SerbienDer Staat lässt unabhängigen Medien und Journalisten immer weniger Raum

Serbien / Der Staat lässt unabhängigen Medien und Journalisten immer weniger Raum
Serbische Pressevielfalt: Zeitungen mit derselben Wahlreklame für Präsident Aleksandar Vucic auf den Titelblättern an einem Belgrader Kiosk Foto: Thomas Roser

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Erneut hat die EU dem Beitrittskandidaten Serbien „begrenzte Fortschritte“ in Sachen Meinungsfreiheit bescheinigt. Über Rückschritte klagen hingegen die Betroffenen: Das von der Regierungspartei SNS orchestrierte Mediendunkel engt den Spielraum für unabhängige Medien und Journalisten immer weiter ein.

Auch Journalistenpreise schützen in Serbien nicht vor den Schikanen der Macht. Ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro – mehr als ein durchschnittliches Jahreseinkommen in Serbien – soll Vuk Cvijic dem SNS-Abgeordneten Vladimir Djukanovic für erlittene Seelenqualen berappen. Der Grund: Der preisgekrönte Enthüllungsjournalist hatte aus einem Polizeiprotokoll die Aussage eines Inspektors zitiert, dass der Politiker ihm über Mittelsmänner 100.000 Euro zur Einstellung der Ermittlungen nach parteinahen Hintermännern einer 2019 aufgeflogenen Cannabis-Plantage angeboten habe.

Die Einschüchterungsklage solle nicht nur ihn unter Druck setzen, sondern alle Journalisten, die ihrer „Arbeit professionell nachgehen“, sagt der Redakteur des Wochenmagazins NIN: Die Schimpftiraden von Regierungspolitikern gegen missliebige Journalisten vermehrten sich genauso wie der Druck auf die wenigen unabhängigen Medien – und deren Anzeigenkunden: „Es wirkt wie dem Lehrbuch für Autokraten entnommen: Übernimm als Erstes die Medien – und die ganze Gesellschaft geht in eine Richtung, die mit Demokratie nichts zu tun hat.“

Von dem 79. auf den 91. Rang ist der EU-Anwärter in der alljährlichen Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ 2023 gepurzelt. Achselzuckend reagiert Cvijic auf den jüngsten Fortschrittsbericht der EU-Kommission, demzufolge Serbien bei der Meinungsfreiheit „begrenzte Fortschritte“ erzielt habe: „Hier gibt es keine Fort-, sondern nur Rückschritte. Die Bedingungen für Journalisten verschlechtern sich von Jahr zu Jahr.“

Selbst in der Ära des früheren Autokraten Slobodan Milosevic, dessen Regime in den 90er Jahren mehrere Journalisten liquidieren ließ, habe es „viel mehr freie Medien“ gegeben, so Cvijic: „Heute wird der Druck auf die letzten freien Medienoasen zwar nicht so gewalttätig, aber viel systematischer, präziser und umfassender ausgeübt.“

Präsidenten-Partei hat Finger im Spiel

In der Redaktion von „N1“ künden Kugelwesten und Helme von den jüngsten Reisen der Reporter des Nachrichtensenders nach Israel. Doch noch mehr als die blutige Weltlage macht Programmdirektor Igor Bozic sein journalistischer Arbeitsalltag zu schaffen: „Die Regierung hat N1 zu einem vom Ausland gesteuerten Ungeheuer, zum Sündenbock und Feind des Landes gemacht.“

Ob der öffentlich-rechtliche Sender RTS oder die Privatsender „Happy“, „Prva“ oder „TV Pink“ – alle TV-Sender mit landesweiter Ausstrahlung werden von der SNS oder parteinahen Geschäftsleuten kontrolliert. Während der autoritär gestrickte Staatschef Aleksandar Vucic im Wahlkampf derzeit fast täglich in einem seiner Haussender zu endlosen Monologen ansetzt, wird N1 von Regierungspolitikern seit Jahren konsequent boykottiert – und diffamiert.

