KriegsverbrechenKosovo schlittert nach Anklagen gegen frühere UCK-Kommandaten noch tiefer in die Krise

Kriegsverbrechen / Kosovo schlittert nach Anklagen gegen frühere UCK-Kommandaten noch tiefer in die Krise
Der ehemalige kosovarische Präsident Hashim Thaci und sein Anwalt David Hooper (l.) am Montag vor Gericht in Den Haag Foto: AFP/various sources/Jerry Lampen

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Nach der Eröffnung der Kriegsverbrecher-Prozesse gegen Kosovos Dauerregent Hashim Thaci und die frühere UCK-Führung droht der Staatsneuling in die schwerste Krise seiner 12-jährigen Geschichte zu schlittern. Neuwahlen und die erneute Unterbrechung des Dialogs mit Serbien zeichnen sich ab.

Den vertrauten Amtssessel hat Kosovos gestrauchelter Dauerregent Hashim Thaci mit der Anklagebank vertauscht. Mit sichtlichem Unwillen ließ der am vergangenen Donnerstag abgetretene Ex-Präsident bei seinem erstmaligen Erscheinen vor dem Kosovo-Sondergerichtshof in Den Haag zu Wochenbeginn die Verlesung der Anklageschrift über sich ergehen.

Die Anklage entbehre „jeglicher Grundlage“, wies der frühere Kommandant der Befreiungsarmee UCK den Vorwurf der Verantwortung für Kriegsverbrechen wie Mord, Verfolgung und Folter während des Kosovokriegs 1999 zurück: „Ich erkläre mich in jedem Punkt für unschuldig.“ Während sich der 52-Jährige bei seiner Angeklagten-Premiere über „schlechte“ albanische Übersetzer beklagte, spottete sein Verteidiger David Hooper über das Fehlen des Vorwurfs des Organhandels in der Anklageschrift: „Wo findet sich denn die Anklage wegen Organhandel, die so entscheidend für die Gründung dieses Gerichtshofs war?“

Hunderte serbischer Zivilisten, Roma, aber auch Albaner, die der Kollaboration mit der jugoslawischen Volksarmee verdächtigt wurden, sollen in UCK-Gefangenenlagern in Kosovo und Nordalbanien zu Opfern schwerer Kriegsverbrechen geworden sein. Bei ihrer Beweisführung gegen Thaci und andere frühere UCK-Kommandanten beschränkt sich die Anklage auf knapp hundert gut dokumentierte Fälle und hat den von dem Europarat-Berichterstatter Dick Marty 2010 erhobenen, aber nicht bewiesenen Vorwurf des angeblichen Handels mit Organen von UCK-Gefangenen wohl bewusst weggelassen: Nur mit hieb- und stichfesten Beweisen dürfte es gelingen, Thaci die Verantwortung für von UCK-Kämpfern begangene Kriegsverbrechen nachzuweisen.

Über die „Ungerechtigkeit“, die der UCK und ihrem „gerechtigfertigten Kampf für die Freiheit“ angetan werde, erregen sich in Kosovo nicht nur die Veteranenverbände. Es müsse eine internationale Plattform „zur Unterstützung unserer Leute“ vor Gericht und zur Erinnerung an den „sauberen Krieg der UCK“ geschaffen werden, fordert Isa Mustafa, der Chef der regierenden LDK.

Doch nicht nur wegen der von vielen Kosovaren abgelehnten Konfrontation mit den dunklen Seiten des bisher kaum hinterfragten Befreiungskriegs droht der Staatsneuling in die schwerste Krise seiner zwölfjährigen Geschichte zu schlittern. Die Eröffnung der ersten Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag verschärft die labile Lage in Kosovo.

Opposition drängt auf Neuwahlen

Mit Adullah Hoti (LDK) hat im Juni bereits der dritte Premier im laufenden Jahr die Regierungsgeschäfte übernommen. Das Ende seiner wackligen Minderheitskoalition dürfte nun noch schneller als erwartet in Sicht kommen: In Pristina zeichnen sich vorzeitige Neuwahlen und eine erneute Unterbrechung des Dialogs mit Serbien ab.

Geschäftsführend hat die Parlamentsvorsitzende Vojsa Osmani das Präsidentenamt übernommen: Innerhalb von sechs Monaten müsste sich das Parlament auf einen Nachfolger verständigen. Danach sieht es nicht aus. In der Opposition drängt die linksnationale Vetëvendosje (VV) von Ex-Premier Albin Kurti auf Neuwahlen und dürfte auch die Thaci nahestehende PDK eher auf einen Urnengang setzen. In der Regierung beansprucht AAK-Chef Ramush Haradinaj das Präsidentenamt für sich, während die LDK damit die PDK für einen Koalitionseintritt ködern will.

Seine eifrige Pendeldiplomatie zur Wiederbelebung des festgefahrenen Dialogs der unwilligen Nachbarn scheint der erst im Sommer ernannte EU-Sonderbeauftragte Miroslav Lajcak mindestens bis Frühjahr wieder einstellen zu können: Vor der Bildung einer neuen Regierung mit stabiler Mehrheit in Kosovo scheinen sinnvolle Verhandlungen über das von der EU geforderte Nachbarschaftsabkommen mit Serbien kaum möglich.