EIB-Prozess„Wie im Vatikan“: Staatsanwaltschaft fordert 18 Monate Haft

EIB-Prozess / „Wie im Vatikan“: Staatsanwaltschaft fordert 18 Monate Haft
13112020, Luxembourg, Cité Judiciaire, Bâtiment CR et alentours, Place du Saint-Esprit 18, Illustration Tribunaux (Luxembourg), Intérieur et Extérieur, symbole système judiciaire, © Editpress/Fabrizio Pizzolante Foto : Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Der Prozess gegen einen Ex-Mitarbeiter der Europäischen Investitionsbank (EIB) wurde am Dienstag mit den Plädoyers der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft abgeschlossen. Paul H. (50) steht wegen mutmaßlichen Betruges vor Gericht. Dazu kommt eine falsche Aussage im Hinblick auf Subventionsbetrug. 

Am vierten Verhandlungstag verlasen die beiden Verteidiger in ihren Plädoyers eine Stellungnahme, in der sie die Staatsanwaltschaft schwerer Ermittlungsfehler beschuldigten. „Für uns ist klar“, sagte Me Esther Theyskens, „dass Paul H. kein brillanter Lügner ist, wie die Staatsanwaltschaft demonstrieren will. Was soll das Motiv gewesen sein? Er war ein ,top Performer‘ und hatte eine der besten Noten in der Bank. Da kommt doch keiner auf so einen Gedanken, die Bank zu betrügen.“ Das sei absurd, sagte die Anwältin. 

Me Theyskens führte weiter aus, dass die Staatsanwaltschaft die angemessene Frist in dieser Affäre überschritten und dadurch eine außergewöhnlich lange Zeit gebraucht habe, um die Anklage zu begründen. Zwei Jahre hätte man nichts von ihr erfahren. Außerdem ist für die Verteidigung die Anklage rechtlich nicht klar begründet und inhaltlich nicht nachvollziehbar.  

Paul H. bekam keine Chance zur Aufklärung. „Es gab keine Transparenz. Die EIB ist wie der Vatikan. Ich bin damit nicht einverstanden“, sagte Me Walter Van Steenbrugge. Seinem Mandanten sowie der Verteidigung seien elementarste Rechte vorenthalten worden. Für den von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwurf des Betrugs gibt es aus Sicht der Verteidigung „keinen einzigen Ansatzpunkt“. Die Verteidigung vermutet in dem nicht gezeigten Untersuchungsbericht eine Vielzahl vergleichbarer Sachverhalte. Hätte sich die Luxemburger Staatsanwaltschaft nicht auf die voreingenommenen An- und Einsichten der EIB verlassen, wäre es zu dieser Anklage nicht gekommen, sagte der Anwalt. Sogar ein Staatsanwalt hatte gesagt: Un document épuré est inhabituel au Luxembourg.“ So sei auch das Gericht wie die Verteidigung „mise à côté“, sagte die Verteidigerin. 

Der Anwalt kam dann auf den Selbstmord zu sprechen, der 2013 in der EIB passierte und in dem Paul H. Zeuge war. Durch das Verschweigen des Selbstmordes in der EIB habe man „ein größeres Maß an Diskretion gewährleisten“ und damit „Schaden von der EIB abwenden“ wollen. Hier sei genau wie im Fall Paul H. kein Untersuchungsrichter eingeschaltet worden. „Les pouvoirs du juge d’instruction s’arrêtent devant les portes de la BEI“, antwortete der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Die EIB sei eine exterritoriale Organisation mit rechtlichem Sonderstatus. 

„Unbegreifliches Totalversagen“

Auch in weiteren Aspekten erhebt die Verteidigung des Angeklagten öffentlich Einwände: Me Walter Van Steenbrugge beschuldigte die EIB, auf verschlungensten Wegen nach Vorwürfen gesucht zu haben und aus einem Invaliditätsverfahren ein Betrugsdelikt zu machen. Die Staatsanwaltschaft habe zugesehen, wie nach dem Bekanntwerden der Anklage gegen den jetzigen Angeklagten eine „rüde Kampagne ohne die Möglichkeit einer öffentlichen Gegenwehr“ geführt worden sei. Dass hier etwas nicht stimme, sei offensichtlich, aber die Staatsanwaltschaft Luxemburg scheine das nicht zu jucken. Ein unbegreifliches Totalversagen der Anklagebehörde. Und warum habe die Staatsanwaltschaft kein Interesse, den Selbstmord in der EIB restlos aufzuklären? Obwohl der Selbstmord der Frau 2013 mit der Affäre ganz eng zusammenhänge, könne die Staatsanwaltschaft nicht auf diese Affäre eingehen. Obwohl viele Fragen offengeblieben seien, nehme die Staatsanwaltschaft die negativen „Zeugenaussagen“ in der mutmaßlichen Betrugsaffäre achselzuckend zur Kenntnis und stimme einer Verurteilung ungerührt zu. „Unfassbar“, sagte Van Steenbrugge und fordert einen Freispruch für seinen Mandanten. 

Das ließ aufhorchen. Dass hier der Staatsanwalt nachhaken würde, um einen eventuellen Verstoß der Verteidigung zu rügen, wurde deshalb absehbar. 

Wie ein roter Faden

Der Selbstmord in der EIB sei eine tragische Sache, „mais ce n’est pas ce qui nous concerne aujourd’hui“. Es handele sich hier um einen intellektuellen Betrug und um eine moralisch verächtliche Handlung, sagte der Staatsanwalt. In der Affäre würde die Verteidigung nur zwei Dinge sehen: den Suizid und die Verurteilung der Staatsanwaltschaft. Wie ein roter Faden würden sich beides durch den Fall ziehen. Nach ein paar juristischen Erläuterungen gab der Staatsanwalt zu Protokoll: „Il y a eu une erreur dans l’ordonnance du renvoi.“ Ein materieller Fehler hätte sich eingeschlichen. Deswegen habe das Verfahren so lange gedauert. Den Anwälten erklärte er, dass die Staatsanwaltschaft nicht dazu verpflichtet sei, einen Untersuchungsrichter einzubinden. Die Staatsanwaltschaft habe diesen Weg der Untersuchung gewählt. „C’est un choix“, sagte der Ankläger. Er warf der Verteidigung vor, den Fall durch eine Verschwörung zu erklären. Paul H. sei schon vorher krank gewesen und habe von dem Selbstmord profitiert. Er habe den Selbstmord der Frau dazu benutzt und instrumentalisiert.  

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft beantragte eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, die teilweise auf Bewährung ausgesetzt werden kann. Dazu soll der Angeklagte eine Geldstrafe zahlen, die aber vom Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht festgelegt wurde.

Das Urteil soll am 25. Februar gesprochen werden.