Pater Arturs Botschaft am polnischen Wahlsonntag ist subtil: „Folgt an diesem besonderen Sonntag dem Willen von Jesus Christus“, gibt der Vorsteher der Posener Boromäus-Kirche den Gläubigen mit auf den Weg in den sonnigen Herbsttag. Man kann dies als verklausulierte Wahlwerbung für die wertkonservative Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) verstehen, muss es aber nicht. Fast die Hälfte der fast 200 Messbesucher schlendert sodann ins nahe Wahllokal.
Das Gedränge vor den Wahllokalen 69, 70 und 71, die allesamt in einer IT-Berufsschule etwas außerhalb der Altstadt eingerichtet wurden, ist beachtlich. Auffallend viele Jungbürger stehen in den Schlangen. Nach bis zu halbstündiger Wartezeit im Wahllokal angekommen, nimmt nur etwa jeder Zehnte neben den beiden Wahlzetteln für Sejm und Senat, Polens zwei Parlamentskammern, auch den Stimmzettel für das von PiS organisierte Referendum über Migration, Rentenalter und Privatisierung entgegen. Wegen der xenophoben Suggestiv-Fragen hat die Opposition zum Boykott dieses Referendums im Stil von Viktor Orban aufgerufen. In der liberalen Wirtschaftsmetropole Poznan (Posen) erscheint diese Taktik von Erfolg gekrönt.
Unbeliebtes Referendum
„Am Referendum habe ich nicht teilgenommen“, erklärt die 80-jährige Frau Halina lachend beim Verlassen des Wahllokals Nummer 69. „Dazu habe ich für die richtige Partei gestimmt, nämlich jene von Donald Tusk“, sagt die resolute Dame. Ihre Tochter Ewa stimmt der Mutter zu. Die Opposition, bestehend aus Tusks Bürgerplattform (PO), dem zentralistischen Bündnis „Dritter Weg“ und der „Neuen Linken“, müsse siegen, damit Polen weiterhin in der EU und eine Demokratie bleibe, meint sie.
In der Tat haben radikale PiS-Politiker bereits zum Pol-Exit, Polens EU-Austritt, aufgerufen. Doch bilden sie eine Minderheit. Polen indes hat sich als Demokratie in den vergangenen acht Jahren auch innerhalb der EU rasant verändert. Seit der demokratischen Wende von 1989 hat keine Partei den polnischen Staat, die Justiz und die Medien so sehr umgekrempelt wie Jaroslaw Kaczynskis PiS. Wegen der umstrittenen Justizreform hat sich Warschau gleich mehrere EU-Mitgliedsvertrag-Verletzungsverfahren eingehandelt. Auch sind aktuell gut 35 Milliarden Euro aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds blockiert. Der Streit hat nur die EU-Skepsis vieler PiS-Anhänger befeuert, die die Ausweitung von Brüsseler Kompetenzen als Gefahr für Polens Souveränität sehen.
Glaubt man der Opposition, so steuert Polen inzwischen geradewegs auf eine Verfassungskrise zu. Denn Kaczynski hat das Funktionieren des Verfassungsgerichtes, die Ausbildung von Richtern, Bezirksgerichte und auch das Oberste Gericht ganz den Bedürfnissen seiner Partei angepasst. Letzteres muss nun im Verlauf der kommenden Woche die Wahlergebnisse anerkennen. Und diese wiederum könnten PiS missfallen. Am Sonntagmittag zeichnete sich nämlich eine sehr hohe Wahlbeteiligung ab. Vor allem in den elf liberal oder links regierten Großstädten gingen deutlich mehr Bürger an die Urnen als vor vier Jahren. 2019 indes hatte sich gezeigt, dass Donald Tusks liberale Bürgerplattform vor allem an der niedrigen Wahlbeteiligung scheiterte.
Weltanschaulich hat Kaczynski Polen eine konservative Revolution verordnet. Ein Verfassungsgerichtsurteil schränkte Ende 2020 das eh schon rigide Abtreibungsrecht massiv ein. PiS-freundliche Übernahmen erfolgten zuhauf in Museen, Theatern und anderen Kultureinrichtungen.
Indes gibt es auch viele Gewinner der PiS-Herrschaft. So hatte die Kaczynski-Partei das Rentenalter für Frauen von 65 auf 60 Jahre gesenkt und ab 2016 erstmals ein monatliches Kindergeld von rund 170 Euro ausbezahlen lassen. Dieses erlaubt vielen ärmeren Familien, zumindest im Inland einmal im Jahr Ferien zu machen.
Einige Sorgen bleiben
Diese Familienunterstützung will kaum jemand in der Schlange vor dem Wahllokal Nr. 69 kritisieren. Auch scheint die Wahl selbst gut organisiert. „Ich stellte bisher keine Unregelmäßigkeiten fest, die Wahlkommission ist hilfsbereit, die Stimmung gut“, berichtet Mariola Trzewiczak vom „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD), die von der Zentralen Wahlkommission als Wahlbeobachterin akkreditiert wurde. Trzewiczak sorgt sich jedoch um die paar Tage nach der Wahl, sollte das Resultat nicht im Sinne von Jaroslaw Kaczynski ausfallen.
Die Bürgeraktivistin berichtet von möglichen Vorbereitungen der PiS-Regierung auf einen Ausnahmezustand. „Meine elektronische Unterschriftsmöglichkeit (poln: Profil Zaufany) wurde urplötzlich von Amts wegen geändert, das ist alles sehr seltsam“, klagt sie. Die Demokratie-Aktivistin ist sich nicht sicher, ob die Wahlresultate richtig in die Zentrale weiter geleitet werden. „Wir dürfen die Stimmenauszählung, nicht jedoch die Resultateübermittlung beobachten“, sagt sie. Dazu werde das Referendum die Auszählung der Stimmen enorm verlangsamen.
De Maart
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