PolenDonald Tusks liberale Bürgerplattform feiert  20. Geburtstag mitten in einer Krise

Polen / Donald Tusks liberale Bürgerplattform feiert  20. Geburtstag mitten in einer Krise
Donald Tusk scheint derzeit nicht bereit zu sein, seine Partei PO in Polen zu unterstützen Foto: Julien Garroy/Editpress-Archiv

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Vor 20 Jahren wurde in Danzig zum Aufbruch geblasen. Elf Jahre nach der demokratischen Wende und 20 Jahre nach der Gründung der Gewerkschaft „Solidarnosc“ hatten Polens drei bekannteste Liberale ausgerechnet die Halle der unabhängigen Gewerkschaftskongresse angemietet, um die „Bürgerplattform“ (PO) aus der Taufe zu heben.

Um vier Monate hatten damals der heutige EVP-Vorsitzende und spätere EU-Ratspräsident Donald Tusk und seine beiden Mitstreiter die beiden Kaczynski-Zwillinge abgehängt, die ihrerseits Ende Mai 2001 ein konservatives Pendant zur PO gründeten, ihre Law-and-Order-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Zuerst war weder die eine noch die andere politische Option mehrheitsfähig; die Wahlen gewannen die Post-Kommunisten. Inzwischen jedoch hat die PO acht Jahre (2007-15) und die PiS sieben Jahre (2005-07 und ab 2015) regiert. Unter Tusks PO schlitterte Polen als einziges EU-Mitglied 2009 nicht in eine Wirtschaftskrise, unter Jaroslaw Kaczynskis PiS droht dem Land gerade das restriktivste Abtreibungsrecht Europas.

„Heute bleibt uns keine Zeit zum Feiern, die Staatsmacht zieht uns in die Vergangenheit“, heißt es auf der Homepage der PO. Eindringlich werden dort die noch rund 32.000 Parteimitglieder dazu aufgerufen, der PiS-Regierung weiterhin die Stirn zu bieten und für ein besseres Polen zu kämpfen. Kritisiert wird anlässlich des Jubiläums vor allem das unterfinanzierte Gesundheitssystem, das in der Pandemie versagt hätte. Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit, die in mehrere EU-Vertragsverletzungsverfahren mündeten, sind für einmal wenig prominent.

Vor allem aber wird verschwiegen, dass immer mehr PO-Abgeordnete der eigenen Partei den Rücken kehren. Ausgerechnet in der Jubiläumswoche haben je ein Senator und eine Sejm-Abgeordnete das blaue Parteibuch gegen das gelbe der im Parlament noch klitzekleinen Bewegung „Polen 2050“ eingetauscht. Die neue linksliberale Partei des katholischen Publizisten Szymon Holownia hat noch nicht einmal Fraktionsstärke erreicht. Doch der mit knapp 15 Prozent drittplatzierte Präsidentschaftskandidat vom vergangenen Sommer hat nun mehr Anziehungskraft als die Bürgerplattform, die die Wiederwahl des von der PiS unterstützten Andrzej Duda nur um ein Haar nicht verhindern konnte. Besonders schmerzlich war dabei der Abgang der bekannten PO-Sympathieträgerin Joanna Mucha, der jungen ehemaligen Sportministerin Donald Tusks. Sie habe immer mehr ein Programm jenseits von Anti-PiS vermisst, ließ Mucha durchblicken.

„Polen 2050“ attraktiver

In der Tat hat die PO unter ihrem neuen Parteichef Boris Budka zwar wiederholt ein stringentes Parteiprogramm angekündigt, doch dieses immer wieder verschoben. Zuletzt auf das 20. Jubiläum hin. Die Partei hat offenbar Mühe, sich von ihren durchaus konservativen Grundsätzen zu lösen und neue Probleme der polnischen Gesellschaft, wie die Rolle der Frau, LGBT und Ökologie programmatisch festzuschreiben. Dazu hat die von Präsidentschaftskandidat Rafal Trzaskowski (49 Prozent) im Herbst aufgekündigte weltoffene Massenbewegung „Neue Solidarnosc“ nicht Fuß gefasst.

Weit attraktiver erscheint oppositionell eingestellten Polen Holownias Bewegung „Polen 2050“, denn sie bietet ein ziemlich stringentes linksliberales und ökologisches Programm. Vor allem aber ist sie etwas Neues. Inzwischen hat „Polen 2050“ in ersten Umfragen die PO bei der Wählergunst bereits knapp überflügelt. In einer aktuellen Umfrage vom Montag könnte Kaczynskis PiS bei Wahlen „in der nächsten Zeit“ mit 30 Prozent rechnen, die PO mit 19,5 und „Polen 2050“ mit 17,5 Prozent. Dahinter platzieren sich die Linken mit 9,5, die rechtsextreme „Konföderation“ mit 7,5 und die Bauernpartei PSL mit fünf Prozent. Unter den Kaczynski-Anhängern sind viele überzeugt, Holownia sei de facto ein PO- oder gar ein Tusk-Projekt. Immerhin etwas Trost für die Bürgerplattform am Jubiläumstag. Denn Donald Tusk selbst macht wenig Anstalten, der lahmenden Partei zu Hilfe zu eilen, auch wenn darüber immer wieder spekuliert wird.