Die Wiener Spatzen, respektive gut informierte Medien, hatten es schon so laut von den Dächern gepfiffen, dass sich die ÖVP bereits vor dem gestrigen Paukenschlag prophylaktisch auf die Justiz einschoss. Vor einer Woche hatte Vize-Generalsekretärin Gabriela Schwarz „eine Klarstellung“ verlangt, weil sie sich mit Journalisten-Anfragen zu (noch gar nicht stattgefundenen) Hausdurchsuchungen in ihrer Parteizentrale konfrontiert sah. Der Kurier hatte über bevorstehende Razzien im Umfeld der ÖVP spekuliert. Am Dienstag hatte der frühere ÖVP-Abgeordnete Andreas Hangar vor „linken Zellen“ in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gewarnt und von „verdichteten Gerüchten“ über bevorstehende Hausdurchsuchungen gesprochen.
Gestern war es tatsächlich so weit: Nicht nur in der ÖVP-Zentrale, auch im Kanzleramt und im Finanzministerium kam es zu Hausdurchsuchungen. Die Aussage von Parteigeneralin Schwarz, dass man in Erwartung der Razzien ohnehin schon alle Daten gelöscht habe, zu deren Aufbewahrung man nicht gesetzlich verpflichte sei, hatte die WKStA offenbar nicht davon abgehalten, doch genau hinzuschauen.
Während die Hausdurchsuchungen an sich also keine Überraschung mehr waren, ist es der Anlass dafür umso mehr. Denn es geht nicht um einen der im Zuge der Ibiza-Affäre aufgetauchten Korruptionsverdachtsfälle, sondern um eine noch länger zurückliegende Angelegenheit: den Machtkampf in der ÖVP in den Jahren 2016/17, als der populäre Außenminister Sebastian Kurz am Sessel des weniger beliebten ÖVP-Chefs Reinhold Mitterlehner sägte.
„Österreich“ bestochen?
Für die dabei verwendeten Werkzeuge interessiert sich nun die Justiz. Denn der Machtkampf könnte auch mit Staatsgeldern ausgetragen worden sein. Konkret hegt die WKStA den Verdacht, dass Kurz-Freunde im Finanzministerium ab dem Frühjahr 2016 „mehrere Inseraten- und Medienkooperationsvereinbarungen mit Medien der Fellner-Gruppe“ geschlossen hätten. Zum Medien-Imperium des Wolfgang Fellner gehört die Boulevard-Zeitung Österreich. Dort sollen, so die Korruptionsstaatsanwaltschaft, zugunsten von Kurz geschönte Umfrageergebnisse und eine „die Interessen von Sebastian Kurz und der Gruppe seiner Vertrauten fördernde Kommentierung durch Wolfgang Fellner oder andere Akteure“ gekauft worden sein. Und zwar mit Regierungsinseraten. Damit wären die Tatbestände Bestechung und Untreue bzw. Bestechlichkeit erfüllt.
Neben Kanzlersprecher Johannes Frischmann, dem Kurz-Medienbeauftragten Gerald Fleischmann, der damaligen Familienministerin Sophie Karmasin sowie der Fellner-Mediengruppe wird auch der heutige Kanzler selbst als Verdächtiger geführt. Kurz wirft die WKStA vor, seinen Vertrauten Thomas Schmid als damaligen Generalsekretär im Finanzministerium mit der Organisation und der Kooperation mit der Mediengruppe beauftragt zu haben und sich regelmäßig berichtet haben zu lassen. Als Beweis wertet die Justiz entsprechende Chat-Verläufe aus Schmids beschlagnahmtem Handy.
Jetzt geht es um Korruption
Diese Anschuldigung bedeutet für Kurz eine andere Qualität als die Causa, in der ihm bereits eine Anklage droht. Dabei geht es „nur“ um eine mutmaßliche Falschaussage des Regierungschefs im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Jetzt geht es direkt um Korruption.
Die ÖVP weist freilich ebenso wie die Feller-Gruppe, die „offensichtlich schwere Missverständnisse“ der Justiz ortet, jede Schuld zurück. ÖVP-Fraktionschef August Wöginger sprach von „konstruierten Vorwürfen, die einzig als Ziel hätten, der Volkspartei und Kanzler Kurz zu schaden“. Fragen von Journalisten wollte Wöginger freilich nicht beantworten. Kurz selbst war gestern beim EU-Westbalkan-Gipfel in Slowenien.
Aus der Opposition hagelt es dagegen Rücktrittsforderungen gegen den Kanzler. Die SPÖ wird eine Sondersitzung des Nationalrats beantragen. „Für Kurz und die türkise Familie wird es immer enger“, meint SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. FPÖ-Chef Herbert Kickl fordert einmal mehr „Kurz muss weg“.
De Maart
Politik ist und bleibt korrupt.