Die Warschauer Polizei hat am Mittwochmittag den großen, modernen TVP-Glaspalast am Stadtrand umstellt. Niemand wurde mehr ins Gebäude gelassen. „Die Verfassung ist ausgehebelt, wir haben einen Mini-Staatsstreich!“, sagte Jaroslaw Kaczynski, Polens einstiger starker Mann, derweil in der alten Zentrale des Staatsfernsehens TVP im Zentrum Warschaus. Polen drohe das Schlimmste, warnte der PiS-Chef, Polens neuer Oppositionsführer. Zusammen mit seinen wichtigsten Abgeordneten hat er sich in der TVP-Zentrale verbarrikadiert.
Wenige Stunden zuvor hatte Kaczynski de facto seinen wichtigsten Propaganda-Kanal verloren. TVP-Info, der seit 2015 völlig den PiS-Partei-Interessen unterstellte staatliche Nachrichtensender, ging plötzlich vom Netz. Sodann wurde anstelle der üblichen Hass-Nachrichten gegen Donald Tusk, Liberale und Linke, ein ruhiger Naturfreunde-Film über die Antarktis ausgestrahlt. Laut polnischen Medienberichten hatte sich die Wachmannschaft von TVP-Info am Mittwochmorgen der neuen Mitte-links-Regierung angeschlossen und TV-Techniker ins Gebäude reingelassen.
Zuvor hatte der neue liberale Kulturminister Bartlomej Sienkiewicz, ein vor allem für seine Geheimdienstkontakte bekannter Mitkämpfer von Donald Tusk, in der Nacht zum Mittwoch den bisherigen TVP-Vorstand abberufen und durch einen neuen Vorstand unter dem jungen ehemaligen Richter und Wirtschaftsanwalt Piotr Zemla ersetzt.
Pluralistisches und entpolitisiertes Fernsehen
Dabei sieht PiS die polnische Verfassung vergewaltigt, denn Zemla und sein Team agieren nach einem Parlamentsbeschluss vom Dienstagabend, der festhält, dass das öffentlich-rechtliche Staatsfernsehen TVP entpolitisiert und wieder pluralistisch werden soll. Die neue links-liberale Sejm-Mehrheit hatte dies mit klarer Mehrheit unter lautem Protest der PiS-Fraktion beschlossen. Tusks Dreiparteien-Koalition verabschiedete indes kein neues TVP-Gesetz, denn dieses würde sofort von Staatspräsident Andrzej Duda mit einem Veto belegt. Duda sieht sich als loyaler Nachlassverwalter der acht Jahre PiS-Herrschaft, augenscheinlich, weil ihm nachgesagt wird, dass er dereinst Kaczynski als PiS-Chef ablösen wolle.
Damit steht die Abberufung des alten TVP-Verwaltungsrates allerdings rechtlich laut PiS auf tönernen Füßen. Kaczynskis populistische Massenpartei hat deshalb ihre Anhänger zu Demonstrationen zum Schutz von TVP aufgerufen. Bereits vor Wochenfrist demonstrierten Hunderte für die „Pressefreiheit“ vor dem TVP-Glaspalast. Denn seit der Vereidigung der neuen Regierung schwelt der Streit um TVP, dessen Rückeroberung Tusk zur ersten Priorität erklärt hatte. Seinen liberalen Anhängern hat der neue Regierungschef eine Übernahme von TVP „innerhalb von 24 Stunden“ versprochen, doch Kaczynski schaltete das ebenfalls von PiS-Anhängern völlig dominierte Verfassungsgericht ein, das mit einer einstweiligen Verfügung Änderungen bei TVP bis Mitte Januar ausgeschlossen hat.
Warnungen bewahrheiten sich
Weder das Verfassungsgericht noch dessen Urteile seien rechtskräftig, heißt es in Regierungskreisen. Immer mehr zeigt sich nun, dass sich die Warnung von Demokratieaktivisten zu Zeiten der PiS-Regierung (2015-23) bewahrheiten, wonach die PiS-Justizreform ein juristisches Chaos in Polen nach sich zieht. PiS beruft sich aus Eigeninteresse natürlich auf das Verfassungsgericht, Tusks Mitte-links-Koalition wiederum hat ein Interesse daran, das Verfassungsgericht in Bausch und Bogen für illegal zu erklären. Dasselbe trifft auch auf alle untergeordneten juristischen Instanzen zu.
Der Streit um Polens Staatsfernsehen zeigt auch, dass sich nun eine zweite Bürgeraktivisten-Warnung bewahrheitet. Mit ihrem rabiaten Vorgehen gegen TVP gleich nach dem Wahlsieg im Herbst 2015 hat PiS ein schlechtes Beispiel für alle Nachfolgerregierungen geschaffen. Damals wurden zum Jahreswechsel 2015/16 nicht weniger als 235 TVP-Journalisten entlassen, oft nur, weil sie ihre Arbeit unter der alten Tusk-Regierung (2007-15) begonnen hatten. Nun droht den seitdem angestellten TVP-Journalisten das gleiche Schicksal, denn die Rachsucht Tusks und seiner Mannschaft ist auf Schritt und Tritt herauszuhören.
Jaroslaw Kaczynski baut sich daraus eine neue Zukunft für seine bei den Wahlen geschlagene, aber weiterhin starke PiS. Die TVP-Übernahme kann kaum als „Staatsstreich“ bezeichnet werden, aber freundlich ist sie dennoch nicht. Auch blieb bis Mittwochabend unklar, inwiefern das neue TVP tatsächlich pluralistisch oder einfach nur der neuen Regierung gegenüber freundlich statt feindlich werden soll. Bisher haben alle Regierungen in Polen versucht, TVP für die eigenen Interessen einzuspannen. PiS war dabei am aggressivsten.
De Maart
Der kleine Giftzwerg hat bei Trump und den Nazis abgeschaut.Wie manipuliere ich die Menschen am besten? Durch Medien.