Donnerstag30. Oktober 2025

Demaart De Maart

SchwedenDer Streit zwischen Befürwortern und Gegnern des Corona-Sonderweges wird schärfer

Schweden / Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern des Corona-Sonderweges wird schärfer
Nicht nur der Vater des schwedischen Sonderweges während der Corona-Pandemie, der Epidemiologe Anders Tegnell, wird öffentlich angefeindet  Foo: AFP/TT News Agency/Jonas Ekstromer

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Nach Todesdrohungen bekommen mehrere Mitarbeiter des schwedischen Gesundheitsamtes Polizeischutz, darunter der Verfechter des Sonderweges des Landes während der Corona-Pandemie Anders Tegnell.

„Es hat eskaliert und wir spüren das täglich“ so Johan Carlson, Direktor des schwedischen Gesundheitsamtes am Donnerstag gegenüber der heimischen Nachrichtenagentur TT. Auch Familienmitglieder seien betroffen. „Von Zorn erfüllt“ ist Premierminister Stefan Löfven, dass Mediziner der Behörde so bedroht würden. Das Gesundheitsamt entwarf im engen Verbund mit der rot-grünen Minderheitsregierung einen anderen Weg in der Pandemie als die meisten Staaten: Schweden vermied einen Lockdown im vergangenen März. Als Kopf des Sonderwegs gilt der Staatsepidemiologe Anders Tegnell, er bekommt besonders viele unfreundliche bis drohende Mails mit Erschießungsfantasien.

Gegner der Krisenpolitik verweisen auf die 12.598 Tote, die bislang an Covid-19 starben, sowie auf die 627.022 Ansteckungen mit SARS-CoV-2. Das Land hat es versäumt, die Alten in den Pflegeheimen ausreichend zu schützen. Dies wies auch eine Untersuchungskommission im Dezember nach, die auf Druck der Opposition im Juni von der Regierung einberufen wurde.

Eskaliert ist die öffentliche Auseinandersetzung in der vergangenen Woche. Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Sveriges Radio hatten Zugang zur geschlossenen Facebookgruppe „Media Watchdog Sweden“ bekommen und vermeldeten in ihrem Bericht „Beunruhigendes“. Im Forum der 200 Mitglieder würde man die schwedische Nation als „gehirngewaschen“ ansehen. Es herrschten zudem ein grober Ton sowie Nazivergleiche. Vom Radiosender befragte Kommunikationsexperten sehen eine Kampagne gegen Schweden und schwedische Interessen im Ausland, ähnlich wie zu Kriegszeiten.

Kopf der Gruppe, der auch Ärzte und Wissenschaftler angehören, ist der irische PR-Experte Keith Begg. Er dementierte jedoch gegenüber den schwedischen Medien, dem Ansehen Schwedens schaden zu wollen. Mitglieder der Gruppe konnten ihre Kritik in renommierten Veröffentlichungen wie der The Washington Post, Time und Science äußern. Die Gruppe sei „eine Gefahr für die Demokratie“, meint Emma Frans, eine in Schwedens Medien präsente Epidemiologin. Der Watchdog würde Journalisten und Wissenschaftler „systematisch schikanieren“ und einschüchtern, damit diese nicht mehr publizierten.

Konkret gemeint ist der Epidemiologie-Professor Jonas Ludvigsson aus Örebro. Dieser erklärte vergangene Woche, nicht mehr zum Thema Covid-19 forschen zu wollen, da er durch Drohungen keinen Schlaf mehr fände. Die Wut der Sonderweg-Gegner hatte seine im Januar publizierte Studie entfacht, die belegte, dass das Ansteckungsrisiko für Schüler und Lehrer in Grundschulen gering sei. In Schweden sind derzeit die Schulen grundsätzlich offen, können jedoch bei einem lokalen Ausbruch vom Rektorat geschlossen werden.

Drohungen und digitales Mobbing

Auf der anderen Seite beklagen sich die Sonderwegkritiker über Drohungen und digitales Mobbing. So etwa die 22 Forscher, die seit dem Frühjahr Gegenpositionen veröffentlichten und sich zum „Wissenschaftsforum Covid-19“ zusammengeschlossen haben. Einige von ihnen erklärten im Herbst, Schweden als Forschungsstandort verlassen zu wollen, um nicht permanente Angriffe ertragen zu müssen. Ihre Kritik deckt sich in etwa mit der Watchdog-Gruppe, jedoch ist ihr Auftreten und ihr Ton gemäßigter.

Zudem weckt die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders Kritik: In der Zeitung Aftonbladet wird der Vorwurf der „Stasi-Stimmungsmache“ gegenüber dem Radio erhoben. Die Verantwortlichen des Radios weisen eine zu einseitige Berichterstattung von sich.

Das Klima scheint auch darum so angeheizt, da sich die britische Mutante B.1.1.7 bis auf die Insel Gotland in jeder Region des Landes ausgebreitet hat und die Angst vor einer dritten Welle umgeht, vor der auch Tegnell eindringlich warnt. Das Vertrauen der Bevölkerung in das Gesundheitsamt ist jedoch mit der zweiten Welle, die im November einsetzte, gesunken. Standen Ende Oktober noch 71 Prozent hinter den Entscheidungen der Behörde, waren es Ende Dezember nur noch 47 Prozent.

Die Attacken seien nach Aussagen des Behördenchefs Johan Carlson „orchestriert“ und nicht das Werk Einzelner, die Inhalte seien ähnlich, kämen in Wellen und würden viele Mitarbeiter der Behörde erreichen.