Kein Beinbruch, aber auch keine Bagatelle: So lassen sich die Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom gestrigen Dienstag zusammenfassen. Die Karlsruher Richter hatten massive Kritik am Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) geäußert. Doch Politik und Börse ließen sich davon zunächst kaum erschüttern.
An der Frankfurter Börse ging es erst steil bergab, dann erholten sich die Kurse wieder. Nach dem ersten Schock über die harschen Worte aus Karlsruhe beruhigten sich die meisten Anleger damit, dass die Zentralbank ihr wichtiges Sonderprogramm gegen die Corona-Krise weiterführen darf. Auch in der Brüsseler EU-Kommission kehrte schnell wieder Ruhe ein. Bei der Urteilsverkündung um 10 Uhr hatten viele EU-Experten noch an ihren Monitoren geklebt, um das Urteil live mitzuverfolgen. Zwei Stunden später warb Chefsprecher Eric Mamer schon wieder für Gelassenheit.
Man werde das Urteil in aller Ruhe analysieren, sagte Mamer. Fragen nach der Drei-Monats-Frist, die das Karlsruher Gericht gestellt hat, wehrte er ab. Dabei könnte sich diese Frist als Zeitbombe erweisen – und die Bundesbank zum Rückzug aus dem EZB-Programm zwingen. Dass sich die auch die Brüsseler Behörde Sorgen macht, lässt sich aus einer weiteren Bemerkung Mamers herauslesen. Das Europarecht habe Vorrang, sagte der Sprecher von Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs seien für alle bindend.
Das lässt sich als Warnung an das Bundesverfassungsgericht verstehen, die nationalen Kompetenzen nicht zu überschreiten. Die Richter hatten sich offen gegen den EuGH in Luxemburg gestellt. Dies könnte zu schweren juristischen Konflikten führen, fürchtet man nun in Brüssel.
Berlin steht auf der Bremse
Wie unterschiedlich der Richterspruch ausgelegt werden kann, zeigen auch die Reaktionen aus dem Europaparlament. Zufrieden äußerte sich der EVP-Finanzexperte Markus Ferber. Die von den Richtern geforderte Verhältnismäßigkeitsprüfung sei zu begrüßen: „Es handelt sich um eine formale Hürde, die nun schnell genommen werden muss.“ Erfreut zeigt sich auch die AfD. „Das Verfassungsgericht zeigt auf, wer am Ende entscheidet – das deutsche Gericht und der deutsche Gesetzgeber, nicht der Europäische Gerichtshof“, sagte der Leiter der AfD-Delegation im EU-Parlament, Jörg Meuthen.
Vor weitreichenden Folgen warnte dagegen Sven Giegold von den Grünen. „Die Lehre aus dem Urteil muss sein, dass die Regierungen der Eurozone die EZB nicht länger allein lassen dürfen.“ Giegold hält es für „brandgefährlich“, dass die deutsche Regierung eine solidarische Fiskalpolitik blockiere. Nötig sei nun ein Impuls aus Berlin. Zuletzt hatte es Spannungen wegen des Rettungspakets für die Eurozone und ein „Recovery Instrument“ für angeschlagene EU-Staaten gegeben. Die EU-Kommission bereitet einen Vorschlag für ein neues Billionen-Programm vor, Berlin steht auf der Bremse. Der ursprünglich schon am Mittwoch erwartete Vorschlag der Kommission wurde daher um ein bis zwei Wochen verschoben.
Die Deutschen blasen zum Angriff auf die Institution EU.Langsam tasten sich die kleinen Seehofers, Söders voran , die Saat antieuropäischer Politik geht auf. Biedermann und die Brandstifter sägen an den Fundamenten Europas .