Eingefallene Scheiben, von Einschusslöchern zersiebte Fassaden: Die Zeit scheint stehen geblieben in den baufälligen Backsteinhallen auf dem weitläufigen Werksgelände von Kroatiens größten Schuhhersteller Borovo. Dabei verbirgt sich zumindest in den beiden intakten Hallen des verfallenen Industriemonuments eine der kreativsten Schuhwerkstätten des Kontinents: Nach Jahren des Niedergangs kämpft sich der angeschlagene Schuhfabrikant mit hippen Retrotretern aus der Krise.
Gegründet 1931
Es war 1931 der tschechische Schuhkönig Jan Bata, der das verschlafene Donaunest Borovo unweit von Vukovar zum Zentrum der jugoslawischen Schuhproduktion machte. Nach 1945 nationalisiert, wurde Borovo zu sozialistischen Zeiten mit fast 24.000 Arbeitern und einer Jahresproduktion von 23 Millionen Paar Schuhen zum größten Schuh-Gigant des Vielvölkerstaats. Die Schrecken des Kroatienkriegs von 1991 bis 1995) und der Zerfall Jugoslawiens bescherten dem Werk nicht nur die Zerstörung, sondern auch den Wegfall angestammter Märkte. Nach dem Neuanfang 1998 kam der angeschlagene Industrieriese nur mühsam auf die Beine.
Nur knapp schrammte das überschuldete Werk 2012 an einem Bankrott vorbei. Doch nicht nur mit der Einigung auf das Abstottern der Schulden, dem Abstoßen unrentabler Nebengeschäfte und der Verkleinerung des Verkaufsnetzes ist dem von einst 24.000 auf 705 Mitarbeiter geschrumpften Borovo der Neuanfang geglückt. Vor allem dank der Neuausrichtung des etwas angestaubten Sortiments und der Anstellung junger Designerinnen ist Kroatiens Sorgenwerk zum Trendsetter mutiert: Die Wiederentdeckung und Überarbeitung von jugoslawischen Kultschuhen haben Borovo eine überraschende Renaissance beschert.
„Boromina“ discofähig gemacht
„Borosana“ nennen sich die zehenfreien Segeltuch-Schuhe, die sich im früheren Jugoslawien ganze Generationen von Krankenschwestern, Kellnerinnen und Sekretärinnen um ihre ranken Fesseln schnürten. Wehmütig sollte später die populäre Rockband „hladno pivo“ („Kaltes Bier“) die Zeiten besingen, in denen Kellnerinnen „mit Schnurrbärten und blauen Borosanas“ den Kunden geduldig ihre Ohren schenkten.
An dem bequemen Kultschuh fand auch die Zagreber Industrie-Designerin Iva Curkovic schon zu Studienzeiten Gefallen. Doch für sich und ihre Freundinnen arbeitete sie das Schuhwerk für Disco-Besuche ein wenig um. „Ich schnitt die Zunge heraus, kürzte den Schaft und ließ die Sohlen vom Schuster um zwei Zentimeter erhöhen“, erklärt sie die Geburtsstunde der „Boromina“. Das eigenwillige Re-Design verhalfen ihr Ende 2013 zu einem Vorstellungsgespräch – und ihrer ersten Anstellung: Mit ihren pfiffigen Entwürfen hat sie Borovo ein neues, junges Image verschafft.
Exportanteil verdoppelt
Die absoluten Verkaufsschlager von Borovo sind die bereits seit 40 Jahren gefertigten Segeltuchschuhe „Startas“. Unverändert ist die Form der einst als Tischtennis-Schuhe produzierten Sneakers, mit denen ganze Generationen junger Jugoslawen groß wurden. Doch mit farbenfrohen Hippie- und Sommermustern ist den „Startas“ in diesem Jahr bereits zwei Mal der Sprung in die US-Modefibel „Vogue“ geglückt. Spürbar sei deren Absatz hernach aber vor allem auf dem kroatischen Markt geklettert, berichtet Iva Curkovic verschmitzt: „Nur was man im Westen preist, wird auch bei uns geschätzt.“
Nicht zuletzt dank des Verkaufserfolgs der Startas habe sich der Exportanteil in diesem Jahr von zehn auf zwanzig Prozent verdoppelt, freut sich Verkaufsleiter Vjekoslav Ferdebar. An die goldenen Vorkriegszeiten werde Borovo zwar nie mehr anknüpfen können. Doch nachdem Borovo die Betriebsverluste von umgerechnet 23,6 Millionen Euro (25,8 Millionen Franken) im Jahr 2012 auf 2,5 Millionen Euro (2015) absenken konnte, sei für das laufende Jahr erstmals mit „einer positiven Null“ zu rechnen.
Mit den neuen Modellen sei es geglückt, auch jüngere Generationen als Käufer zu gewinnen, freut sich der Verkaufschef: „Wir haben zwar die Anzahl der Modelle verkleinert, aber mit unseren neuen Designs den Kundenkreis vergrößert.“ Freudig überrascht vermeldeten in diesem Jahr Kroatiens Medien, dass Borovo erstmals seit Jahren wieder Mitarbeiter ausbildet und einstellt – und nicht nur entlässt. Designerin Curkovic zum neuen Gewand der altvertrauten Schuhe: „Es gibt kaum jemand, der früher nicht mal Borovo getragen hatte.“
De Maart
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