EU-InnenministerAsselborns einsamer Kampf: Die EU sperrt sich gegen die Aufnahme von Menschen aus Afghanistan 

EU-Innenminister / Asselborns einsamer Kampf: Die EU sperrt sich gegen die Aufnahme von Menschen aus Afghanistan 
Harte Verhandlungen: Jean Asselborn vor dem Ministertreffen am Dienstag in Brüssel Foto: AFP/François Walschaerts

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Die EU will vorerst keine konkreten Zusagen zur Aufnahme von Menschen aus Afghanistan machen. „Anreize zur illegalen Migration sollten vermieden werden“, heißt es in der am Dienstag verabschiedeten Erklärung. Asselborn hatte dagegen angekämpft – und musste die Erklärung am Ende doch mittragen. Was bleibt, ist ein winziger Lichtblick.

„In der Politik wie im richtigen Leben braucht man, wenn es um Menschenrechte geht, klare Kante, man braucht Standhaftigkeit und Engagement.“ Nicht, dass deutliche Ansagen von Jean Asselborn in Brüssel etwas Ungewöhnliches wären, aber die Worte des Luxemburger Außenministers, der auch für Immigration und Asyl zuständig ist, klangen am Dienstag vor der Dringlichkeitssitzung der Innenminister der Europäischen Union (EU) anders als sonst. Dringlicher. Kämpferisch tritt Asselborn ja oft auf. Am Dienstag auch wieder, aber dieses Mal klang im Kämpferischen auch Verzweiflung mit.

Das Treffen war wegen der Lage in Afghanistan einberufen worden – und wegen der Angst in Europa vor unkontrollierter Migration aus dem Land, in dem nun die Taliban wieder herrschen. Am Abend zuvor hatte Luxemburgs Außenmister den Entwurf einer EU-Erklärung blockiert. Er tat das zum ersten Mal in 17 Jahren Amtszeit. Was war passiert?

In dem von der slowenischen Ratspräsidentschaft vorgelegten Entwurf zur gemeinsamen Erklärung, den außer Luxemburg alle Mitgliedstaaten mittrugen, fehlte am Montag jedweder Bezug zur Aufnahme bedrohter Menschen aus Afghanistan in der EU. Keine Richterinnen, die Taliban verurteilt hatten, keine Journalistinnen, die kritisch über die Taliban berichteten. Keine Menschenrechtler und auch keine Kinder. Alle sollen in den Nachbarländern Afghanistans unterkommen, die Rechnung könne dann ruhig nach Brüssel und die europäischen Hauptstädte geschickt werden.

Vom Minimalkompromiss …

In seinem Doorstep-Interview vor dem Ministertreffen rechtfertigte Asselborn seine Haltung. Er sei „fest überzeugt, dass die EU sich mehr einbringen könne, um Menschen in Lebensgefahr aufzunehmen“. Asselborn hatte da bereits nachgeben müssen. Eine Quote zur länderübergreifenden Verteilung? War ausgeschlossen. „Das geht jetzt nicht mehr in diesem zweiten Leben der EU“, sagte Asselborn, „das muss man einsehen“. Auch für seinen Vorschlag, die EU sollte 40.000 bis 50.000 Resettlement-Plätze für afghanische Flüchtlinge zur Verfügung stellen, fand der dienstälteste Außenminister der EU keine Verbündeten. Zumindest vorerst nicht, nicht unter seinen EU-Ministerkollegen.

Er würde also die folgenden Stunden mit den anderen EU-Innenministern um einen Minimalkompromiss ringen müssen, das war Asselborn vor dem Treffen klar. Wenigstens eine Referenz auf die G7-Erklärung sollte es sein, erklärte er vor dem Treffen. Am 24. August hatten die sieben größten Industrienationen angekündigt, besonders bedrohten Afghanen Schutz zu bieten. „Wir werden untereinander, mit Nachbarstaaten und mit anderen Staaten in der Region, die Flüchtlingen Schutz bieten, im Hinblick auf ein abgestimmtes Konzept für sichere und legale Wege für Resettlement zusammenarbeiten“, heißt es in dem Text, auf den Asselborn wenigstens irgendeine Referenz in der EU-Erklärung sehen wollte. Sonst? „Ich werde kämpfen“, sagte Asselborn.

