PolenKaczynskis Regierungslager steht vor einer schweren Belastungsprobe

Polen / Kaczynskis Regierungslager steht vor einer schweren Belastungsprobe
Polens Justizminister Zbigniew Ziobro, auf einem Bild aus dem Jahr 2016, legt sich mit dem großen Koalitionspartner PiS an Foto: dpa/PAP/Jacek Bednarczyk

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„Wir informieren, dass wir bald informieren werden“, soll eine Sprecherin der polnischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) einer Gruppe von seit Stunden wartenden Journalisten vor dem Hauptquartier hinter dem Warschauer Hauptbahnhof gesagt haben. Bis zum späten Nachmittag sollte dort am Mittwoch entschieden werden, ob Jaroslaw Kaczysnkis Regierungsbündnis mit zwei selten als eigenständig wahrgenommenen rechten Kleinparteien weiterbesteht oder eine PiS-Minderheitsregierung gebildet werden muss.

Ein Kompromiss sei in Greifweite, hatte es dazu noch am Dienstagabend geheißen. „Der Ball liegt bei Ziobro“, hieß es nun am Mittwochabend. Zbigniew Ziobro ist Polens umstrittener Justizminister, der seit 2015 die Unabhängigkeit der Justiz untergräbt und damit laut Opposition und EU den Rechtsstaat gefährdet. Doch Kaczynskis Problem mit Ziobro ist nicht die Justiz, sondern vordergründig ein Gesetz über Tierschutz.

Das Zerwürfniss im Lager der „Vereinigten Rechten“, das von Kaczynskis Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) dominiert wird, dreht sich um den Aufstand der Fraktion um Ziobro gegen zwei Kaczynski offenbar auch persönlich wichtige Gesetzesvorlagen. Der tieferliegende Grund sind jedoch Fraktionskämpfe in der gegen außen oft als Monolith erscheinenden „PiS“-Fraktion. Es geht dabei auch um die Nachfolge Kaczynskis als Führungsfigur der polnischen Konservativen.

Polens Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) besteht nämlich genau gesehen aus Kaczynskis gleichnamiger großer Regierungspartei (197 Abgeordnete) und zwei kleinen Juniorpartnern, Ziobros „Solidarisches Polen“ (SP, 20 Abgeordnete) und Jaroslaw Gowins „Verständigung“ (18 Abgeordnete). Beide rechten Kleinparteien sind bei den letzten Parlamentswahlen über Listenplätze in der großen PiS-Liste gewählt worden. Dies hat beiden mehr Abgeordnete als 2015-2019 beschert. Die ganze PiS-Fraktion inklusive Ziobros und Gowins Abgeordnete verfügt nur über eine knappe Mehrheit im Sejm, was beide Kleinparteien zum Zünglein an der Waage macht. Kaczynski kann weder die eine noch die andere Fraktion ersetzen, es sei denn, er würde versuchen, Abgeordnete bei der rechtsextremen Konföderation und der kleinen Bauernpartei PSL zusammenzukaufen.

Doch nach der siegreichen Wiederwahl Andrzej Dudas zum Staatspräsidenten sollte bis Oktober erst einmal ein neuer Koalitionsvertrag der „Vereinigten Rechten“ ausgehandelt werden, der diese neuen Machtverhältnisse besser abbildet. Gleichzeitig wurde indes eine Reduktion der Ministerien von 20 auf 12 beschlossen, was zu Unruhe im Regierungslager geführt hat. Alle Fraktionen haben natürlich Angst, Posten und damit Einfluss und auch Gelder für die jeweiligen Parteikassen zu verlieren.

Überlagert wird dieser Kampf um Pfründen von den Führungsambitionen einiger Exponenten in Kaczynskis Kabinett. Allen voran geraten seit Monaten immer wieder Regierungschef Mateusz Morawiecki (PiS) und Justizminister Ziobro aneinander. Ziobro profiliert sich selbst und seine Mini-Partei dabei als besonders radikal, während Morawiecki von Kaczynski offenbar die Aufgabe erhalten hat, den Ruf von PiS vor allem auch in Brüssel zu verbessern. Dabei spielen wie üblich bei Kaczynski auch persönliche Kränkungen eine wichtige Rolle. So hatte Ziobro, der bereits in der ersten PiS-Regierung 2005-2007 Justizminister war, die PiS 2010 im Streit verlassen und seine eigene Partei gegründet. Der Ex-Banker Morawiecki wiederum ist von einem Wirtschaftsberater des liberalen Premiers Donald Tusk (2007-2015) zum treuen und Kaczynski loyal ergebenen PiS-Anhänger geworden. Deshalb hatte Ziobro im Kampf um Kaczynskis Gunst in den letzten paar Jahren immer mehr das Nachsehen, obwohl er für die für Kaczynski zentrale, umstrittene Justizreform firmiert.

Ärger wegen zwei Gesetzen

Als aufmüpfig hatte sich im Sommer auch der Chef der rechtsliberalen „Verständigung“, Jaroslaw Gowin, gezeigt, der wegen des Coronavirus auf eine Präsidentenwahl-Verlegung vom Mai auf Juli pochte. Auch Gowins Aufstand hatte damals zu einer Regierungskrise geführt. Kaczynski musste damals nachgeben.

Der Eklat um die Partei des Justizministers folgte am Freitag, als sich Ziobros Abgeordnete dem PiS-Fraktionszwang widersetzten und sich gegen ein neues Tierschutzgesetz stellten, das dem Katzenfreund Kaczynski offenbar sehr wichtig ist. Es verbietet die Nerztierhaltung, Zirkustiere und die Ankettung von Hofhunden rund um die Uhr. Auch gegen die nachträgliche Straffreiheit für korrupte Materialbeschaffungen zur Bekämpfung des Coronavirus begehrten Ziobros 20 Abgeordnete auf. Die PiS hatte dafür ein im Volk unpopuläres Sondergesetz eingebracht, in dem viele einen gefährlichen Präzedenzfall sehen.

Ist keine Einigung möglich, erscheint das Weiterregieren als Minderheitsregierung am wahrscheinlichsten. Kaczynski könnte dabei bei konservativen Gesetzen auf Unterstützung der rechtsextremen „Konföderation“ und Teile der PSL zählen. Auch „Solidarisches Polen“ dürfte mit ihrem verhassten ex-Justizminister vor allem aber wegen der Angriffe auf den Rechtsstaat nicht zur liberalen und linken Opposition wechseln können. Vorgezogene Neuwahlen scheinen im Moment wenig wahrscheinlich, doch in ein paar Monaten könnten sie nötig werden.