Dienstag21. Oktober 2025

Demaart De Maart

Erste AuslandsreiseKanzler Olaf Scholz zu Antrittsbesuchen in Paris und Brüssel

Erste Auslandsreise / Kanzler Olaf Scholz zu Antrittsbesuchen in Paris und Brüssel
Der französische Präsident Emmanuel Macron (r.) begrüßt den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz im Elysée-Palast Foto: AFP/Ludovic Marin

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Bei seiner Auslandspremiere in Paris und Brüssel meidet Olaf Scholz klare Worte. Frankreichs Präsident Macron setzt große Erwartungen in den Merkel-Nachfolger und will dauerhaft mehr Schulden in Europa machen. Gibt Scholz nach, droht Ärger mit der FDP.

Emmanuel Macron macht auf dem Edelkies im Hof einen großen Schritt auf den Kanzler zu. Olaf Scholz steigt aus der Limousine, die ihn vom Flughafen Orly zum Elysée-Palast im Herzen von Paris gebracht hat. Gäbe es kein Corona, würden die beiden sich jetzt vielleicht umarmen. So reichen sich zwei mächtige Männer mit Masken die Fäuste.

Wie bei seiner Vorgängerin Angela Merkel 2005 führt den Sozialdemokraten sein Antrittsbesuch zwei Tage nach der Kanzlerwahl zum engsten Verbündeten sowie später zu den höchsten EU-Repräsentanten nach Brüssel. Für Merkel gab es vor 16 Jahren im Innenhof des gut 300 Jahre alten Palastes einen Handkuss des damaligen Präsidenten Jacques Chirac. Macron verstand sich mit der Kanzlerin gut – auch wenn sie ihn bei seinen visionären Plänen für den EU-Umbau weitgehend hängen ließ.

Noch etwas ist anders. Merkel nahm 2005 ihren damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit nach Paris. Die neue Chefdiplomatin Annalena Baerbock von den Grünen war bereits am Donnerstag in Frankreich. Für schöne Bilder unter dem Eiffelturm ließ sie ihre Wagenkolonne stoppen. Ihre Töchter hätten sich so ein Foto gewünscht, erzählte sie. Nach Brüssel fuhr sie dann mit dem Schnellzug weiter, was offensichtlich Klimaschützer beeindrucken sollte. Für Mutter Erde brachte das jedoch nichts – denn Baerbocks Airbus flog leer nach Köln. Beim Klimaschutz bekräftigte Baerbock ihre Ablehnung der französischen Pläne zur möglichen EU-Einstufung von Atomkraft als „grüner“ Energie.

Dies spielt bei der Pressekonferenz von Macron und Scholz eine Rolle. Zuvor gibt es ein Vieraugengespräch und ein gemeinsames Mittagessen (Lammfilet mit Kartoffeln). Scholz verweist auf den deutschen Weg, seine Ampel-Regierung will die Erneuerbaren massiv ausbauen. Frankreichs Festhalten an der Atomkraft? „Jedes Land verfolgt seine eigene Perspektive“, sagt er diplomatisch. Wichtig sei die Einigkeit, den Klimawandel aufzuhalten.

Jedes Wort kommt auf die geopolitische Waage

Scholz ist beim Auftritt vor der Presse im „Salle des fêtes“ unter mächtigen Kristallleuchtern und bunten Oberlichtern in den Farben der Tricolore die Anspannung in der neuen Rolle anzumerken. Als Finanzminister war er häufig auf internationalem Parkett unterwegs. Nun schaut die ganze Welt auf den frisch gebackenen Kanzler aus Berlin, jedes Wort kommt auf die geopolitische Waage – und das in einer Zeit, wo zwischen Russland und der Ukraine ein Krieg ausbrechen könnte, US-Präsident Joe Biden zu vermitteln sucht und gleichzeitig Europa mit Corona-Wellen und der Omikron-Mutation zu kämpfen hat.

Das Gesicht des 63-Jährigen, der während der Kanzlerwahl am Mittwoch im Bundestag locker, freudig und gelöst auftrat, wirkt wie eingefroren. Scholz spricht sehr leise. So leise, dass man hofft, die Mikrofonanlage im Elysée ist so sensibel eingestellt, damit die Simultandolmetscherin den deutschen Kanzler überhaupt hören und übersetzen kann. Inhaltlich ist Scholz auf der Hut. Zum Ukraine-Konflikt sagt er, die Situation sähen alle mit Sorge, es seien sehr viele (russische) Soldaten zu sehen. Wie Macron mahnt er die Unverletzbarkeit der Grenzen in Europa an. „Diese Regel gilt für alle. Es geht nicht nur um Macht, es geht auch um Prinzipien, die für alle gültig sind“, sagt Scholz.

Ein paar Stunden später in Brüssel erlebt er an der Seite von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Unterschied, wie eine bereits global gestählte Kommunikatorin auftritt. „Aggression muss ein Preisschild haben“, sagt sie mit Blick auf härtere Sanktionen, sollte Putin in die Ukraine einmarschieren. Scholz formuliert zurückhaltender – beantwortet eine Frage in fließendem Englisch. Europa werde reagieren, falls es zu Grenzverletzungen kommen sollte. Genau dies sollte diplomatisch vermieden werden.

Konfliktthema EU-Stabilitätspakt

Einen großen Raum bei Macron und Scholz nimmt die Frage ein, wie Europas Wirtschaft am besten aus der Pandemie herauskommen und die ungeklärte Migrationsfrage gelöst werden könnte. Am Vortag hatte Macron seine Pläne für die französische EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 präsentiert. Deutschland hat parallel den G7-Vorsitz. Macron wartete dem Vernehmen nach bewusst ab, bis Scholz im Bundestag gewählt war. An einer gerechteren Verteilung von Flüchtlingen in Europa biss sich schon Merkel die Zähne aus. Vor allem Polen und Ungarn spielen da nicht mit. Am Sonntag kann Scholz sich bei einem Besuch in Warschau selbst ein Bild machen.

Sprengstoff für die Berliner Ampelkoalition ist der Plan Macrons, den europäischen Stabilitätspakt mit den Maastricht-Kriterien aufzuweichen. Der Franzose will den in der Pandemie aufgelegten gigantischen 750-Milliarden-Wiederaufbaufonds verstetigen. Es bedürfe „massiver Investitionen“ für eine grüne und digitale Wirtschaft. Dafür sollten die Haushaltsregeln – wie bei Corona – flexibel ausgelegt werden. Macron will die gemeinsame Schuldenaufnahme (Eurobonds) dauerhaft etablieren. Dass das ein absolutes Reizthema, nicht nur für die FDP, sondern auch für andere reiche Euro-Länder ist, weiß er. So wirbt Macron für ein „pragmatisches Vorgehen“.

Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, nach der Pandemie zum Stabilitätspakt zurückzukehren. Finanzminister Christian Lindner dürfte peinlich genau darauf achten. So sagt Scholz Macron nichts zu. Solide Finanzen und Wachstum seien kein Gegensatz, in der Krise habe Europa doch die Haushaltsregeln flexibel ausgelegt. Abwarten, was daraus wird. Mit Treffen mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und EU-Ratschef Charles Michel klingt Scholz’ Auslandspremiere in Brüssel aus. Fazit? Für den Kanzler lief es wie im Europapokal – auswärts zu null gespielt. Nicht schlecht für das erste Match.