Interview mit Geschäftsführer Steve Collar„Ohne Luxemburger Regierung würde es die SES nicht geben“

Interview mit Geschäftsführer Steve Collar / „Ohne Luxemburger Regierung würde es die SES nicht geben“
Steve Collar, Geschäftsführer des Satellitenbetreibers SES: „Ich liebe Raketenstarts. Sie sind eine Verheißung von dem, was noch nachkommen wird.“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Mit der Übertragung von Videos ist die SES groß geworden. Seit einigen Jahren wächst dieser Bereich jedoch nicht mehr. Er schrumpft sogar. In der Folge ist das Unternehmen dabei, sich zu verwandeln. Sicherheit wird zu einem immer wichtigeren Thema. Das Tageblatt hat sich mit SES-Geschäftsführer Steve Collar unterhalten.

Tageblatt: Zuletzt hat die SES wieder mehr investiert und auch das Volumen der Verkäufe hat wieder zugelegt. Ist die Zeit der schlechten Nachrichten nun vorbei?

Steve Collar: Ich glaube, wir sind in einer sehr guten Richtung unterwegs. Die Industrie verändert sich rasant und wir haben gut in neues Wachstum investiert. Dieses Angebot wird nun bald auf den Markt kommen. Auch unsere Finanzzahlen sind sehr gut. Das Unternehmen ist sehr gut positioniert.

Bei den Investitionen denken Sie vor allem an das neue Netzwerk der O3b-mPOWER-Satelliten?

Ja, aber nicht nur. Auch der 2022 gestartete Satellit SES17 stimmt uns zuversichtlich. Sein Ziel ist vor allem das Anbieten von Konnektivität und Cloud-Dienstleistungen für die Luftfahrt in Süd- und Mittelamerika. Mittlerweile ist der Satellit auf seiner Position angekommen. Bereits im Vorfeld haben wir (für SES17 und O3b) Verträge von über einer Milliarde Dollar unterzeichnet – ein Zeugnis von der Zugkraft, die wir im Markt haben. Das verspricht viel Erfolg.

Bei O3b mPOWER handelt es sich für die SES um absolute Rekordinvestitionen?

Ja. Die höchste Investition der Firmengeschichte. Für die geplanten elf Satelliten haben wir zwei Milliarden Euro investiert. Es ist eine sehr hohe Investition, aber die Konstellation in der mittleren Erdumlaufbahn (Medium Earth Orbit; 23.000 Kilometer über der Erde) ist in die wirtschaftlich günstigste Situation. Vier Satelliten sind bereits im Weltraum. Wenn nun im Juni noch zwei weitere hochgeschossen werden, dann können sie ab September damit anfangen, Konnektivitäts-Leistungen zu liefern. Und das während der nächsten zehn Jahre. Ich liebe Raketenstarts. Sie sind eine Verheißung von dem, was noch nachkommen wird.

Für die O3b-mPOWER-Satelliten gibt es eine besondere Form Antennen
Für die O3b-mPOWER-Satelliten gibt es eine besondere Form Antennen Foto: Christian Muller

Wie entwickeln sich die Anteile der beiden wichtigsten Geschäftsbereiche Video und Konnektivität?

Was den Umsatz angeht, so sind wir mittlerweile bei halbe-halbe. Ein richtig schönes Gleichgewicht. Im Bereich Video für Haushalte waren wir vor Jahren der weltweite Pionier. Seitdem war es immer unser wichtigster Geschäftsbereich. Der Bereich beschert uns immer noch einen jährlichen Umsatz von rund einer Milliarde Euro, mehrheitlich aus Europa. Er bringt uns viel Cashflow. Zwar werden die Verkäufe nicht mehr zulegen, doch rechnen wir mit weiterhin stabilen Gewinnen. Der Bereich Netzwerke/Konnektivität ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Auf ebenfalls eine Milliarde beim Umsatz. Beim Gewinn ist sein Anteil weniger. In den nächsten Jahren wird der Bereich weiter wachsen.

Regierungen greifen gerne auf Satelliten zurück, weil sie so flexibel sind. Sie können überall in den Einsatz kommen.

