Als Ben Ali am 14. Januar 2011 mit einigen Angehörigen und wenigen Vertrauten das Land verließ, war dies der Auftakt des Arabischen Frühlings, der in mehreren Staaten der Region Domino-Effekte auslöste. Doch in Tunesien blieb der Polizeiapparat, der unter Ben Ali die Herrschaft sicherte, auch nach diesem Einschnitt weitgehend intakt. 2011 seien lediglich 54 Mitarbeiter des Innenministeriums vor die Tür gesetzt worden, sagt Oula Ben Nejma, Vize-Chefin der damals mit den Reformen im Sicherheitsbereich beauftragten Kommission. Und „sie wurden weder vor Gericht gestellt noch bestraft“.
Für eine umfassende Reform des Polizei- und Justiz-Apparats sei „fast ein politischer Kamikaze-Mut“ erforderlich, sagt der Politikwissenschaftler Selim Kharrat. Zwar seien die wichtigsten Richter aus der Ära Ben Alis von der Bühne abgetreten, aber niemand habe sie für ihre Mitverantwortung zur Rechenschaft gezogen. Die Kommission für Wahrheit und Würde (IVD) empfahl, eine interne Überwachung der Polizei und eine Überprüfung der Geheimdienste durch das Parlament sicherzustellen. Beides unterblieb.
Tunesien wurde wegen seiner Fortschritte auf dem Weg zur Demokratisierung gepriesen. 2011 fanden erstmals freie Parlamentswahlen statt, 2014 folgten Präsidentschaftswahlen. Das Land hat seit 2014 eine neue Verfassung, die Meinungsfreiheit ist garantiert. Was aber fehlt, sind Reformen in der Wirtschaftspolitik. Kharrat beklagt ein System der „kapitalistischen Vetternwirtschaft“, das vom Staat gefördert werde. In Amtsstuben werden Entscheidungen mit der Begründung verschleppt, niemand wolle „ohne politischen Rückhalt ein Dokument unterzeichnen“.
Wirtschaftliche Probleme
Ein Beispiel sind die Lastwagentransporte. Der Staat verpflichtet die Spediteure, entweder nur einen Lkw in Betrieb zu haben oder mindestens 18. Damit würden „die großen Player“ bevorzugt und könnten sich den Markt „ohne Konkurrenz“ untereinander aufteilen, beklagt Louaï Chebbi von der Organisation Alerte. Bei den Autos ist es nicht anders. Nur ein Konzessionär kann Wagen einer Marke importieren.
Diese Entwicklungen kommen in der Bevölkerung schlecht an. Im Korruptions-Wahrnehmungs-Index der Organisation Transparency International fiel Tunesien zwischen 2010 und 2017 um 15 Plätze zurück. Inflation, steigende Arbeitslosigkeit und Covid-Pandemie tun ihr Übriges. Die wirtschaftlichen Probleme könnten „alles in Frage stellen, was politisch erreicht wurde“, sagt Radhouane Erguez vom Experten-Büro Joussour. Das könnte in politische Nostalgie mit einer nachträglichen Höherbewertung der Ära Ben Ali münden. (AFP)
De Maart
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