ÖsterreichCorona-Frust und Korruptionsaffären setzen der ÖVP zu

Österreich / Corona-Frust und Korruptionsaffären setzen der ÖVP zu
Die Partei des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz hat derzeit keinen guten Lauf Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa

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Österreichs erfolgsverwöhnter Kanzler Sebastian Kurz erlebt ein Popularitätstief. Und das liegt nicht nur am zunehmend kritisierten Corona-Krisenmanagement.

Die türkis-grüne Regierung arbeitet gerade an einem großen „Comeback-Plan“, der Österreich nach der Pandemie wieder auf die Überholspur bringen soll. Ziel ist es, nicht weniger als einer halben Million Menschen wieder zu einer Vollbeschäftigung zu verhelfen.

Nicht zuletzt soll der Plan auch den Arbeitsplatz des Kanzlers sichern. Denn der hat ebenfalls einen Comeback-Plan nötig. Gemessen an seinen Popularitätsrekorden früherer Jahre befindet sich Kurz seit Wochen in einem stetigen Tiefflug. Gleich mehrere Umfragen bestätigen den Abwärtstrend des ÖVP-Chefs samt seiner Partei, auch wenn Platz eins momentan noch nicht gefährdet scheint.

Das Nachrichtenmagazin profil präsentiert in seiner Montag-Ausgabe eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unique Research, der zufolge die ÖVP in der Sonntagsfrage nur noch auf 33 Prozent kommt, zwei Prozentpunkte weniger als im März und 15 Punkte weniger als vor einem Jahr, als die Türkisen mitten im ersten Lockdown schon an der absoluten Mehrheit kratzten. Kurz’ Performance ist sogar noch schlechter als die seiner Partei. Hätte der Kanzler vor einem Jahr in einer Direktwahl noch mit satten 55 Prozent der Stimmen rechnen können, wäre es jetzt mit 27 Prozent nicht einmal mehr halb so viele.

Interessanterweise kommt derzeit ein früher für geradezu naturgesetzlich gehaltenes Phänomen nicht zum Tragen: In einer Koalition hat der Juniorpartner im Schatten der Kanzlerpartei die schlechteren Karten. Auf die Grünen trifft dies derzeit nicht zu, obwohl sie mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober eine zentrale Figur des schwächelnden Corona-Krisenmanagements stellen. Die Öko-Partei konnte in der Sonntagsfrage von März auf April sogar um zwei auf zwölf Prozent zulegen. In der Kanzlerfrage spielt Parteichef Werner Kogler allerdings trotz eines Zugewinns von vier auf fünf Prozent keine Rolle.

Affären überlagern Covid

Die Erklärung für die stabile Lage der Grünen liefert die in den Medien zutage tretende Themenpräferenz: Corona ist zwar nach wie vor mit schlechten Nachrichten über weiter steigende Infektionszahlen und streitende Krisenmanager stark präsent, doch die ÖVP kämpft allein an einer zweiten Schlagzeilenfront: Die im Zuge der Ermittlungen zu „Ibizagate“ aufpoppenden Affären machen weniger dem Urheber des ursprünglichen Skandals – also der FPÖ – zu schaffen, als vielmehr der Kurz-Partei. Da gab es eine Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), in deren Folge ein ÖVP-naher Sektionschef im Justizministerium suspendiert wurde, weil sich auf dessen beschlagnahmtem Handy nicht nur die Einstufung des Vorgehens gegen den Minister als „Putsch“ fand, sondern illegalerweise auch der oberstaatsanwaltschaftliche Vorhabensbericht über die anstehende Hausdurchsuchung. Eine andere Hausdurchsuchung bei einem Wiener Großinvestor soll der Justizbeamte an dessen Anwalt verraten haben. Dabei handelt es sich um den früheren ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter, der inzwischen Verfassungsrichter ist und alles bestreitet. Strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Höchstrichter hat es in der Geschichte der Zweiten Republik noch nicht gegeben.

Kurz-Freund Blümel steht auch im Zentrum des ebenfalls als Nebenstrang des Ibizagate-Dramas aufgedeckten ÖBAG-Skandals. Die ÖBAG verwaltet die staatlichen Beteiligungen an Konzernen wie Voestalpine, ÖMV oder Telekom-Austria im Wert von 26 Milliarden Euro. Den Chefposten dort hatte Blümel noch in der – nach dem Ibiza-Video geplatzten – türkis-blauen Koalition dem treuen Parteifreund Thomas Schmid zugeschanzt, der sich die Ausschreibung für den mit 400.000 Euro dotierten Posten als damaliger Generalsekretär des Finanzministeriums selber schreiben durfte. Kanzler Kurz hat inzwischen eine Anzeige wegen Falschaussage am Hals, weil er im parlamentarischen Untersuchungsausschuss erklärt hatte, in ÖBAG-Personalia nicht involviert gewesen zu sein. SMS auf Schmids beschlagnahmtem Handy zeichnen ein anderes Bild.

SPÖ kann nicht punkten

Vor diesem Hintergrund ist es verwunderlich, dass die Opposition von den Turbulenzen der Kanzlerpartei nicht stärker profitiert. Die SPÖ legte in der Sonntagsfrage von März auf April gar nicht zu und verharrt bei 24 Prozent. Das ist allerdings im Jahresvergleich immerhin ein Plus von acht Prozentpunkten. In der Kanzlerfrage legt Parteichefin Pamela Rendi-Wagner im Monatsvergleich nur um einen Punkt auf 16 Prozent zu. Ihr Problem: Die angesehene Epidemiologin kann ihren Berufsbonus in der Pandemie nicht voll ausspielen, weil ihr weniger sachkundige, dafür umso einflussreichere Genossen immer wieder in die Suppe spucken. Als Rendi-Wagner etwa einen harten und konsequente Lockdown forderte, dachten der burgenländische SPÖ-Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil über das Aufsperren von Thermen und der Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig über das Öffnen von Gastgärten nach.

Während auch die liberalen Neos von ihrer akribischen „Ibizagate“-Aufklärungsarbeit nicht profitieren und im April sogar zwei Punkte auf zehn Prozent zurückfielen, steht ausgerechnet die FPÖ wieder als Krisengewinnler da. „Wir holen uns die Wähler von der ÖVP zurück“, bejubelt Parteichef Norbert Hofer die jüngste Umfrage, die die FPÖ schon wieder bei 19 Prozent (plus 2) sieht. Damit liegen die Rechtspopulisten schon wieder sechs Punkte über ihrem Tief vor einem Jahr. Offensichtlich gelingt es der FPÖ, „Ibizagate“ allmählich abzuschütteln. Angesichts der zunehmend auf die ÖVP fokussierten Wahrnehmung dieses Jahrhundertskandals ist das nicht einmal verwunderlich.