„Macht ist nichts Schlechtes an sich“

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Philippe Schockweiler, der Sprecher von „déi jonk gréng“, erzählte uns, warum er sich politisch engagiert und wo seine Interessen liegen./ Claude Molinaro

Tageblatt: Was hat Sie motiviert, politisch aktiv zu werden?

 Kurzbiografie

Philippe Schockweiler ist 23 Jahre alt und wohnt in Luxemburg-Bonneweg.
Er studiert Geschichte, Englisch und Soziologie im siebten Semester an der Universität Trier; seine Magisterarbeit will er über neuzeitliche oder mittelalterliche Geschichte schreiben.
Seit 2004 ist Philippe Schockweiler Mitglied bei den Grünen, seit 2006 Sprecher von „déi jonk gréng“.

Philippe Schockweiler: „Ich habe schon seit langem ein großes Interesse an der Politik. Ich war immer schon sehr neugierig, immer haben mich die Zusammenhänge fasziniert. Vor allem hatte ich ein großes Interesse an Umweltprojekten und Greenpeace-Aktivitäten. Naturkatastrophen oder a-demokratische Ereignisse wie Putsche haben mich stets schockiert. Daneben interessiert mich auch die Geschichte Europas. Selber Politik zu machen, war eigentlich nur die logische Konsequenz von alldem. Wirklicher Auslöser, und was mich persönlich sehr beeinflusst hat, war vor einigen Jahren ein Besuch des ehemaligen KZ Auschwitz. Dies hat mich veranlasst, Fremdenhass und die Klischees, die vom rechten Rand ausgebeutet werden, aktiv zu bekämpfen. Zur gleichen Zeit brach der Irak-Krieg aus. Wenn man die Gründe dieses Krieges analysiert, stößt man immer wieder auf grüne Themen wie z.B. die Ölfrage.“

„T“: Viele von den Themen, die Sie angesprochen haben, werden auch von anderen Parteien behandelt. Warum haben Sie sich ausgerechnet für die grüne Partei entschieden?
P.S.: „Als ich in die Politik ging, habe ich mich intensiv mit der luxemburgischen Parteienlandschaft auseinandergesetzt und habe mir in der Vorwahlzeit 2004 die Konzepte der verschiedenen Parteien angeschaut. Dabei wurde mir klar, dass für mich nur die grüne Partei infrage kommt. Sie hatte eine Konzept, welches über die Wahlen hinausging. Dazu kam, dass ich durch mein Engagement bei Greenpeace einen ökologischen Hintergrund hatte. Will man die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen (NGO) weiterführen, dann muss man politisch aktiv werden.
Oft gibt es seitens der NGO ein Misstrauen gegenüber der Parteipolitik, aber man kann in einer Partei einfach mehr erreichen. Die parteipolitische Arbeit ist für mich die logische Fortsetzung meiner Aktivitäten bei verschiedenen NGO.“

„T“: Können Sie sich eine vollberufliche politisch Karriere vorstellen?
P.S.: „Das weiß ich noch nicht. Im Moment gefällt mir mein Studium viel zu gut. Wichtig ist, dass man etwas bewegt und dass man den Willen hat, etwas erreichen zu wollen. Und diesen Willen besitze ich, egal ob in einer Partei, einer NGO oder durch ein gewähltes Mandat.“

„T“: Was kommt für Sie nach dem Studium, falls Sie nicht gewählt werden?
P.S.: „Ich könnte mir vorstellen, mit Kindern zu arbeiten, was ich als äußerst interessanten Job empfinde. Was mich aber noch mehr reizen würde, ist die Geschichtsforschung. Es ist ein ungemein spannendes Feld, wo es auch hier in Luxemburg noch viele Bereiche gibt, die noch aufgearbeitet werden müssen. Ich denke da z.B. an die neuere luxemburgische Geschichte. Viel zu viel wurde unter die Decke gekehrt. Anstatt dies wissenschaftlich aufzuarbeiten, entstehen dann die wahnwitzigsten Gerüchte und Mythen. Aber ich glaube nicht, dass wir uns Mythen und Halbwahrheiten über die vier Jahre Nazi-Besatzung erlauben können.
Es wäre besser, Wissenschaftler diese Zeit aufarbeiten zu lassen, anstatt durch populär wissenschaftliche Arbeiten noch mehr Öl auf das Feuer zu gießen.“