Steve Collar

Bedeutet das, dass militärische Dienstleistungen immer mehr an Gewicht gewinnen?

Regierungsdienstleistungen machen etwa die Hälfte des Umsatzes im Bereich Netzwerke aus. Da geht es um viel Unterschiedliches: Verteidigung, Sicherheit oder Leistungen für die Vereinten Nationen. Das Anbieten von autonomen hoheitlichen Dienstleistungen ist aber ein wichtiger Teil davon. Besonders, wenn wir uns jetzt die Situation in der Ukraine anschauen. Regierungen greifen gerne auf Satelliten zurück, weil sie so flexibel sind. Sie können überall in den Einsatz kommen. Die Superpower der Satelliten ist ihre Reichweite – da kann kein terrestrisches Netzwerk mithalten. Die russische Invasion der Ukraine hat gezeigt, wie wichtig Landesverteidigung und Grenzschutz auch für Europa sind. Diese Dienstleistungen für befreundete Regierungen stehen für etwa 25 Prozent des Umsatzes.

Wird die SES mit den neuen O3b-Satelliten zu einer Konkurrenz für das Starlink-System von Elon Musk?

Wir bieten Konnektivität der Spitzenklasse für Telekommunikationsfirmen, nicht Dienste für Einzelkunden. Für die Verteidigung der Ukraine wird unser Angebot sehr hilfreich sein. Einige Geschäftsabschlüsse für kritische Kommunikation wurden bereits unterzeichnet. Details über unsere Kunden kann ich aber keine geben.

Strahlen Sie weiter „RussiaToday“ (RT) in die Welt aus?

Nein. Sobald es Vorschriften gab, haben wir sehr schnell gehandelt. Wir sind sehr unterstützend bei allen Maßnahmen. Wir nehmen unsere regulatorische Verantwortung sehr ernst. Wichtiger noch als dies ist meiner Meinung nach die Rolle der SES beim Vertreiben von ukrainischen Sendern. Wir können dort auf mehr als 20 Jahre Zusammenarbeit zurückblicken. Wir haben nun mit ihnen Backups für die Übertragungen in Betzdorf erstellt. Ein sehr bedeutender Beitrag – auch was die Erreichbarkeit der Sendungen für die Millionen Vertriebene in Europa angeht. Da sind wir stolz drauf. Zudem waren wir, was die Preise angeht, sehr entgegenkommend.

Wenn man einen Satelliten verliert, dann kann man die anderen näher aneinander rücken, und das Netzwerk, die „constellation“, kann überleben

Steve Collar

Wie sicher sind die Satelliten der SES? Vor Hackern, Kidnapping oder gar vor einem Abschuss?

Wir haben sehr viel in den Sicherheitsbereich investiert. Besonders beispielsweise für den auf gesicherte Kommunikation spezialisierten Satelliten GovSat – ein gemeinsames Projekt mit der Luxemburger Regierung. Der ist wirklich extrem sicher. Auch die O3b-Satelliten sind ähnlich gesichert, etwa durch Verschlüsselungen. Trotzdem müssen wir immer vorsichtig bleiben. Wir müssen verfolgen, was es für Risiken gibt, und wie sie sich entwickeln. Dabei geht es nicht nur um militärische Bedrohungen. Auch Weltraumschrott kann Satelliten außer Kraft setzen.

Steve Collar: „Dienstleistungen für befreundete Regierungen stehen für etwa 25 Prozent des Umsatzes“
Steve Collar: „Dienstleistungen für befreundete Regierungen stehen für etwa 25 Prozent des Umsatzes“  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Gibt es ein Backup … im Falle, wo ein Satellit abgeschossen werden würde?

Ein Abschuss ist nicht unsere direkte Sorge. Wenn man einen Satelliten verliert, dann kann man die anderen näher aneinander rücken, und das Netzwerk, die „constellation“, kann überleben. Sie kann sich praktisch selber heilen. Was nun Abschüsse angeht, so sind es wohl eher Satelliten in den niedrigen Umlaufbahnen (Low Earth Orbit; einige 100 Kilometer über der Erde), die gefährdet sind. Bisherige Tests haben sich immer in dieser Höhe abgespielt. Das ist auch die Zone, wo es am meisten Weltraumschrott gibt. Unsere Satelliten sind weiter von der Erde entfernt: Die O3b-Satelliten in der mittleren Erdumlaufbahn und die traditionellen sind geostationär (35.800 Kilometer über der Erde).

