Wieder einmal brauchte es eine turbulente Sitzung des Ministerrats, bevor die Regierung Draghi das Dekret über die neuen Coronamaßnahmen beschließen konnte. Italien wird gegenwärtig – wie andere europäische Nachbarstaaten auch – von der fünften Coronawelle überrollt, die Omikronvariante des Virus dominiert bei den Neuinfektionen. Es herrscht dringender Handlungsbedarf, soll nicht ein unvermeidlicher Lockdown die ohnehin schon schwer belastete Wirtschaft des Landes noch mehr in die Bredouille bringen. Aktuell gab es 189.109 Neuinfektionen an einem Tag, das ist der höchste Wert seit Beginn der Covid-19-Pandemie.
Nun sollen alle Bürger, die das 50. Lebensjahr abgeschlossen haben, einer Impfpflicht unterzogen werden. Darüber hinaus müssen alle Arbeiter und Angestellten am Arbeitsplatz den sogenannten Super-Green-Pass vorweisen, ein Zertifikat, das nicht nur den vollständigen Impfschutz nachweist, sondern auch aktuelle Negativtests.
Die nunmehr dritte kurzfristige Änderung der Verhaltensmaßnahmen in der Pandemie wurde nicht ohne Streit innerhalb der Regierung angenommen. Vor allem die Minister der Lega stellten sich gegen die strengen, vom Ministerpräsidenten geforderten Regeln. Mario Draghi hatte zunächst eine Impfpflicht bereits ab dem Alter von 40 Jahren gefordert. Doch die Auseinandersetzungen darüber gingen so weit, dass die Lega damit drohte, die Regierungsbeteiligung aufzukündigen. Erst nach langwierigen Diskussionen lenkten die Politiker der rechtspopulistischen Partei offenbar ein.
Im Anschluss an die Ministersitzung, die sich bis in die späten Mittwochabendstunden zogen, äußerte sich lediglich der Minister für öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta (Forza Italia) positiv zum Ausgang der Debatte: „Mit der jetzt beschlossenen Impfpflicht für Bürger über 50 sind wir das erste Land in der EU, das solche Maßnahmen ergreift.“ Bildungsminister Patrizio Bianchi begrüßte die Kontakt- und Quarantäne-Auflagen in seinem Sektor, mit denen der Präsenzunterricht in den Schulen weiter geführt werde.
Quarantäneregeln scheinen irreführend
Allerdings stoßen genau die von Bianchi erwähnten Regeln auf vielfache Kritik. Denn in den Bildungseinrichtungen stiften sie Verwirrung: In den Grundschulen wird eine gesamte Klasse in Quarantäne geschickt, wenn in ihr zwei Coronainfektionen festgestellt werden. In den Mittel- und Oberstufen hingegen bleibt der Präsenzunterricht erhalten. Hier wird eine generelle Quarantäne für die gesamte Klasse erst ab vier Fällen ausgesprochen. Unterhalb dieser Grenze müssen nur die Ungeimpften und solche Schüler zu Hause bleiben, deren letzte Impfung länger als vier Monate zurückliegt. In Schulen, die mehrere Bildungsstufen parallel unterrichten, kann eine solche Einteilung zu erheblicher Verwirrung führen.
Generell ist für den Präsenzunterricht sowohl für Schüler als auch für Lehrende das Tragen einer FFP2-Maske Pflicht. Dies gilt ebenfalls für Hochschulen und Universitäten, wobei dort verstärkt für einen vollständigen Impfschutz einschließlich des Boosterns geworben wird.
Drastische Strafen angedroht
Die jetzt angekündigte Impfpflicht soll spätestens ab dem 15. Februar in Kraft treten. Bis dahin will das italienische Gesundheitswesen die mit dem Dekret verbundene Logistik und Beschaffung des Impfstoffs geregelt haben. Ab diesem Zeitpunkt drohen Menschen, die der auferlegten Pflicht nicht nachkommen, Geldbußen zwischen 600 und 1.500 Euro. Einer solchen Sanktion unterliegt auch, wer ohne Vorlegen des gültigen Super-Green-Passes seinen Arbeitsplatz betritt.
Die Dynamik, mit der jetzt die Änderungen der Verhaltensregeln in Kraft treten, lassen schon absehen, dass bei einem weiteren kritischen Ansteigen der Neuinfektionen auch mit noch schärferen Maßnahmen, Bewegungs- und Kontakteinschränkungen zu rechnen sein wird.
Halbherzigkeit,aber immerhin.