Bei der von Serbiens Staats- und Regierungsspitze inszenierten Gruselshow gab es für ihre Landsleute kaum ein Entrinnen. Zur Primetime am Samstagabend boten die ranghöchsten Würdenträger des Landes ihrem durch den Lockdown aufs heimische Sofa verbannten Publikum bei der von zwölf TV-Stationen live ausgestrahlten Pressekonferenz ein eher fragwürdiges Unterhaltungsprogramm. „Bringen Sie bitte die Kinder raus“, forderte Innenminister Aleksandar Vulin die Zuschauer auf, bevor die Fotos eines enthaupteten Toten über den Schirm flimmerten.
„Wir wollen zeigen, mit welchen Psychopathen es der Staat zu tun hat“, begründete Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic das Ausstrahlen der Fotos. Vergeblich hatten die Angehörigen der Mordopfer vorab appelliert, auf deren Veröffentlichung zu verzichten. „Wer ist hier verrückt?“, fragt sich die Zeitung Danas, die von einer „weiteren Horrorshow in Regierungsregie“ spricht: „Die Frage ist, wie lange dieser Wahnsinn noch währen wird.“
Grausige Details zur Primetime
Entführungen und Folterungen von Gegenspielern, zerstückelte und in Salzsäure aufgelöste Leichen: Seit der Verhaftung von 16 Angehörigen des Hooligan-Clans um den Kriminellen Veljko Belivuk am 4. Februar wird Serbien von immer grausameren Enthüllungen erschüttert. Der Staatschef mimt dabei selbst den unerbittlichen Chefermittler. Der Staat werde „stärker als alle kriminellen Gruppen“ sein, kündigt Vucic den entschlossenen Kampf gegen das organisierte Verbrechen an: „Unsere Antwort wird erbarmungslos sein – im Einklang mit dem Gesetz, der Verfassung und den Bedürfnissen der Bürger.“
Doch wer schützte jahrelang die kriminellen Schergen? Über die lange sehr engen Bande von Serbiens Sicherheitsdiensten und seiner regierenden SNS zu dem nun aufgerollten Hooligan-Clan schweigt sich der Präsident wortreich aus. Dabei wurden Angehörige der später in „Principi“ umbenannten „Janjicari“-Hooligans schon bei seiner Inauguration 2017 als Ordner eingesetzt – und sorgten durch das Verprügeln von missliebigen Journalisten für Schlagzeilen. Mehrmals wurde auch der Präsidentensohn Danilo in Begleitung von stadtbekannten Janjicari-Hools gesehen und fotografiert – unter ihnen einer der nun verhafteten Kriminellen.
Prügelnde Provokateure im Dienste der Macht
Zufällig setzen sich Serbiens Schlägerhorden abseits der Stadien selten in Bewegung. Breitschultrige Gefolgsleute von Belivuk sollen es gewesen sein, die bei Wahlen in der Provinz regelmäßig in schwarzen Jeeps vorfuhren und sich in Wähler- und Oppositionseinschüchterung übten. Auch die von dem SNS-Politiker im Mai inszenierten Rauchfackelproteste, mit denen regierungskritische Topfschlagproteste gekontert werden sollten, wurden von den Hooligan-Hilfstruppen der Macht getragen. „Principi“-Angehörige wurden als prügelnde Provokateure auch bei den Corona-Krawallen im Juli gesichtet: Die angezettelte Gewaltorgie sollte die Anti-Regierungs-Proteste diskreditieren.
Vucic surft selbstbewusst auf der Skandal-Welle, in der er eigentlich ertrinken müsste
Überlagert werden die in allen Details an die Öffentlichkeit gezerrten Ermittlungen gegen den Clan um Belivuk von einem lange schwelenden und nun eskalierenden Machtkampf innerhalb der SNS. Auffällig nimmt die regierungsnahe Boulevardpresse vermehrt den früheren Innen- und jetzigen Verteidigungsminister Nebojsa Stefanovic sowie dessen einstige Staatssekretärin Dijana Hrkolovic ins Visier. Beide werden von ihr direkt oder indirekt mit der illegalen Abhörung der Präsidentenfamilie, aber auch anderen Skandalen in Verbindung gebracht: Wie schon mehrmals zuvor malen die journalistischen Hilfstruppen des Präsidenten derzeit wieder einmal die Gefahr eines drohenden Attentats auf Vucic an die Wand.
Fest steht, dass Belivuk viel früher aus dem Verkehr hätte gezogen werden müssen. Unklar bleibt, ob die derzeitigen Dauerenthüllungen tatsächlich Teil eines SNS-Machtkampfs oder präsidiale Nebelwerfermanöver zur Ablenkung von Verfehlungen im eigenen Umfeld sind. Bei jedem Skandal, der seine Position zu beschädigen drohe, erweise sich Vucic als Meister darin, die „Schuld auf andere zu schieben“ und sich selbst als Opfer darzustellen, konstatiert die Balkan-Agentur „Birn“: „Vucic surft selbstbewusst auf der Skandal-Welle, in der er eigentlich ertrinken müsste.“
De Maart
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