Hat die SES überhaupt keine Satelliten im Low Earth Orbit?

Wir werden bald den „Eagle 1“ dort haben. Den entwickeln wir gemeinsam mit 20 Partnern, wie der EU, der ESA (European Space Agency) und der LSA (Luxembourg Space Agency). Es geht darum, neue Quantum-Verschlüsselungs-Schlüsselsysteme zu testen und zu bestätigen.

Können Sie etwas zu „MEO-Global System“ sagen?

Das ist ein sehr spannendes Projekt. Da wird die Technik, die in Luxemburg entwickelt wurde, benutzt, um die Partner des Landes zu unterstützen. Immerhin haben wir bei der SES seit fast 40 Jahren Erfahrung im Weltraum. Luxemburg kann dafür nun auf die neuen O3b-Kapazitäten im Middle Earth Orbit zurückgreifen, etwas, das sonst niemand anbieten kann.

Und die SES erhält neuen Umsatz …

Natürlich. Unsere Beziehung mit der Luxemburger Regierung ist schon eine sehr besondere. Für beide. Der Staat ist wichtiger Anteilseigner. Ohne Luxemburger Regierung würde es die SES nicht geben. Es ergibt absolut Sinn, dass beide zusammenarbeiten, um Sachen zu machen, die gut für das Land, Regierung und die SES sind.

Wie viel der O3b-Kapazität ist schon verkauft?

Das ist schwer zu sagen, da es sich um ein Netzwerk handelt, das nach und nach weiter vergrößert wird. Es gibt aber immer noch viel Kapazität zum Verkaufen. Diese Satelliten haben zudem deutlich mehr Kapazität als die vorherigen. Eine Ansammlung unserer Erfahrungen aus den vergangenen Jahrzehnten. Während die traditionellen zehn Beams hatten, um individuelle Regionen zu bedienen, so hat jeder O3b-Satellit 5.000 Beams. Es ist eine Vervielfachung unserer Möglichkeiten.

Sie arbeiten parallel auch mit der EU-Kommission an einem sicheren Internet für Europa …

Das ist eine sehr wichtige Initiative von EU-Kommissar Thierry Breton. Es ist wichtig, dass die EU nicht zu abhängig von anderen Nationen ist. So wie das beim russischen Gas der Fall war. Bei etwas strategisch Wichtigem wie dem Weltraum sollte das nicht der Fall sein. Beim IRIS2-Projekt handelt es sich um das Zusammenlegen bestehender europäischer Weltraum-Kapazitäten und die Entwicklung neuer Kapazitäten. Zusammen mit anderen Akteuren wie etwa Eutelsat, Airbus Defence and Space, Hispasat und Thales Alenia Space haben wir ein Konsortium gegründet, um eine eigene europäische Infrastruktur zu erstellen. Gemeinsam wollen wir so gegen Ende dieses Sommers einen Vorschlag für eine sichere europäische Architektur vorlegen. Ende 2023, Anfang 2024 hoffen wir dann auf Ausschreibungen seitens der EU-Kommission.

Wir beliefern immerhin 369 Millionen Haushalte, mehr als eine Milliarde Menschen, täglich mit Videos. Das sind fast 15 Prozent der Weltbevölkerung.

Steve Collar

Wie könnte diese Architektur aussehen?

Das, was uns vorschwebt, ist ein intelligente Verknüpfung von Leistungen aus Low Earth, Middle Earth und Higher Earth Orbit. Um ein bestmögliches Anbieten von Kapazitäten in Europa, Afrika und bis in die Arktis zu garantieren. Hauptziel ist dabei das Anbieten einer sicheren Konnektivität für europäische Regierungen.

Ist die SES auch an den beiden anderen EU-Weltraumprojekten Copernicus und Galileo beteiligt?