Luxemburgs Außenminister war zuvor bereits in den Ring gestiegen. In einem am Dienstagmorgen erschienenen Interview mit der Welt hatte Asselborn die Einstellung des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz und des slowenischen Regierungschefs Janez Jansa scharf angegriffen. Beide sind bekannt für ihre migrationsfeindliche Haltung und hatten auch jetzt angekündigt, keinen Afghanen aufnehmen zu wollen. Damit seien sie „klar und definitiv im Einklang mit Orban, Salvini und Le Pen“, befand Asselborn, und damit würden sie „die Qualität, ein Europäer zu sein“, verlieren. Auch hoffe er, „dass es Widerstand gibt gegen den Herrn Kurz“. Österreichs Außenministerium reagierte prompt mit einer Aussendung und unterstellte Asselborn „billigen Populismus“. Von Deutschlands Innenminister Horst Seehofer gab es später noch einen obendrauf. Mit Blick auf Luxemburg sagte Seehofer, das kleine Land „sollte ein Stück mehr Rücksicht nehmen auf die Interessen der Hauptaufnahmeländer“.

Asselborn fand dann noch eine Verbündete am Dienstagnachmittag. Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Inneres, erklärte, im September ein Forum für ein Resettlement-Programm der EU in Brüssel abzuhalten. Asselborn hatte sie in einem Vieraugengespräch darum gebeten – und lenkte am Ende nach dieser Zusage für ein Neuansiedlungsforum ein.

… zum Minimalstkompromiss

Am Dienstagabend gab die EU-Kommissarin zusammen mit dem slowenischen Innenminister Ales Hojs noch eine Pressekonferenz zu dem Forum. Während dieser musste die Kommissarin den Slowenen dabei unterbrechen, wie er illegale Pushbacks an den EU-Außengrenzen verteidigte. Später sagte Hojs noch, jeder afghanische Flüchtling, der nach Europa komme, sei ein potenzieller Terrorist. Die EU-Kommissarin spricht von Resettlement, der Innenminister des Staates, der die Ratspräsidentschaft ausübt, schürt Angst vor Migration schutzbedürftiger Menschen und setzt sich damit in der EU durch – die politische Geisteshaltung Europas hätte nach diesem langen Tag mit ungewöhnlich heftigem Streit kaum besser zusammengefasst werden können.

Johansson hatte bereits zuvor auf Twitter geschrieben, sie werde „im September ein hochrangiges Neuansiedlungsforum einberufen, um mit den Mitgliedstaaten konkrete Prioritäten zu erörtern und nachhaltige Lösungen für die am stärksten gefährdeten Afghanen zu finden“. Dass die Initiative dazu aus Luxemburg gekommen wäre, erwähnte sie nicht. Das Luxemburger Außenministerium selbst reagierte  umgehend auf Twitter und schrieb, das Forum sei auf „das Verlangen Luxemburgs hin“ von der EU-Kommission einberufen worden. Von der EU-Kommission hieß es später dazu, Luxemburg sei „Teil der guten Diskussionen“ gewesen.

Im September werden sich die einzelnen EU-Mitgliedstaaten an dem Forum beteiligen können – oder auch nicht. Eine Pflicht gibt es keine. So werden sicherlich bedrohte Afghanen eine Aufnahme in einem Land der EU finden können. Zu einem gemeinsamen Bekenntnis für Solidarität ist die EU im Jahr 2021 offensichtlich nicht fähig. Auch wenn er der gemeinsamen EU-Erklärung schlussendlich zustimmte, zeigte sich Asselborn nach dem Ministertreffen erleichtert und gibt sich nicht geschlagen. Einige Länder hätten sich am Ende des Ministertreffens für seine ursprüngliche Blockade bedankt. „Gut, dass ich gestern geblockt habe“, sagte Asselborn dem Tageblatt am Dienstagabend. „Und gut, dass es jetzt wenigstens zu dem Resettlement-Versuch kommt.“

Resettlement – was ist das? 

