AnalyseFinnland und Schweden drängen in die NATO

Analyse / Finnland und Schweden drängen in die NATO
Der britische Premierminister Boris Johnson hat bereits mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö (r.) unterzeichnet … Foto: Antti Aimo-Koivisto/Lehtikuva/dpa

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Finnland und Schweden, jahrzehntelang zufrieden mit ihrer Neutralität, drängen nun mit Macht in die NATO. Was steckt dahinter? Und was schützt sie in der kritischen Phase bis zum tatsächlichen Beitritt?

Gerade hatte der finnische Außenminister Pekka Haavisto am Donnerstagmorgen in einer Live-Schalte die in Brüssel versammelten Außenexperten des Europaparlaments über den nun definitiven Willen seines Landes zum NATO-Beitritt informiert, da ergriff der Ukraine-Beauftragte des europäischen Auswärtigen Ausschusses, Michael Gahler, auf ganz besondere Weise das Wort: „Huomenta ja tervetuloa turvalle, rakkaat suomalaiset ystävät“, meinte der EVP-Europaabgeordnete schmunzelnd, und schob die Übersetzung gleich nach: „Guten Morgen und willkommen auf der sicheren Seite, liebe finnischen Freunde.“

Es ist eine Geste, die unterstreicht, wie schnell nun alles kommt, obwohl sich Schweden wie Finnen über Jahrzehnte sicher waren, dass ihre Neutralität das Beste in ihrer russischen Grenzlage ist. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat vor allem in Finnland einen früher unvorstellbaren Meinungswandel bewirkt. Binnen eines Jahres schnellte der Anteil der NATO-Befürworter von 20 auf 76 Prozent hoch. Dem haben Finnlands Präsident Sauli Niinistö und Regierungschefin Sanna Marin am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung Rechnung getragen, in der sie sich „unverzüglich“ für eine NATO-Mitgliedschaft aussprachen. In Schweden soll bis Ende Mai ein Konzept vorliegen.

Es wird damit gerechnet, dass beide Länder beim NATO-Gipfel Ende Juni in Madrid so weit sind. Bereits seit Jahren bilden Schweden, Finnen und Briten eine gemeinsame Eingreiftruppe auf NATO-Standard. Die Integration könnte daher schnell klappen, wie auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag noch einmal versicherte.

Drohungen aus Moskau halfen NATO-Befürwortern

Wieder hat Russland nicht im Geringsten kapiert, wie selbstständige Staaten ticken. Statt die wachsende Furcht der Skandinavier vor einem aggressiven Russland durch demonstrative Akte der Zurückhaltung zu verringern, schickte der Kreml vier Kampfjets in den schwedischen Luftraum. Und zwar Anfang Mai, als die Debatte um den NATO-Beitritt noch relativ offen zu sein schien. Zwei Suchoi 27 eskortierten zwei Suchoi 24, die offenbar sogar mit Atombomben bestückt waren. Es war Russlands Art, Nachbarn mit massiven Drohungen gefügig machen zu wollen – zugleich ein Beleg für alle NATO-Befürworter im nord-nordöstlichen Teil Europas, dass dringend mehr Schutz vor diesem Russland nötig ist. Auch die finnische NATO-Debatte war begleitet vom wiederholten Eindringen russischer Militärmaschinen in den finnischen Luftraum.

Bereits vor Beginn des Krieges hatte Schweden die Verstärkung der baltischen Flotte Russlands in der Ostsee alarmiert. Mit Flugzeugen brachte Stockholm zusätzliche Soldaten nach Gotland, verschiffte weitere Panzer und ließ sich dabei demonstrativ filmen, um Russland eine klare Botschaft auszusenden. Wer diese Insel in der Ostsee besitzt, kann weit in den Raum hineinwirken. Möglichen russischen Gelüsten sollte die schwedische Entschlossenheit entgegengestellt werden.

Die Repräsentanten von NATO- und EU-Staaten waren sich nach Finnlands Ankündigung einig: Mit diesem Schritt werde es mehr Sicherheit in Europa und vor allem in der baltischen Region geben. Allerdings handelt sich das Bündnis damit auch 1.340 Kilometer mehr direkte Grenze zu Russland ein. Schon einmal, 1939, hatte Moskau sich Finnland einverleiben wollen. Polens früherer Außenminister Witold Jan Waszczykowski, jetzt Vizechef des EU-Außenausschusses, erinnerte daran und sah auffällige Parallelen zum Angriff Russlands auf die Ukraine.

Beistandsgarantie aus London

Moskau reagierte auf die finnische Beitrittsbekundung mit neuen Warnungen. Das sei eine „Bedrohung“ Russlands. Man werde eine „symmetrische Antwort“ geben, kündigte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow an. Alles hänge nun davon ab, was die NATO militärisch an der russischen Grenze in Stellung bringe. Das klingt nicht danach, als wolle Russland die Phase zwischen Beitrittsabsicht und wirksamem Beitritt nach der Ratifizierung durch alle 30 NATO-Staaten zu einer Eskalation nutzen.

Vorsorglich verwies Finnlands Außenminister Haavisto in Brüssel auf Artikel 42 des EU-Vertrages, der auch eine Unterstützung der EU-Staaten für den Fall eines militärischen Angriffes vorsieht. Allerdings ist die Formulierung mit dem Wort „Hilfe“ weicher gefasst als die Beistandsgarantie der NATO-Staaten. Sicherheitshalber hatte Premier Boris Johnson diese Woche sowohl in Schweden als auch in Finnland namens der britischen Atommacht eine militärische Beistandsgarantie abgegeben.

… und der schwedischen Regierungschefin Magdalena Andersson eine Beistandsgarantie gegeben für den Fall, dass Russland vor einem NATO-Beitritt beider Länder in kriegerischer Absicht Grenzen überschreiten sollte
… und der schwedischen Regierungschefin Magdalena Andersson eine Beistandsgarantie gegeben für den Fall, dass Russland vor einem NATO-Beitritt beider Länder in kriegerischer Absicht Grenzen überschreiten sollte Foto: Frank Augstein/AFP