Ein Bierpub bietet „Punk Brew“, ein Imbiss israelisches Streetfood, nebenan sind die Tische für russisches Fine Dining gedeckt, in einem Keller lockt eine kubanische Musikbar: Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Wenig verwunderlich, dass in der Rubinstein-Straße der Widerstand gegen einen Entschluss der Stadtregierung seinen Ausgang nahm. Wegen der sich zuspitzenden Corona-Lage in Russlands zweitgrößter Stadt hat der Gouverneur Alexander Beglow in der Vorwoche verfügt, dass Restaurants und Bars über die Neujahrszeit geschlossen bleiben müssen, ebenso wie Kultureinrichtungen. Kurz gesagt: Die Petersburger sollen in den eigenen vier Wänden bleiben. Und Besucher aus anderen russischen Regionen sollen gar nicht erst auftauchen.
Tatsächlich ist die sogenannte „Resolution 121“ im innerrussischen Vergleich streng: Gastronomiebetriebe müssen vom 30. Dezember bis 3. Januar komplett schließen. Auch in den Tagen davor und danach müssen Cafés und Restaurants um 19 Uhr zusperren. Die Einschränkungen rechtfertigte Beglow mit der angespannten Corona-Situation in der Stadt. Petersburg hat nach Moskau die zweithöchsten Infektionszahlen in Russland. Die Behörden befürchten, dass ausgelassene Silvesterfeiern und das Ausgehen an den nachfolgenden Feiertagen die Infektionszahlen weiter in die Höhe treiben könnten. „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Feiertage zu einem Infektionsmarathon des Coronavirus werden“, warnte Beglow. Die Lage in den Krankenhäusern sei schon jetzt sehr angespannt. Über die Überlastung des Gesundheitswesens hatten auch Lokalmedien berichtet.
Nichtsdestotrotz: Die von Privatunternehmern geprägte Branche, die sowieso auf Kriegsfuß mit den Behörden steht, fühlt sich einmal mehr ungerecht behandelt.
„Diskriminierung“ im Vergleich zu anderen russischen Regionen orten die Touristiker. Besonders lautstark melden sich die Wirte zu Wort. „Nur wenn wir das Verbot umgehen, haben wir eine Überlebenschance“, heißt es aus der Szene. In den Tagen vor Silvester finden viele Festessen und Firmenfeiern statt, die nach dem wirtschaftlich verheerenden Corona-Jahr die Bilanz einigermaßen retten sollten. Auf einer Internetseite schlossen sich mehr als 100 Gastronomen zusammen, die trotz des Verbots offen halten wollen. Die sogenannte „Widerstandskarte“ ist zwar nach kurzer Zeit wieder aus dem Netz verschwunden. Doch einige Bars dürften auf eine Geheim-Öffnung setzen, wo Gäste etwa nach Anruf eingelassen werden. Andere Wirte wollen nicht so weit gehen. Sie wollen im Gespräch mit den Behörden eine weniger strenge Regelung erreichen. Die Antwort des Staates war bisher hart: In mehreren nächtlichen Überprüfungen von Polizei und Konsumentenschutz wurden allzu aufsässige Wirte abgestraft.
Kreml hält sich raus
Der Kreml zeigt bisher keine Lust, sich in den Streit im Norden einzumischen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow verteidigte implizit die Entscheidung der Regionalregierung: Die lokalen Behörden wüssten am besten Bescheid, wie es um die Lage in der Region stehe. Die Sicherheit der Bevölkerung stehe an erster Stelle. Gleichwohl sei ein „Dialog“ mit den Betroffenen notwendig, erklärte Peskow.
St. Petersburg ist Russlands Tourismusdestination Nummer eins und hat eine gut ausgebaute Gastronomie- und Beherbergungsinfrastruktur. Mehr als neun Millionen Menschen besuchten die Stadt im Vorjahr. Die Stadt, normalerweise ein Anziehungspunkt auch für internationale Besucher, musste wegen der russischen Grenzschließung seit März auf Touristik-Einnahmen aus dem Ausland fast komplett verzichten. Auch die Chinesen, eine stark steigende Touristengruppe, blieben aus. Zwar entdeckten russische Bürger in den vergangenen Monaten verstärkt Ziele im Inland. Dennoch sind in der Kulturmetropole derzeit viele Hotels verwaist, das Gedränge in den Zaren-Palästen und Museen ist Geschichte, Fremdenführer finden keine Kunden. „Die große Neujahrsdepression“ titelte das lokale Nachrichtenportal „Fontanka“. Derzeit sieht es nicht danach aus, als würde sich die Stimmung bald aufhellen.
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