Beim Resettlement handelt es sich um Umsiedlungen auf einem legalen und sicheren Weg in die EU in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Diese werden wahrscheinlich von Nachbarländern Afghanistans aus organisiert. Es gibt bereits Resettlement-Programme aus dem Sahel-Staat Niger in die EU. Knapp 50 Menschen kamen in diesem Rahmen auf legalem Weg nach Luxemburg. Staaten können sich gegenüber den Vereinten Nationen verpflichten, eine gewisse Zahl an Menschen, deren Anspruch auf Asyl bereits vor Ort geprüft wurde, innerhalb eines gewissen Zeitraums mithilfe des UNHCR einreisen zu lassen.

Miette
2. September 2021 - 21.36

@Hatfield Ich kann und will den Vergleich zwischen politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen nicht gelten lassen. Aber ich kann verstehen, was gemeint ist. Klar leben viele Luxemburger im nahen Ausland, da hier in Luxemburg die Wohnungen/Häuser mittlerweile unerschwinglich sind. Mit friedlichen Grüssen zur Nacht❣

Leila
2. September 2021 - 20.42

Warum sollte man seinen wahrhaften Namen nennen? Der Jang Muller-Meyer kann genauso erlogen sein, erzeugt aber einen aufrechten und mutigen Eindruck. Hat J.A. nicht mal einen, der naiv genug war, bei fb etwas über ihn zu schreiben, was sein Missfallen erregte (bin nicht bei fb, deswegen weiß ich auch nicht, was es war) in die Öffentlichkeit gezerrt oder vor Gericht zitiert? Ich würde in seiner Position nicht mal zugeben, dass ich zeitverschwendend fb interessiert lese, geschweige dass es mich verletzt, denn: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!

Jean Lichtfous
2. September 2021 - 19.35

@Realist: es war ein Versuch meinerseits eine nicht anonyme Antwort von Ihnen zu erhalten. Dies haben Sie verweigert. Na denn

Lagaffe
2. September 2021 - 10.02

Den Turmes as och aus der Vakanz erem, hun de Radio de moien schon missen ausmachen.

Realist
2. September 2021 - 6.27

@Lichtfous: Sie scherzen. Jedes Statement Herrn Asselborns atmet die totale Inkompetenz in Sachen Diplomatie und Wahrung der luxemburger Landesinteressen. So viel Porzellan wie er - völlig unnötig - zwischen bislang mit uns befreundeten Ländern zerschlagen hat, kann kein Nachfolger in 20 Jahren kitten. Hätten alle EU-Aussenminister sein Niveau, würden womöglich längst wieder die Waffen in Europa sprechen. Er redet nicht wie der Chefdiplomat eines Landes, sondern immer noch wie der Dorfbürgermeister abends am Biertresen. Seine ungehobelte "Gutmenschenrhetorik" mag in gewissen, politisch unbeleckten Kreisen ankommen, aber sie ist wohlfeil, geht an der Realität völlig vorbei und hat mit reeller Aussenpolitik nichts zu tun.

Hatfield
1. September 2021 - 22.22

@ miette und Realist Aus politischen Gründen muss in Luxemburg keiner aus dem Land flüchten? Stimmt leider nur bedingt. Was ist den mit den Tausenden von " Wirtschaftsflüchtlingen " die aus Luxusburg flüchten müssen, weil Sie sich schlichtweg ein Leben zuhause nicht mehr leisten können und dann in den Nachbarstaaten aufgenommen werden. Nicht im Flüchtlingsheim, aber trotzdem im Ausland. Daran ist doch vor allen Dingen die Politik schuld? !

