Verstärkte Bereitschaft zur Gewalt in unserer Gesellschaft

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Die Staatsanwaltschaft des Bezirksgerichts Luxemburg hat eine ganze Reihe neuer Dossiers abgeschlossen, die nun zur Verhandlung anstehen. Allerdings muss sie mit einer Wartezeit von drei Monaten vorlieb nehmen. Aus den vorliegenden Affären und der allgemeinen Entwicklung im vergangenen Jahr ersieht man die verstärkte Bereitschaft zur Gewalt in unserer Gesellschaft. Romain Durlet

Die Staatsanwaltschaft des Bezirksgerichts Luxemburg setzt sich aus 23 Leuten zusammen, und zwar: dem Staatsanwalt Robert Biever, zwei Stellvertretern, vier Hauptsubstituten, sieben Erste Substituten und neun Substituten. Die Erhöhung des Personalbestands in den vergangenen Jahren lief parallel zur Schaffung neuer Strafkammern, was sich auf Grund der immer größeren Zahl an Affären aufdrängte. Derzeit gibt es sechs Strafkammern inklusive Kriminalkammer.

Das Programm

Die „Chambre criminelle“, die den einstigen Assisenhof, den Justizminister Robert Krieps in den 80er Jahren abschaffte, ersetzt, befasst sich mit den schwerwiegendsten Fällen. Bis zum Jahresende sollen mehrere Dossiers verhandelt werden:
 – Mordversuch
 – Schießerei in Esch
 – schwerer Einbruchsdiebstahl
 – Inbrandsetzen eines Zuges (2007)
 – sexueller Missbrauch eines minderjährigen Opfers
 – Tötung eines Mannes durch die Ehegattin (2006)
 – Tötung eines Mannes durch zwei Frauen und Verschleppung nach Frankreich.

Bleibt noch offen, ob in diesem Zeitraum das Zugunglück von Zoufftgen ebenfalls zur Verhandlung kommt.
Das Zuchtpolizeigericht hat sich noch mit anderen schwerwiegenden Affären zu befassen. So ist ein Prozess gegen elf mutmaßliche Drogendealer vorgesehen, eine seriöse Angelegenheit, die eine der Gerichtskammern voraussichtlich drei Wochen in Beschlag nehmen wird.
Zwei größere Dossiers in Sachen Wirtschaftskriminalität liegen vor, und zwar ein Steuerbetrug größeren Ausmaßes und eine Affäre, welche einen einstigen Anwalt betrifft.
Der „König der Nacht“ wird sich in einem angestrengten Zuhälterprozess verantworten müssen. Der Rest der Affären – vor allem Verkehrsdelikte mit gerichtlichem Nachspiel – führt quer durch das Strafgesetzbuch.

Steigende Tendenz

In diesem Jahr stellte man eine steigende Tendenz der Schwerstverbrechen (Mord oder Mordversuch) fest. Dies könnte wohl ein Zufall sein, meint Staatsanwalt Robert Biever, aber es sei immerhin eine Tatsache. Gewalt findet man auch verstärkt, wenn auch nicht permanent steigend, bei den Jugendlichen. In Esch gibt es derzeit Spannungen. Das bedeute nicht, so unser Gesprächspartner, dass die Minettemetropole Klein-Chicago sei, aber ein reelles Problem bestehe immerhin. Allgemein scheinen viele Jugendliche verunsichert, finden sich missverstanden und kommen zu Hause mit den Eltern nicht zurecht. Dies führt zu einem schnelleren „passage à l’acte“. Zudem machen ihre neuen, wenn auch harmlosen Lebensgewohnheiten – meist zu Unrecht – Erwachsenen Angst. Doch generell seien die Jugendlichen in Ordnung und würden keinen Grund zum Missmut geben, so Robert Biever.

Kinderschändung

Was die Beschuldigungen wegen sexuellen Übergriffs von Erwachsenen auf Kinder anbetrifft, so stellt man eine ständige Steigerung seit 1990 fest. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Zahl der Fälle permanent größer wird, sondern ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass man dieser Art von Verbrechen verstärkt nachgeht und die mutmaßlichen Schuldigen vor den Kadi bringt.
Allerdings sollte man die Verdächtigungen nicht übertreiben. Schon vor Jahren bildeten sich Vereinigungen in Deutschland, die vor einer Hexenjagd warnten und sich u.a. die Frage stellten, ob ein Vater denn nun seine Tochter überhaupt noch auf den Schoß nehmen dürfe. Auch in Luxemburg – wie gewiss anderswo – wurde Männern zu Unrecht der Prozess gemacht. Man erinnere sich an eine Affäre, die vor einigen Jahren verhandelt wurde, bei der der Vater von der eigenen Tochter aus Rache, nachdem er ihren Freund vor die Tür gesetzt hatte, des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde und nach Schrassig kam. Nach zwei Jahren U-Haft wurde er von der Kriminalkammer freigesprochen. Doch immerhin: Diese Art des Verbrechens, die wohl zu den schlimmsten zählt und nicht mehr zu behebenden psychischen und manchmal sogar physischen Schaden anrichtet, wird konsequent verfolgt – und das ist auch gut so.

Drogenhandel

Und wie steht es augenblicklich um den Drogenverkauf im hauptstädtischen Bahnhofsviertel? Dort hatten sich bekanntlich Hunderte von kleinen und – seltener – größeren Dealer eingenistet und ungeniert, manchmal sogar zwei Meter von einem besetzten Polizeiwagen, drittklassiges Kokain verhökert. Eine ganze Reihe dieser Straftaten konnte geklärt und die Schuldigen verurteilt werden. „Wir hatten Kontakt zu den Autoritäten verschiedener Bundesländer, die uns vorschlugen, geeignete Strafen konsequent zu verhängen. Dies brachte seine Wirkung, da viele Rauschgiftverkäufer einsehen mussten, dass sie hohen Gefängnisstrafen nicht entgingen, falls sie gefasst würden. Heute ist es ruhiger geworden …“, so der Staatsanwalt. Und dann die „aktuelle“ Frage zum Bau der „Cité judiciaire“. Robert Biever befürchtet, dass eine Reihe von Verhandlungssälen zu klein geplant sind und es sicherlich Platzprobleme bei diversen Prozessen geben wird. Ein einziger großer Saal für das Tribunal dürfte nicht ausreichen.