Im Bereich der Erdbeobachtung (Copernicus) sind wir nicht beteiligt. Beim europäischen Satellitennavigationssystem Galileo bieten wir unterstützende Dienstleistungen an, etwa als Betreiber der Bodenstation in Redu (Belgien). Das ist aber alles relativ klein. Der Bereich der Konnektivität/Kommunikation ist hingegen unser Kerngeschäft. Hier haben wir zehn Jahre Erfahrung. Hier können wir unsere Multi-Orbit-Erfahrung mit einbringen.

Aktuell laufen Gespräche über ein mögliches Zusammengehen des SES mit dem Satellitenbetreiber Intelsat …

Wir hatten per Mitteilung bestätigt, dass Gespräche stattfinden. Mehr möchte ich dazu jetzt auch nicht sagen.

Material von emergency.lu am Standort Betzdorf
Material von emergency.lu am Standort Betzdorf Foto: Christian Muller

Was ist das Gewicht von humanitären Projekten wie SatMed (medizinische Dienstleistungen per Satellit) oder emergency.lu (schnelles Erstellen eines Kommunikationsnetzes nach Naturkatastrophen)? Haben die das Potenzial, um eigene tragfähige Geschäftsmodelle zu werden?

Diese Projekte machen uns sehr stolz. Sie zeigen, wie wichtig Konnektivität für die Menschen ist. Hier können wir benachteiligten Gruppen helfen. Manchmal wäre es möglich, diese zu Geschäften auszubauen. Vieles bieten wir jedoch kostenfrei – oder einfach kostendeckend – an. Satelliten sind gut für die Welt und den Planeten. Vielleicht wird O3b künftig ermöglichen, noch mehr zu machen. Wir suchen immer nach mehr Möglichkeiten, um Menschen zu verbinden. Wir wollen unseren positiven Impakt vergrößern: emergency.lu ist für Rettungsteams in Katastrophengebieten. Nun überlegen wir, wie wir das auf ganze Gemeinschaften ausweiten können. Konnektivität hilft den Menschen, sich selber zu helfen. Auch bei Naturkatastrophen. Der Wiederaufbau beginnt mit Konnektivität: beispielsweise der Familie mitteilen, dass man noch lebt.

Ist der Bereich Video nun out?

Nein. Wir beliefern immerhin 369 Millionen Haushalte, mehr als eine Milliarde Menschen, täglich mit Videos. Das sind fast 15 Prozent der Weltbevölkerung. Es ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Geschäfts. In Deutschland beispielsweise haben wir einen Marktanteil von 50 Prozent.

Aber es ist kein Wachstumsbereich mehr?

Es ist ein sehr stabiler Bereich. Wir erwarten in den nächsten Jahren niedrige einstellige Rückgänge. Wir werden versuchen, mit Kosteneinsparungen gegenzuhalten … die Effizienz des eingesetzten Kapitals, und den Gewinn, so hochzuhalten. Das Geld, das wir im Bereich Video verdienen, werden wir weiter im Bereich Netzwerke investieren.

Zur Person

Steve Collar ist ein Branchenveteran, der bei SES World Skies, SES New Skies, New Skies Satellites, Astrium und Matra Marconi Space (jetzt Airbus) eine Reihe von Positionen in den Bereichen Handel, Geschäftsentwicklung und Technik innehatte. Der gebürtige Brite wurde im April 2018 zum CEO von SES ernannt, nachdem er zuvor sowohl O3b Networks als auch SES Networks geleitet hatte. Als CEO von O3b Networks führte Steve Collar das Unternehmen durch den Aufbau einer hochmodernen, nicht geostationären Satellitenkonstellation. O3b wurde 2016 vollständig von SES übernommen.

Blick auf den Antennen-Park am Standort Betzdorf
Blick auf den Antennen-Park am Standort Betzdorf Foto: Editpress/Hervé Montaigu


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Kleines Modell eines O3b-mPOWER-Satelliten 
Kleines Modell eines O3b-mPOWER-Satelliten  Foto: Editpress/Hervé Montaigu