Die Inkohärenz der CSV zu Ausländerwahlrecht

Die Inkohärenz der CSV zu Ausländerwahlrecht
(Tageblatt-Archiv/Didier Sylvestre)

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Dieser Beitrag soll zeigen, dass die CSV sich seit Jahren dreht und windet, um die Tür zur Erweiterung des allgemeinen Wahlrechts auf ausländische Mitbürger nicht unwiderruflich zuzuschlagen.

Im Verfassungsausschuss des Parlaments wird seit zehn Jahren an einer grundlegenden Überarbeitung der Verfassung gearbeitet. In drei Punkten konnten die Regierungsparteien keine Einigung mit der CSV erreichen und somit die 2/3-Mehrheit nicht sicherstellen: bei der Senkung des Wahlalters, beim Wahlrecht ausländischer Einwohner unter bestimmten Bedingungen sowie bei der Begrenzung der Ministermandatsdauer.

In diesem Beitrag wird nur das Wahlrecht ausländischer Bürger bei den Nationalwahlen behandelt.
Die Arbeiten des Ausschusses sind unter Vorsitz von Alex Bodry Mitte März 2015 zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Man muss davon ausgehen, dass die jetzt vorliegende Fassung ein Kompromisstext ist, dem auch die CSV zugestimmt hat.

Im neuen Text in Kapitel 1, das auf Deutsch übersetzt den Titel „Vom Staat, seinem Hoheitsgebiet und seinen Einwohnern (also nicht „seinen Staatsbürgern“!) trägt, steht unter Sektion 3 – „Von der Nationalität und den politischen Rechten“ – im Artikel 10 (2) und (3) Folgendes: „Das Gesetz organisiert die Ausübung der politischen Rechte der Bürger der Europäischen Union.“ Und weiter: „Das Gesetz kann die Ausübung von politischen Rechten an Personen übertragen, die nicht die Bürgerschaft der Europäischen Union besitzen“.

Zur Erinnerung: In der derzeitig gültigen Verfassung steht diesbezüglich im 3. Absatz von Artikel 9 Folgendes: „… das Gesetz kann die Ausübung von politischen Rechten an Nicht-Luxemburger übertragen“.

Im neuen Verfassungsentwurf steht im Kapitel „De la Chambre des Députés“ im Artikel 62 (1) „Um Wähler zu sein, muss man Luxemburger und 18 Jahre alt sein“.

CSV ändert Position

Im Juni 2013 stand an dieser Stelle noch eine andere Formulierung, die einer qualifizierten Mehrheit sicher war – also auch die Zustimmung der CSV hatte – und sogar aus der Feder des damaligen Ausschusspräsidenten Paul-Henri Meyers (CSV) stammte. Auf Deutsch übersetzt: „Ein von einer qualifizierten Mehrheit angenommenes Gesetz kann, unter den Bedingungen, die das Gesetz festlegt, das Wahlrecht Personen zugestehen, die nicht die luxemburgische Staatsbürgerschaft besitzen“. Dieser Passus ist jetzt verschwunden.

Im Sitzungsprotokoll vom 13. März 2013 steht diesbezüglich: „Nach diesem Austausch schlussfolgert der Präsident, dass die Kommission sich seinem Textvorschlag anschließt. Dieser wird am Ende des Absatzes 1 eingefügt, um klar zu zeigen, dass er nur das aktive Wahlrecht betrifft“.

Warum ist dieser Passus verschwunden? Die Antwort erscheint ernüchternd: Weil vorzeitige Wahlen stattgefunden haben und die CSV in den Wahlkampf gezogen war mit dem Versprechen, kein Wahlrecht für ausländische Einwohner einzuführen. Nach den Wahlen soll die CSV diesen Passus schließlich zurückgezogen haben.

Alex Bodry hat mehrfach in der Referendumsdebatte betont: Sollte es zu einem JA am 7. Juni kommen, würden die Bedingungen (fakultatives Wahlrecht nach 10 Jahren Residenz, bereits einmal an Wahlen teilgenommen haben, nur das aktive Wahlrecht) wortgetreu in die Verfassung unter das Kapitel „Abgeordnetenkammer“ eingeschrieben werden.
Der Sitzungsbericht vom 13. März 2013 zeigt außerdem, dass es keine qualifizierte Mehrheit für das passive Wahlrecht gegeben hat und dass diesbezüglich die Ehrlichkeit der Regierung nicht in Frage gestellt werden kann. Die Rechtspopulisten von Nee2015 und ADR haben es aber leider fertiggebracht, den Menschen mit dieser Spekulation Angst zu machen, obwohl dies nie eine Option war. Auch die CSV war nur für das aktive Wahlrecht.

