Kurzarbeit: Ein Prinzip, viele nationale Modelle

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Mit Kurzarbeit versuchen die Regierungen quer durch Europa derzeit, eine massive Entlassungswelle in den gebeutelten Industriebetrieben zu verhindern. Die nationale Umsetzung des Prinzips hat dabei viele Gesichter. Léon Marx

Die luxemburgischen Regierungsvertreter stehen meistens in der ersten Reihe, wenn auf EU-Ebene über Wege diskutiert wird, wie massive Entlassungen verhindert werden können. So auch beim rezenten Treffen der Finanzminister der Eurozone, wo Jean-Claude Juncker die Konzerne dazu aufforderte, so lange wie möglich auf Kurzarbeit zurückzugreifen. Allein im Dezember hatten 230.000 Menschen in Europa ihren Job verloren.
Sozialpolitik untersteht auch innerhalb der EU weitgehend der Kompetenz der Nationalstaaten. Das führt nicht nur zu unterschiedlichen Regelungen bei Krankengeld, Pensionen oder Arbeitslosenentschädigungen.
Auch die Kurzarbeit ist zum Teil ganz unterschiedlich geregelt. In Luxemburg wird bei der Kurzarbeit zwischen drei Kategorieen unterschieden,

• Kurzarbeit aus konjunkturellen Ursachen,

• Kurzarbeit aus strukturellen Ursachen,

• Kurzarbeit aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit.

Kurzarbeit kann darüber hinaus auch dann genehmigt werden, wenn etwa nach einem Unfall, einem Feuer oder anderen externen Gründen einzelne Betriebsteile nicht funktionsfähig sind. Diskutiert wird derzeit in erster Linie über Kurzarbeit aus konjunkturellen Ursachen sowie über Kurzarbeit aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit.
Von den 87 Anträgen auf Kurzarbeit (für 9.210 Beschäftigte), die das Konjunkturkomitee für den Monat März genehmigte, sind 53 konjunkturell motiviert. In 27 Fällen gilt das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Dieses Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit ist in den Ausführungsreglementen exakt definiert. Es gilt für Zulieferbetriebe, die nur einen einzigen Kunden haben, dessen Markt stark eingebrochen ist, oder für Zulieferbetriebe, bei denen mehrere Kunden, die einen erheblichen Teil des Umsatzes ausmachen, unerwartet aus konjunkturellen Gründen wegbrechen. Es gilt schließlich auch für die Subunternehmen von Betrieben, die selbst Kurzarbeit fahren. In seiner Januarsitzung hat das Konjunkturkomitee beschlossen, das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit auch unter bestimmten Kriterien auf den Transportsektor anzuwenden.
Damit die Regeln der konjunkturell bedingten Kurzarbeit überhaupt zur Anwendung kommen können, muss die Regierung den Krisenzustand des Sektors offiziell feststellen. Als Krisensektor gelten derzeit die Siderurgie und der Bereich der Automobilzulieferer.
Kurzarbeit muss im Voraus angemeldet werden. Sie kann für den ganzen Betrieb oder für einzelne Abteilungen eines Betriebs beantragt werden. Während der Zeit, in der Kurzarbeit aus konjunkturellen Ursachen gefahren wird, darf ein Betrieb keine Entlassungen vornehmen. Ein Prinzip, das in dieser absoluten Form nicht bei Kurzarbeit aus strukturellen Gründen gilt.
Die Produktion darf um maximal 50 Prozent gekürzt werden. Dies während einer Dauer von maximal sechs Monaten. In seiner Januarsitzung hat das Konjunkturkomitee festgehalten, dass die Referenzperiode für diese sechs Monate ausnahmsweise für das Jahr 2009 auf zwölf Monate ausgedehnt wird. Während der Kurzarbeit erhalten die Beschäftigten 80 Prozent ihres normalen Bruttolohns. Die Kosten werden vom nationalen Beschäftigungsfonds übernommen.
Mit diesem Satz von 80 Prozent liegen die Kurzarbeitsentschädigungen in Luxemburg deutlich über dem Niveau in den direkten Nachbarländern Belgien (75 Prozent) und Deutschland, Frankreich (jeweils 60 Prozent). Was die Dauer der Kurzarbeit betrifft, so sieht das Bild allerdings etwas anders aus. Vor allem Deutschland ist mit seiner vor kurzem von zwölf auf 18 Monate ausgedehnten Bezugsdauer derzeit besser für eine länger anhaltende Krise gerüstet.

Die Modelle der Nachbarn

Laut deutscher Regelung können die Regeln der Kurzarbeit nur angewendet werden, wenn ein „erheblicher“ Arbeitsausfall vorliegt. Als erheblich gilt im Prinzip ein Einbruch von mindestens zehn Prozent über die Dauer von vier Wochen. Diese Zugangskriterien können je nach Sektor allerdings abweichen.
In einzelnen Sektoren (u.a. Chemische Industrie, Deutsche Bahn, Telekom, Metallindustrie) gelten auch kollektivvertragliche Zuschüsse zum gesetzlich festgelegten Kurzarbeitsgeld. Mit diesem Zuschlag des Arbeitgebers kann sich das Kurzarbeitsgeld auf bis zu 90 Prozent des Bruttolohns (chemische Industrie) erhöhen. Wie in Luxemburg ist das System der Kurzarbeit auch in Deutschland an einen Verzicht des Arbeitgebers auf Entlassungen gebunden.
Belgien ist das einzige der Nachbarländer, das wie Luxemburg sein System der Kurzarbeit an das Kriterium des konjunkturell bedingten Produktionsrückgangs gekoppelt hat. Unterschieden wird je nach Produktionsrückgang und Arbeitszeitverkürzung zwischen kleiner und großer Unterbrechung (maximal/minimal drei Tage) und einer Dauer von drei bzw. zwölf Monaten.
Das System ist in seiner Abwicklung ziemlich unflexibel. Innerhalb eines Kurzarbeitszyklus kann das Modell der Unterbrechung nicht gewechselt werden.
In Frankreich rutschen die Beschäftigten am Ende der Kurzarbeitszeit von 800 bzw. 1.000 Stunden automatisch in das „normale“ Arbeitslosensystem, auch wenn keine formelle Kündigung ausgesprochen wurde.