Jean Lichtfous
1. September 2021 - 15.19

@Realist: Jean Asselborn, ein Dilettant ? Können Sie das näher erklären, oder bewerben Sie sich schon mal für den Posten ? "eine permanente Destabilisierung der hiesigen Verhältnisse" ? Welche Verhältnisse werden permanent destabilisiert ? Danke für Ihre Antworten. Mit Ihrem vollen Namen statt sich hinter einem Pseudo zu verstecken.

Pol
1. September 2021 - 11.59

Asselborn repräsentiert eine Partei, die bei den letzten Parlamentswahlen nur 18% bekam. Und sogar davon sind viele mit seiner Asylantenpolitik nicht einverstanden. Generell scheint die Führung dieser Partei nicht unbedingt das zu machen, was die Wähler von ihnen verlangen. Beispiel: die Einführung des Wahlrechts für Ausländer und die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. In der Volksabstimmung 2025 wurde dieses Vorhaben von den Luxemburgern regelrecht abgeschmettert. Wenn Asselborn jetzt auf Österreich schimpft, vergisst er, dass Österreich im Verhältnis zu seiner Bevölkerung mehr Asylanten aus Afghanistan aufgenommen hat als Luxemburg. Nach dem Volksaufstand in Ungarn im Jahre 1956 kamen über 190.000 Flüchtlinge nach Österreich, was eine gewaltige Belastung war. Man kann dem Land, historisch gesehen, keinen Vorwurf machen. Asselborns Problem scheint eher zu sein, dass die Partei von Bundeskanzler Kurz eher rechts orientiert ist und er seinen österreichischen Genossen vom linken Rand Schützenhilfe leisten will. Asselborn sollte ein wenig bescheidener auftreten und damit im Ausland nicht den Eindruck erwecken, dass alle Luxemburger seine Meinung vertreten.

migg
1. September 2021 - 11.33

Also,een Diletant ass den Här Asselborn secher nett.Heen kann sech vläicht nett emmer sou diplomatesch ausdrecken,awer soss kritt jo och keen hei de Mond op.

Wieder Mann
1. September 2021 - 11.00

@Realist: Ich freue mich immer, es doch noch Menschen gibt die den Blick für die politischen Realitäten nicht verloren haben, sich nicht der Fiktion einer unrealistisch humanistischen Welt beugen, sich bewusst sind welche Gefahren der Destabilisierung und Ende einer friedlichen Kohabitation am europäischen Horizont lauern können.

HTK
1. September 2021 - 10.29

"Wer sich zumutet immer mehr muslimische oder andere Zuwanderer im Land aufzunehmen,muss damit rechnen,dass die Stabilität und die Sicherheit damit gefährdet sind weil die verschiedenen ethnischen und kulturellen Interessen aufeinandertreffen."(Helmut Schmidt) Bravo. Toleranz ist keine Einbahnstraße.Putin legt das Feuer indem er die kriminellen Köpfe unterstützt und wir vesuchen es zu löschen.

Realist
1. September 2021 - 8.24

Miette: 100% Zustimmung. Allerdings ist das sicher nicht das Verdienst von Dilettanten wie Jean Asselborn. Eher ist das Gegenteil der Fall: Mit seiner "Politik" sorgen er und seinesgleichen nur für eine permanente Destabilisierung der hiesigen Verhältnisse.

Louis Grün
1. September 2021 - 8.04

@Hans Anzahl aller Asylanträge 2020: Luxemburg 1167 - Anerkennungsquote 65 % Österreich 14800 - Anerkennungsquote 38%

schullerpiir
1. September 2021 - 3.20

Wann dat Geld ging geint den Honger an der Welt agesaat gin. An fir médezinesch Hellef. Dat do ass alles wei emmer: " Dommt Gesabels"!!! Dat helleft kengem.

Miette
31. August 2021 - 22.38

Ich bin dankbar in einem Land zu leben, aus welchem ich nicht aus politischen Gründen flüchten muss.

Hans
31. August 2021 - 21.16

2020 Asylanträge von Menschen aus Afghanistan: Luxemburg 94, Anerkennungsquote 36% Österreich 3137, Anerkennungsquote 66%