Lakonisch berichtet Bozic über die „sehr vielschichtigen“ Anstrengungen der Machthaber, den 2014 lancierten Kabel-TV-Sender zu diskreditieren und die Arbeit seiner Journalisten und Verbreitung seines Programms zu behindern: „Diese Regierung will keine freien Medien – und keine unbequemen Fragen.“

Dabei hatte sich der EU-Anwärter schon 2011 mit der Verabschiedung einer ersten und 2020 mit einer zweiten „Medienstrategie“ zum Rückzug des Staats aus dem Mediensektor verpflichtet. Staatliche Medien sollten privatisiert werden. Gleichzeitig sollte der Staat den Sektor nur noch indirekt durch Zuschüsse für förderungswürdige Medienprojekte unterstützen.

Doch statt wie gelobt, den staatlichen Zugriff auf die Medien zu lockern, hat Belgrad diesen seit der Machtübernahme der SNS 2012 systematisch verstärkt. Einerseits kamen bei der Privatisierung Dutzender Lokalsender nur parteinahe „Investoren“ aus dem Dunstkreis der SNS zum Zuge. Andererseits werden von den Kommunen und der Regierung fast ausschließlich regierungsnahe Medien mit Fördergeldern bedacht.

Regierung herrscht über Medienmarkt

Eigentlich seien die rechtlichen Rahmenbedingungen „völlig ausreichend, um eine normale Atmosphäre für die Entwicklung der Medien zu sichern“, sagt Tamara Filipovic, die Generalsekretärin der Journalistengewerkschaft NUNS: „Aber die schlechte Umsetzung hat selbst gute Gesetze in das Gegenteil von dem verkehrt, wie das eigentlich geplant war.“

„Simulierte Fortschritte“ konstatiert die Gewerkschaftsfrau, die weiß, wovon sie spricht: Jahrelang war Filipovic an den zähen Verhandlungen zur Vorbereitung der kürzlich verabschiedeten Mediengesetze beteiligt. Zwar hätten die Berufsverbände „in Teilbereichen“ Verbesserungen wie mehr Transparenz bei der Vergabe der Fördergelder erstritten. Doch mit von der Regierung im letzten Moment zugefügten und von der EU durchgewunkenen Passagen sei dem Staat die Rückkehr auf den Medienmarkt mithilfe der Telekom „völlig freigestellt“: „Die Telekom kann ihren Medienbesitz nun noch weiter ausweiten – und das dürfte zu neuen Störungen auf den Märkten führen.“

Seit 2018 ist die mehrheitlich staatliche Telekom Srbija zum Schlüsselinstrument der Regierung zur Kontrolle der Medienmärkte geworden: Belgrad nutzt die dank des Aufkaufs kleinerer Kabelnetzbetreiber zum größten Anbieter mutierte Telekom dazu, den Kabel-TV-Sendern N1 und Nova der in den Niederlanden registrierten United Group (UG) Zuschauer und Marktanteile abzugraben.

Eigentlich hätte Milija Zekovic allen Grund zur Zufriedenheit. „In den Regionen, wo wir unsere Dienste anbieten können, haben wir eine sehr starke Position“, versichert der hochgewachsene Vorstandschef des Kabelnetzbetreibers SBB. Doch in weiten Teilen des Landes „erlaubt es uns die Regierung nicht, aktiv zu sein“: „Für uns gibt es in Serbien keinen freien Markt. Wir können unser Netz nicht ausweiten. Die komplette Staatsmaschinerie steht auf der Seite der Telekom – und gegen uns.“

Ungleichbehandlung von Unternehmen

Nur über das SBB-Netz seien N1 und Nova noch zu empfangen, erklärt Zekovic die sich seit Jahren mehrenden Hindernisse für sein Unternehmen: „Wo keine SBB, da kein N1: Das Ziel der Telekom ist es, den Marktanteil der SBB so zu reduzieren, damit möglichst wenig Leute unsere Sender noch schauen können.“

