Léon Marx
Als arm gilt laut internationalem Berechnungsstandard, wer mit weniger als 60 Prozent des medianen Einkommens auskommen muss. 60 Prozent des medianen Einkommens, das entspricht in Luxemburg knapp 1.600 Euro.
Zwischen 2003 und 2008 stieg die Zahl der Kinder, die in Familien leben, die nur über 60 Prozent des medianen Einkommens verfügen, von 11,6 auf 20 Prozent. 20 Prozent, das sind rund 22.000 Kinder, rechnete Vera Spautz (LSAP) am Mittwoch im Rahmen einer Orientierungsdebatte im Parlament vor. Und es sei absehbar, dass der Anteil aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Situation weiter zunehmen werde. Vor allem Nicht-Luxemburger und wenig qualifizierte Familien leben in Armut oder am Rande der Armut. Und mit ihnen auch die Kinder.
Eine Zeitbombe
„Die Jugendarmut ist eine Zeitbombe“, warnte Vera Spautz. Der Staat müsse endlich wirksam gegensteuern. Das gesamte Gesellschaftsmodell riskiere ansonsten auseinanderzubrechen. Eine der zentralen Ursachen der Armut ist in ihren Augen die katastrophale Situation auf dem Wohnungsmarkt. Eine Darstellung, die so auch Viviane Loschetter von den Grünen und Eugène Berger (DP) teilten. Wie Spautz forderte auch Loschetter eine Reform der RMG-Gesetzgebung. Das Zugangsalter von heute 25 Jahren müsse gesenkt oder zumindest eine Zwischenlösung gefunden werden. Es könne nicht sein, dass Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren einfach so durch das Sozialnetz fallen.
Skeptisch zeigte sich Spautz über die Reform der Sozialversorgung ab dem 1. Januar 2011. „Was nützt es, wenn Sozialhilfe zwar zu einem Recht erhoben wird, der Staat aber nicht die Mittel hat, die Ansprüche abzudecken“, fragte sie. Es müsse generell zu einem Umdenken in der Politik kommen, forderte Vera Spautz: Sozialpolitik dürfe nicht länger ausschließlich als Arbeit der Sozialämter verstanden werden.
Eugène Berger erinnerte an die DP-Idee eines Wohngeldes. Damit könne auch verhindert werden, dass immer mehr Luxemburger ihren Wohnsitz ins nahe Ausland verlegen. Die Sozialpolitik der CSV über Geldleistungen sei gescheitert, meinte er. Die DP würde, wenn sie denn in der Regierungsverantwortung stünde, verstärkt auf Sachleistungen setzen und statt der „chèques-service“ die Kinderbetreuung kostenlos machen.
Kritiken, die Mill Majerus so nicht im Raum stehen lassen wollte. Auch die CSV habe eine Präferenz für Sachleistungen, behauptete er.
Majerus warnte auch vor einer Dramatisierung der Situation. Sicherlich gebe es auch in Luxemburg Jugendarmut. Das Bild sei aber sicherlich dadurch etwas verfälscht, da das mediane Einkommen im Vergleich zum Ausland relativ hoch sei. Zudem sei der rein finanzielle Vergleich nicht korrekt, weil er eben Sachleistungen nicht berücksichtige. Einig war sich der CSV-Redner mit den Vorrednern darin, dass es bei Jugendarmut wichtig sei, möglichst früh einzugreifen.
Jugendarmut ist nur die Spitze des Eisbergs, meinte André Hoffman (déi Lénk); ihm geht es prioritär darum, erst einmal den Eltern aus der Armut zu verhelfen. Und da sehe es in Luxemburg sehr schlecht aus, bemerkt er. Schließlich liege sogar der soziale Mindestlohn unter der Armutsgrenze.
Familienministerin Marie-Josée Jacobs versuchte, wie zuvor bereits Parteikollege Mill Majerus, die ganze Thematik zu relativieren. „Nicht jeder, der statistisch arm ist, fühlt sich auch arm“, gab sie zu Protokoll. Nur sieben Prozent hätten in Umfragen erklärt, sich arm zu fühlen, fünf Prozent hätten erklärt, das Geld reiche nicht bis zum Monatsende.
Am Ende der ministerlichen Ausführungen gab es immerhin das Eingeständnis, dass die Anfang 2009 eingeführten „chèques-service“ die eigentliche Zielgruppe, die sozialschwachen Familien, nicht wirklich erreichten. Von 4.500 anvisierten Kindern aus armutsgefährdeten Familien nutzt nur ein Drittel das Angebot. Weit stärker wurde es von Eltern genutzt, die über höhere Einkommen verfügen.
Eingangs der Sitzung am Mittwoch hatten sich die Abgeordneten, anlässlich des internationalen Weltfrauentags, mit der aktuellen Situation in Sachen Gleichstellung der Geschlechter in Luxemburg befasst. Und dabei festgestellt, dass zwischen der rein theoretischen, gesetzlichen Gleichstellung und der gelebten Praxis noch immer ein breiter Spalt klafft.
De Maart
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