Im Jahr 2017 soll ein verfassungsmäßig bindendes Referendum über die neue Verfassung entscheiden. Wenn es am 7. Juni 2015 zu einem NEIN bei der Frage zum Ausländerwahlrecht kommen sollte und anschließend 2017 zu einer Annahme der neuen Verfassung, bliebe immer noch der generelle Artikel 10 des Reformtextes bestehen, der die Möglichkeit einer Übertragung von politischen Rechten an Nicht-Luxemburger vorsieht. Sollte es zu einem NEIN am 7. Juni 2015 kommen und 2017 zu einer Ablehnung des Reformtextes, dann bliebe es bei der derzeitigen Verfassung und der generelle Artikel 9 würde erhalten bleiben („… das Gesetz kann die Ausübung von politischen Rechten an Nicht-Luxemburger übertragen“).

Tür bleibt offen

Auch im Falle eines NEIN am 7. Juni bliebe also prinzipiell die Möglichkeit einer Öffnung des Wahlrechts für ausländische Mitbürger in der Verfassung bestehen. Es müsste allerdings zu einer erneuten Verfassungsreform kommen, damit ein solches Wahlrecht auch für die Parlamentswahlen Gültigkeit erlangen könnte. Denn in der Verfassung sind die Bedingungen, die man erfüllen muss, um Wähler bei den Parlamentswahlen zu sein, noch einmal spezifisch unter dem Kapitel „Abgeordnetenkammer“ festgeschrieben. Dieses Prinzip soll auch in der neuen Verfassung bestehen bleiben.

Die CSV scheint also die Tür für unsere ausländischen Mitbürger aufzulassen, wie auch ein weiteres Beispiel zeigt. In der Ausschusssitzung vom 13. März 2013 wurde im Artikel über die Abgeordnetenkammer, und wen sie vertritt, der Begriff „pays“ durch den Begriff „Nation“ ersetzt.

Im Reformtext heißt es also (auf Deutsch): „Die Abgeordnetenkammer vertritt die Nation“. Daraufhin meldete sich der Vertreter von „déi Lénk“, Serge Urbany, zu Wort, um diesen Vorschlag zu hinterfragen.

Der Sitzungsbericht gibt die Antwort des Präsidenten (CSV) folgenderweise wieder: „M. le Président réplique que la Nation ne vise pas seulement ceux qui ont la nationalité luxembourgeoise. Au contraire, elle reflète la volonté de tous ceux qui habitent le territoire de vivre en commun et d’avoir un destin commun.“ Und er schlägt vor, dass in die Erläuterungen zum betroffenen Artikel eine Definition von „Nation“ in diesem Sinne (die Nation besteht nicht nur aus Staatsbürgern …) eingeschrieben wird.

Mit der CSV wird es also auch hier keinen Rückschritt geben und das Parlament wird weiterhin die ganze Bevölkerung vertreten, also auch die ausländischen Einwohner.

Ein letztes Beispiel zeigt, dass dies durchaus kein „Lapsus“ der CSV-Vertretung im Verfassungsausschuss war. 2013 reichte ein ADR-Abgeordneter einen Gesetzentwurf ein, der vorsah, die Berechnung der Zahl der Abgeordneten pro Wahlbezirk neu zu gestalten. Die Berechnungsgrundlage sollte nicht mehr die gesamte Bevölkerungszahl sein, so wie sie sich aus der Volkszählung ergibt, sondern die Zahl der Wahlberechtigten.

Mit dieser Initiative wollte die ADR gleich zwei Fliegen auf einen Streich schlagen.

Es sollte erreicht werden, dass in den Bezirken, in denen der Ausländeranteil der Bevölkerung sehr hoch ist (Zentrum und Süden) die Zahl der Abgeordneten sinken und in den zwei anderen Bezirken, in denen weniger Ausländer wohnen, die Zahl steigen sollte.

Hätte sich dieser „Paradigmenwechsel“, wie der Staatsrat die Änderung der Berechnungsbasis in seinem Gutachten Nr. 50.213 vom 8. Oktober 2013 nannte, durchgesetzt, hätte die ADR außerdem noch erreicht, dass das Parlament nicht mehr die gesamte Bevölkerung vertritt, sondern nur noch die Wahlberechtigten, also die Staatsbürger.

Diese Gesetzesvorlage wurde im Oktober 2014 mit den Stimmen der CSV abgelehnt (Nein: 57, Ja 3).

Hat die CSV auch hier eine Tür für die Öffnung des Wahlrechts für ausländische Mitbürger offen gelassen? Wenn nämlich das Parlament auch die ausländischen Einwohner vertritt, müssten sie eigentlich auch für ihre Vertreter wählen dürfen.

Nimmt man nun all diese Fakten zusammen, kommt man zur Schlussfolgerung, dass die CSV dem Ausländerwahlrecht, also auch für die Parlamentswahlen, nicht so stark abgeneigt ist, wie sie es momentan den Bürgern glauben macht.
Es stimmt einen hoffnungsvoll, dass die größte Partei es vielleicht doch nicht zulassen wird, dass sich Luxemburg zu einer „Diktatur der Staatsbürger“ entwickelt, sondern eine lebendige repräsentative Demokratie bleiben wird.