der weißrussischen Politologen, Walery Karbalewitsch. In Minsk wurden gleich mehrere Korrespondenten von Radio Swoboda nach Hausdurchsuchungen in ihren Privatwohnungen festgenommen.
Eine Bürodurchsuchung wegen angeblicher „Störung der öffentlichen Ordnung“ gab es am Freitag auch bei der Weißrussischen Journalistenvereinigung (BAJ), die insgesamt 32 Medienvertreter in U-Haft oder Arbeitslagern betreut. Auch das Minsker Büro des von Polen finanzierten Satellitenfernsehens „Belsat“ wurde durchsucht. Den vom Ausland finanzierten Redaktionen wird laut Angaben der Strafuntersuchungsorgane Steuerhinterziehung sowie die Finanzierung von Protesten vorgeworfen.
Beide Einrichtungen senden einstweilen weiter, denn sie können auf ein großes Netz von Korrespondenten und Hardware in Warschau und Prag zurückgreifen. Verschwunden sind indes die einflussreichen unabhängigen Onlineportale tut.by und Nascha Niwa. Die weißrussischsprachige Zeitung Nascha Niwa, die am Ende nur noch online erschien, war in der Vorwoche durchsucht und danach im Internet gesperrt worden. Mehrere Mitarbeiter wurden festgenommen.
Als unabhängige Informationsquellen im Internet blieben damit noch ein paar Telegram-Kanäle. Doch auch diesen schnürt Lukaschenko immer mehr die Luft ab. Erst am Wochenende veröffentlichte das Innenministerium die an eine gefährliche Anti-Terror-Operation gemahnende Festnahme eines Informanten mehrerer Telegramkanäle, der sich angeblich sofort reuig und geständig zeigte. Die Aufnahmen erinnerten an jene des im Mai aus dem Ryanair-Flugzeug entführten Bloggers Roman Protassewitsch, der vor Jahresfrist noch Chefredakteur des vom Regime gefürchteten Telegramkanals Nechta war, heute aber vom Regime immer wieder öffentlich als geläuterter ehemaliger Oppositioneller vorgeführt wird. Selbst das karierte Holzfällerhemd sieht sehr ähnlich aus.
Repressionswelle als Rache für westliche Sanktionen
Die neue Repressionswelle gewann seit Mitte der Woche an Fahrt. Alleine am Mittwoch wurden im ganzen Land mindestens 19 Büros von NGOs durchsucht, darunter die beiden wichtigsten Menschenrechtsorganisationen Wiasna und Helsinki-Komitee. Fast ein Dutzend Menschenrechtler wurde festgenommen. Bei Wiasna wurde mit Ales Bialetski und Valentin Stefanowitsch sowie dem Anwalt Uladzimir Labkowitsch und dessen Ehefrau Nina gleich die ganze Bürospitze von den Sicherheitskräften abgeführt. Während am Samstag einige Menschenrechtler und Gewerkschaftsaktivisten nach 72 Stunden wieder freigelassen wurden, wurden die vier in strengere Untersuchungshaft überführt. Bialetski hatte bereits 2011-14 wegen angeblicher Steuerhinterziehung als Wiasna-Vorsitzender im Arbeitslager verbracht. Vor Jahresfrist trat er dem inzwischen verbotenen „Koordinationsrat“ von Swetlana Tichanowskaja bei, dem Lukaschenko die Vorbereitung eines Umsturzes vorwirft.
Manche politischen Beobachter sehen die neue Repressionswelle als Rache für die westlichen Sanktionen gegen das Regime Lukaschenko. Außenminister Uladzimir Makei hatte im April damit gedroht, die vom Westen unterstützte Zivilgesellschaft anzugreifen, falls es zu neuen Sanktionen komme.
Um mehr Unterstützung für die letzten unabhängigen Strukturen in Weißrussland wirbt ab Sonntag in den USA die mutmaßliche Siegerin der gefälschten Präsidentenwahlen vom 9. August 2020, Swetlana Tichanowskaja. Diese Woche will sie in Washington auch Vertreter des Weißen Hauses treffen. In Minsk marschierten derweil auch am Sonntag letzte kleine Gruppen unerschrockener Weißrussinnen in weiß-rot-weißen Regenschirmen durch die Stadt. Die Farbkombination gilt als Zeichen des politischen Widerstands und kann zu oft brutalen Festnahmen führen.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können