Noch immer hätten 40 Prozent der Serben, „keine Chance, die TV-Sender, die nicht unter Kontrolle der Regierung stehen, zu empfangen“, sagt Zekovic. Er weist auf einer Landkarte an seiner Bürowand auf die Lücken im SBB-Netz vor allem im Süden und Norden des Landes: „Wir stellen ständig Anträge, um neue Kabel verlegen zu können. Aber die Kommunen ziehen diese endlos in die Länge: Während die Konkurrenz dieselben Genehmigungen in wenigen Tagen erhält, dauert das bei uns mittlerweile drei bis vier Jahre.“

Willkürlich habe der staatliche Energieversorger EPS die Nutzungsgebühren für seine Strommasten für SBB-Kabel 2020 um bis zu 100 Prozent erhöht. Ein weiteres Problem seien die Kanalschächte der Telekom, deren Nutzung sie laut Gesetz auch anderen Anbietern gestatten müsse: „In den letzten drei Jahren wurden 99 Prozent unserer Anträge mit der Begründung abgelehnt, dass es keinen Platz für weitere Kabel gebe. Und wenn wir uns bei der Agentur für Telekommunikation beklagen, gibt diese fast immer der Telekom recht.“

Nicht nur Aufrufe politischer Würdenträger, von der SBB zur Telekom zu wechseln, werden von dem SBB-Chef als „Wettbewerbsverzerrung“ empfunden. Als „völlig widerrechtlich“ bezeichnet er Dumpingangebote der Konkurrenz, dass Neukunden, die von der SBB zur Telekom wechseln, selbst 18 statt zwölf Monate gratis auf dem Festnetz telefonieren dürfen.

EU mehr an Stabilität interessiert

In acht Staaten der Region ist die UG-Tochter „United Media“ (UM) aktiv. Doch nirgendwo stoße sie auf derart große Probleme wie in Serbien, sagt UM-Vorstandschefin Aleksandra Subotic: „Überall werden wir geschätzt – und haben landesweite Sendefrequenzen erhalten. Doch in Serbien sind wir nur über Kabel zu empfangen. Denn die Spielregeln sind hier nicht für alle gleich.“

Was hier mit den Medien geschieht, ist dem Westen egal

Vuk Cvijic, NIN-Reporter

Nicht nur geschäftliche, sondern auch „politische Motive“ veranlassten die UG zu ihren „Attacken“ gegen die Telekom, den Staat und die Familie von Präsident Vucic, behauptet hingegen Telekom-Chef Vladimir Lucic. Die EU habe Serbiens Fortschritte in Sachen Medienfreiheit „klar anerkannt“, reagiert derweil Regierungschefin Ana Brnabic zufrieden auf den jüngsten EU-Fortschrittsbericht: Doch immer, wenn ihre Regierung „ernsthafte Reformen“ in Angriffe nehme, hätten „jede Menge Bedenkenträger etwas zu mäkeln“.

Der EU sei „Stabilokratie“ wichtiger als demokratische Reformen, erklärt NIN-Reporter Cvijic deren erstaunliche Langmut gegenüber ihrem Problemanwärter: „Doch ohne diese stagnieren wir – und entwickeln uns zurück.“ Die internationale Gemeinschaft mache aus Furcht, dass sich Serbien endgültig Moskau zuwende, ihren „Deal“ mit Vucic und schaue nur auf den Kosovo, sagt Bozic: „Was hier mit den Medien geschieht, ist dem Westen egal.“

NIN-Reporter Vuk Cvijic: „Die Bedingungen für Journalisten verschlechtern sich von Jahr zu Jahr“
NIN-Reporter Vuk Cvijic: „Die Bedingungen für Journalisten verschlechtern sich von Jahr zu Jahr“ Foto: Thomas Roser
Milija Zekovic, Vorstandschef des Kabelnetzbetreibers SBB: „Für uns gibt es keinen freien Markt. Die komplette Staatsmaschinerie steht gegen uns.“
Milija Zekovic, Vorstandschef des Kabelnetzbetreibers SBB: „Für uns gibt es keinen freien Markt. Die komplette Staatsmaschinerie steht gegen uns.“ Foto: Thomas Roser