„T“: Wo liegt Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen „déi jonk gréng“ und „déi gréng“?
P.S.: „Man muss bedenken, dass es „déi jonk gréng“ noch nicht so lange gibt. Es war eine schwere Geburt, da viele Leute in der Parte meinten, die Grünen seien ja sowieso eine junge Partei und bräuchten deshalb keine Jugendorganisation. Ein Unterschied ist z.B. der, dass wir der Auffassung sind, die Straße sei unser Arbeitsgebiet, nicht das Büro.
Ich glaube, wir gehen manchmal weiter als unsere Mutterpartei. Als Beispiel sei das Thema Überwachung genannt, die Position der Grünen wurde von Felix Braz im Parlament dargelegt. Wir waren zwar total mit seiner Linie einverstanden. Allerdings waren unsere Forderungen vielleicht noch ein bisschen radikaler, um zu verhindern, dass wir nicht zum total transparenten Bürger werden.“

„T“: Was ist in Ihren Augen das größte Problem unserer Gesellschaft?
P.S.: „Wir haben ein großes Problem mit arbeitslosen Jugendlichen, mit Menschen, die in Armut leben. Die Schere zwischen Arm und Reich driftet immer mehr auseinander. Wir haben das teuerste Schulsystem in Europa, aber auch die meisten Schulabbrecher. Diese Jugendlichen leben in großer Unsicherheit.
Diese Sozialprobleme sind für mich die wichtigsten, da sie die Menschen direkt angehen. Als Luxemburger stellen wir unser Land ja gern in die Vitrine und behaupten, alles sei so gut hier, aber wenn man ein bisschen an der Farbe kratzt, sieht man, dass es aber große Probleme hierzulande gibt.“

„T“: Sie haben eingangs gesagt, dass eine Reise nach Auschwitz für Sie einer der Anstöße war, in die Politik zu gehen. Können Sie dies näher beschreiben?
P.S.: „Ich kann jedem diese Reise nur anraten, vor allem in der heutigen Zeit, wo der Negationismus immer mehr aufkommt. Die zwei Überlebenden, mit denen wir in Kontakt kamen, haben erst angefangen über ihre Erlebnisse zu reden, als verschiedene Leute in den 70er Jahren anfingen, die Existenz der Gaskammern zu leugnen.
Es ist einfach daher gesagt, dass man diese Sachen nicht vergessen soll, was auch viel in Sonntagsreden gefordert wird, aber in der Weltpolitik sieht es ganz anders aus: Es gibt genauso viele Genozide wie vorher. Und sie werden nicht aufgearbeitet, wie z.B. der armenische Genozid.“

„T“: Wie sind die Beziehungen zu den anderen politischen Jugendorganisationen in Luxemburg?
P.S.: „Die Beziehungen sind sehr gut. Wir kennen uns alle untereinander, sind mehr oder weniger Kollegen, und ich glaube auch ziemlich professionell. Nach einem Streitgespräch im Radio z.B. können wir trotzdem noch zusammen einen trinken gehen. Wir können debattieren und gleichzeitig gute Beziehungen haben. Das klappt relativ gut in Luxemburg.“

„T“: Gibt es heute noch den Unterschied zwischen Fundis und Realos?
P.S.: „Ich glaube, dass es heute eine allgemeine grüne Richtung gibt. Ein Fundi ist in meinen Augen jemand, der für seinen Meinung auf die Straße geht. Der prinzipielle Unterschied lag in der Vergangenheit in der Auffassung der Macht: Der Fundi glaubte, sie sei prinzipiell etwas Schlechtes. Als politische Bewegung muss man aber versuchen, an die Macht zu kommen, um etwas zu verändern. Für mich ist Macht an sich nichts Schlechtes, sondern es kommt darauf an, was man daraus macht.
Das Beispiel Beckerich hat gezeigt, dass grüne Politik umgesetzt werden kann.“