Die Türkei hatte im Sommer 2020 die EU-Länder Griechenland und Zypern mit Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer provoziert. Nach Vermittlung durch Deutschland ist es zuletzt jedoch gelungen, den Streit zu entschärfen. Die deutsche Regierung hat sich zudem erfolgreich für eine „positive Agenda“ eingesetzt, die bis zu einem weiteren EU-Gipfel im Juni umgesetzt werden soll. Als erster Schritt sei ein Besuch der EU-Spitzen in der Türkei denkbar. Möglich wäre auch eine Neuauflage des umstrittenen Flüchtlingsdeals. Er sieht die Rücknahme von nicht anerkannten syrischen Bootsflüchtlingen in die Türkei vor, wurde zuletzt aber kaum noch umgesetzt. Anfang 2020 hat Erdogan sogar kurzzeitig die türkisch-griechische Grenze geöffnet.
Ebenfalls im Gespräch ist eine Modernisierung der Zollunion mit der Türkei. Sanktionen sind dagegen vom Tisch. Die EU hatte sich nach der Krise im östlichen Mittelmeer zwar auf automatische Sanktionen verständigt, diese jedoch vor einer Woche überraschend einkassiert. Auch beim Treffen der EU-Außenminister am Montag, bei dem ein ganzes Bündel von Sanktionen gegen China, Myanmar und andere Länder verhängt wurde, blieb die Türkei verschont.
Allerdings sorgen jüngste Entscheidungen der türkischen Regierung für zusätzliche Bedenken in der EU. Dazu zählen der Verbotsantrag gegen die Oppositionspartei HDP sowie der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen. Die Türkei missachtet zudem ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, das im Dezember 2020 die sofortige Freilassung des Oppositionspolitikers Selahattin Demirtas gefordert hatte. In vergleichbaren Fällen hat Brüssel mit Sanktionen reagiert.
Die EU lege „Doppelstandards“ an, kritisierte der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Can Dündar. Für ein härteres Vorgehen sprach sich Human Rights Watch (HRW) aus. Die EU-Chefs sollten nicht zur Tagesordnung übergehen, „während die türkische Regierung ihre Angriffe auf Kritiker, die parlamentarische Demokratie und Frauenrechte eskaliert“, erklärte HRW-Geschäftsführer Kenneth Roth.
Reizthema Russland
Ein weiteres Reizthema beim EU-Gipfel ist Russland. Die Beziehungen hatten sich in den letzten Wochen massiv abgekühlt, nachdem die EU mehrere Sanktionen im Fall des Kremlkritikers Alexej Nawalny verhängt hatte. Der Gipfel sollte nun eigentlich eine strategische Neubewertung vornehmen. Dies wurde jedoch von der Tagesordnung gestrichen.
Das Verhältnis sei auf einem historischen „Tiefpunkt“, sagte Michel. Putin wiederum warf den Europäern eine „konfrontative“ Politik vor. Russlands Außenminister Sergej Lawrow kündigte an, Moskau werde künftig nicht mehr mit der EU reden, sondern nur noch mit einzelnen Mitgliedsländern. Zudem will sich Russland enger mit China abstimmen. Peking war ebenfalls mit EU-Sanktionen belegt worden und hat danach Vergeltung geübt – etwa mit Reiseverboten für mehrere Europaabgeordnete.
Positive Impulse erhofft sich Gipfelchef Michel von einem kurzfristig angesetzten Videotermin mit US-Präsident Joe Biden. Es sei „Zeit zur Wiederherstellung unserer transatlantischen Allianz“, twitterte der Belgier. Allerdings gibt es auch mit den USA Streit – etwa um die Sanktionen gegen die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2.
De Maart
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