Die Europäische Union hat den Weg für ein neues Gemeinschaftsbudget und den Corona-Aufbaufonds frei gemacht. Beim letzten EU-Gipfel des Jahres in Brüssel zogen Ungarn und Polen am Donnerstag ihr Veto gegen das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket zurück. Zuvor hatte der deutsche EU-Ratsvorsitz einen Kompromiss vorgelegt, der beiden Ländern entgegenkommt.
Nun könnten die 27 EU-Staaten beginnen, das Sieben-Jahres-Budget umzusetzen und in der Corona-Krise ihre Volkswirtschaften wieder aufzubauen, erklärte Ratspräsident Charles Michel. Ein Sprecher Michels ergänzte, auch der umstrittene Mechanismus zur Kürzung von EU-Geldern bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit sei einstimmig angenommen worden.
Um diesen Rechtsstaatsmechanismus zu verhindern, hatten Ungarn und Polen ein Veto gegen das Finanzpaket eingelegt. Damit brachten sie die EU-Hilfen in Gefahr und zwangen den deutschen Ratsvorsitz, einen Kompromiss auszuarbeiten. Er sieht vor, dass es eine Prüfung dieses neuartigen Mechanismus durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geben soll – und dass die EU-Kommission nicht sofort gegen Rechtsstaatssünder vorgeht.
Vielmehr soll die Brüsseler Behörde zunächst die Details des neuen Verfahrens ausarbeiten. Allein dies dürfte einige Monate dauern. Die Prüfung durch den EuGH in Luxemburg könnte sogar ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen. Der neue Rechtsstaatsmechanismus dürfte daher nicht vor 2022 umgesetzt werden – und wohl auch erst nach der nächsten Parlamentswahl in Ungarn.
Kritiker sehen darin ein Zugeständnis an den ungarischen Regierungschef Viktor Orban, der seit Jahren versucht, EU-Maßnahmen gegen seine rechtsnationale Regierung zu verhindern oder auf die lange Bank zu schieben. Gleichzeitig baut Orban seinen Zugriff auf die Medien und die Universitäten immer mehr aus. In Polen hat sich die Regierung größeren Einfluss auf die Justiz gesichert.
Doch diese bereits erfolgten Eingriffe in den Rechtsstaat werden durch den neuen Mechanismus nicht geahndet. Auch die umstrittene, konservative Familienpolitik Polens oder die rigide Flüchtlingspolitik Ungarns wird nicht tangiert, wie die EU in einer eigens für den Gipfel vorbereiteten Erklärung klarstellt.
Luxemburg und die Niederlande hatten zu Beginn des Spitzentreffens noch Bedenken gegen diese Erklärung geäußert, waren dann aber eingelenkt. Wie die Details der Einigung aussehen, war zunächst nicht bekannt. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen gratulierte der deutschen Ratspräsidentschaft. „Europa geht voran“, schrieb sie auf Twitter.
Covid-19 und Klima
Weitere Themen des zweitägigen Gipfeltreffens waren die Corona-Pandemie und der Klimaschutz. Die EU-Chefs begrüßten die Fortschritte bei der Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen gegen Covid-19, warnten jedoch: „Die Ankunft von Impfstoffen heißt nicht, dass die Pandemie vorbei ist.“ Zur Zuspitzung der Corona-Krise in den EU-Ländern äußerten sich die Gipfelteilnehmer nicht.
Streit gab es beim Klimaschutz. Polen hat sich noch nicht zum Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050 bekannt und fordert neue Ausnahmen und Hilfen. Frankreich und mehrere andere Staaten wollten die Atomenergie als eine Option beim Kampf gegen die Treibhausgase würdigen und sich so indirekt auch EU-Hilfen sichern. Merkel plädierte für ein schärferes Klimaziel für 2030.
Kein Thema war der Brexit und der drohende „No Deal“ bei den laufenden Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit Großbritannien. Der britische Premier Boris Johnson sagte gestern Abend, es gebe „jetzt eine hohe Wahrscheinlichkeit“, dass die Verhandlungen ohne ein Abkommen endeten. Die EU-Kommission legte für diesen Fall am Donnerstag Notfallgesetze vor (siehe Text unten). Beide Seiten haben sich für eine Einigung eine letzte Frist bis Sonntag gesetzt.
Die beiden einzigen Diktatoren in einer Demokratie dürfen also noch lange ihr Gift spritzen. Die EU-Mühlen mahlen langsam.