Eine Woche vor den anstehenden Parlamentswahlen konnten die Umfrage-Institute des Landes noch keinen Favoriten ausmachen. Den Umfragen zufolge liegt die Regierungspartei ANO2011 des Agromilliardärs und amtierenden Ministerpräsidenten Andrej Babiš mit Werten zwischen 24,5 und 27,3 Prozent immer noch als stärkste Kraft vorn, doch findet sich kaum ein möglicher Koalitionspartner für eine stabile Regierung.
Zwei Tage vor den Wahlen trafen nochmals alle Parteispitzen zu einer Fernsehdebatte zusammen. Sie verdeutlichten dabei vor allem die gegenseitigen Abgrenzungen. Deutlich wurde diese unter anderem in der Frage der Energiepolitik. Den steigenden Energiepreisen von Gas und Öl will Babiš mit einer zeitweisen Aufhebung der Mehrwertsteuer von 21 Prozent begegnen.
Petr Fiala, Chef der Bürgerdemokraten (ODS) und der Wahlinitiative Spolu („Zusammen“; hier hat sich ODS mit den bürgerlichen TOP09 und den Christdemokraten von der KDU-CSL vereint), entgegnet dem Premier: „Eine derart populistische Politik hilft dem Land nicht aus der Misere.“ Man könne nicht ein solches Wahlgeschenk anbieten, das letztlich über andere Steuererhöhung refinanziert werden müsse, so Fiala. Spolu zählt derzeit zu den größten Konkurrenten der Regierungspartei, mit Umfragewerten zwischen 20 und 23 Prozent (je nach Meinungsforschungsinstitut) liegt das Bündnis gleichauf mit ANO. Petr Fiala, dessen Partei ODS lange Jahre das Land regierte, würde den Posten des Regierungschefs gerne wieder einnehmen. Eine Koalition zwischen ANO und Spolu scheint nach bisherigen Äußerungen ausgeschlossen.
Auf Partnersuche
Bisher regierte Andrej Babiš gemeinsam mit den Sozialdemokraten in einem Minderheitenkabinett. Dass die Regierung überhaupt hielt, verdankte sie der Duldung durch die kommunistischen Abgeordneten.
Das Wahlvolk indes zeigt sich offensichtlich so wenig begeistert von den Aktivitäten des Juniorpartners ČSSD, dass ein Einzug der Sozialdemokraten ins neue Abgeordnetenhaus sogar gefährdet erscheint. Nach den derzeitigen Prognosen zögen neben ANO und Spolu die Piraten/Bürgermeister als drittstärkste Kraft mit 17,4 Prozent, die rechtsextreme SPD Tomio Okamuras mit 12,3 Prozent, die Kommunisten mit 6,5 Prozent sowie die neu gegründete Bürgerbewegung Přísaha (Eid) des früheren Chefermittlers gegen das organisierte Verbrechen, Róbert Šlachta, mit 5,7 Prozent der Wählergunst ins neue Abgeordnetenhaus ein.
Betrachtet man die jeweiligen Profile und Programme der politischen Bewegungen, so erkennt man bald, dass es wenige Schnittmengen für mögliche Koalitionen gibt. Am ehesten wäre noch ein Zusammengehen von Spolu mit den Piraten und der Vereinigung der Bürgermeister vorstellbar. Dies würde in eine Fünf-Parteien-Koalition münden, die dennoch von einer weiteren Parlamentsfraktion toleriert werden müsste. Dabei wird ein Zusammengehen mit der rechtspopulistischen SPD von allen Seiten weitgehend ausgeschlossen. Ähnlich wie bereits 2017 steht Tschechien demnach vor langen Koalitionsverhandlungen.
Regierungschef kündigt Rückzug an
Das Schwinden seiner Chancen erkennt auch der amtierende Premier. In einem Interview mit dem hauseigenen Nachrichtenportal Mlada fronta erklärte Andrej Babiš, dass er im Fall einer Wahlniederlage nicht als Oppositionsführer zur Verfügung stehe und sich ins Privatleben zurückziehen werde.
Der stets während seiner Amtszeit mit Finanzskandalen konfrontierte Agrarmilliardär wird von den jüngst veröffentlichten Pandora Papers erneut stark belastet. Über Offshore-Briefkastenfirmen soll er in Frankreich für 15 Millionen Euro verschiedene Immobilien, darunter das Château Bigaud an der Côte d’Azur, erworben haben. Noch 2015 erklärte Babiš vor einem Parlamentsausschuss, über keine Offshore-Firmen zu verfügen. Bislang konnte sich Babiš in allen Fällen einer juristischen Aufarbeitung unerklärter Finanztransaktionen entziehen. Doch vor allem die Bewegung Šlachtas könnte – sollte sie ins Parlament einziehen – diese Fälle erneut auf die Tagesordnung setzen. Róbert Šlachta war vom Amt des Chefermittlers gegen die organisierte Kriminalität zurückgetreten, als die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Babiš im Falle seines Luxusressorts „Storchennest“ unter anderem auf Betreiben des Staatspräsidenten Zeman einstellen ließ.
Doch auch im Falle, dass ANO nach den Auszählungen am Samstagabend siegreich aus den Wahlen hervorgehen sollte, erklärte Babiš dann den Beginn seiner letzten Amtszeit – „die Lebensuhr tickt nicht ewig“, so der 67-Jährige.
De Maart
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