GroßbritannienKonservative Tories streiten um die Asylpolitik

Großbritannien / Konservative Tories streiten um die Asylpolitik
Premier Rishi Sunak steht mit seiner Migrationspolitik mit dem Rücken zur Wand Foto: James Manning/Pool/AFP

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Der Streit um die radikalsten Ideen in der Asylpolitik stürzt die konservative Regierung Großbritanniens in eine schwere Krise.

Ein neues „Notstandsgesetz“, das die Abschiebung illegaler Migranten nach Ruanda ermöglichen soll, nahm Innen-Staatssekretär Robert Jenrick als Anlass zum Rücktritt: Die vorgeschlagene Regelung gehe nicht weit genug, stelle vielmehr „den Triumph von Hoffnung über Erfahrung“ dar. Auf einer hastig einberufenen Pressekonferenz beschwor Premier Rishi Sunak am Donnerstag seine Fraktion, ihm den Rücken zu stärken: „Ich werde alles tun, was nötig ist.“

Nach dem Trauma der Chaos-Regierungen von Boris Johnson und Liz Truss hatte Sunaks Amtsantritt vor gut einem Jahr eine Art Burgfrieden in der tief zerstrittenen Tory-Fraktion zur Folge. Zunehmend aber scheint die schier hoffnungslose Lage in den Umfragen, wo die Torys um rund 20 Prozent hinter der oppositionellen Labour-Party liegen, eine erneute Radikalisierung voranzutreiben. Der harten Partei-Rechten gilt der pragmatisch und verbindlich auftretende Ex-Hedgefondsmanager Sunak als viel zu kompromissbereit.

Dabei lässt es das am Mittwoch vorgelegte „Notstandsgesetz“ an Deutlichkeit nicht fehlen. Es flankiert ein neues Abkommen mit Ruanda, das Innenminister James Cleverly am Dienstag in Kigali unterzeichnete. Die Briten wollen einen Teil ihres Asylverfahrens in das zentralafrikanische Land verlagern und damit Zehntausende überwiegend junger Männer abschrecken, die seit einigen Jahren in Schlauchbooten über den Ärmelkanal setzen und dabei Leib und Leben riskieren. Sie sollen ohne Rückkehrmöglichkeit nach Ruanda abgeschoben werden, wo über ihr Asylverfahren entschieden wird. Zum Ausgleich hat London dem umstrittenen Regime von Präsident Paul Kagame bisher mindestens 140 Millionen Pfund (162,5 Mio. Euro) bezahlt.

Der Vertrag sowie das neue Gesetz sollen Einwände des Londoner Supreme Court entkräften, der dem Ruanda-Plan eine Absage erteilt hat. Angesichts der Menschenrechtssituation in dem zentralafrikanischen Land könne nicht garantiert werden, dass Asylbewerber dort ein faires Verfahren erhalten würden. Vielmehr bestehe die Gefahr ihrer zwangsweisen Rückführung (refoulement) ins Heimatland. Dem neuen Abkommen nach könnten „in außergewöhnlichen Fällen“ betroffene Personen auch nach Großbritannien zurückkehren. Damit käme es zu der kuriosen Situation, dass anerkannte Asylanten in Ruanda bleiben müssten, Abgelehnte aber im eigentlichen Zielland leben könnten.

Austritt aus Menschenrechtskonvention

Damit aber überhaupt „illegale“ Migranten abgeschoben werden können, soll dem Regierungswillen entsprechend das britische Parlament Ruanda einseitig zu einem „sicheren Drittstaat“ erklären. Damit wäre britischen Gerichten die Möglichkeit genommen, Asylbewerbern mit Hinweis auf die unsichere Menschenrechtslage in Ruanda die Abschiebung zu ersparen. Möglich wäre aber weiterhin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg den Briten in die Parade fährt.

Die Tory-Rechte um die gefeuerte Ex-Innenministerin Suella Braverman fordert deshalb den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, was automatisch den Ausschluss aus dem Europarat zur Folge hätte. Das Königsreich befände sich dann in der Gesellschaft von Russland und Belarus. So weit will Sunak nicht gehen. Er werde aber „nicht zulassen“, beteuerte der Premier, „dass ein ausländisches Gericht die Asylflüge nach Ruanda unterbindet“.

Die Distanz zwischen seiner Position und seinen Kritikern sei kaum wahrnehmbar, sagte Sunak und benutzte zur Veranschaulichung die englische Maßeinheit „one inch“ gleich 2,5 Zentimeter. Weitergehen könne die Regierung schon deshalb nicht, weil sich dann Ruanda dem angestrebten Verfahren widersetzen würde.

Da müsse also das Land, dem der britische Supreme Court den Verstoß gegen internationale Verträge vorwerfe, der Regierung Seiner Majestät Nachhilfeunterricht in gesetzlichem Benehmen erteilen, spottete Labours Schatteninnenministerin Yvette Cooper: „Das ist kaum zu glauben.“

Während Parteigänger des äußersten rechten Tory-Flügels Jenricks Rücktritt zum Wendepunkt stilisieren, besteht bei vielen anderen Konservativen erhebliche Skepsis über die Motive des ehrgeizigen Politikers. Jenrick hatte als Regionalminister dem Kabinett von Boris Johnson angehört, ehe er wegen einer Reihe anrüchiger Lobby-Skandale gefeuert wurde. Vom derzeitigen Premier Sunak, als dessen Unterstützer Jenrick galt, dürfte sich der 41-Jährige die Rückkehr ins Kabinett erhofft haben; stattdessen zogen zuletzt eine Reihe jüngerer Rivalen und Rivalinnen an ihm vorbei.