SerieHistorisches und architektonisches Esch (29): Das Haus Claude

Serie / Historisches und architektonisches Esch (29): Das Haus Claude
Das Haus Claude (57, rue de l’Alzette) und seine neogotische Fassade Foto: © Christof Weber, 2020

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Im Jahre 1909 ließ der Tuchhändler Jean Adolphe Claude (1870-1945), Sohn des Bauern und Färbers Pierre Claude (1817-1890), Bürgermeister der Stadt Esch von 1861 bis 1878 und Bruder des Gemeindesekretärs Jean-Pierre Claude (1848-1931), in der rue de l’Alzette 57 (damals Poststraße 7) ein großes Wohn- und Geschäftshaus mit neugotischer Fassade errichten.

Ein Akzent der Fassade liegt auf der ersten Achse, in der sich der ehemalige Eingang befand. Die vertikale Tendenz wird durch die Unterbrechung des Gesimses durch einen Giebel im neogotischen Flamboyant-Stil unterstrichen. Die Fassade wird durch Pilaster gegliedert, die mit feinen Säulen geschmückt sind. Ihre Kapitelle sind mit Maskarons verziert. Unterschiedliche Bogenformen der Fenster und Umrahmungen charakterisieren die Fassade, deren Mittelteil durch Zwillingsfenster betont wird. Die Giebelgauben und Fensterbrüstungen sind mit versteinerten Rosen, imaginären Wappen, Pergamentrollen usw. reich dekoriert. Das kommerziell genutzte Erdgeschoss wurde im Laufe der Jahrzehnte mehrfach umgebaut.

Das Haus hat eine erzählenswerte Geschichte. Im Erdgeschoss befanden sich einst das Stoffgeschäft Claude („maison de blanc, gros und demi-gros“) sowie der Schuhmacher Philippe Herber, dem ab 1930 das Schuhgeschäft der tschechischen Marke Bata folgte. Im hinteren Teil des Hauses arbeiteten die Schuhmacher in der Werkstatt der Firma. Die Besitzer, Jean Adolphe Claude und seine Frau Emilie Kongs (daher das Monogramm CK am Giebel), wohnten mit ihrem Sohn René und ihrer Tochter Adolphine im ersten Stock. Ihr deutsches Dienstmädchen Katherine Steioff bewohnte ein Dienstmädchenzimmer unter dem Dach.

In den 1930er Jahren wohnte im zweiten Stock die Familie Cerf. Julien Cerf (1897-1944) war Handelsvertreter in Esch bei Ferroknepper, einem Großhändler für Eisen und Metalle, und lebte dort mit seiner Frau Camille Bonem (1905-1983) und ihren Söhnen Paul, geboren 1929, und Georges, geboren 1936. Während des Krieges flüchtete die Familie in den Hérault im Süden Frankreichs. Am 10. Mai 1940, Tag des deutschen Einmarsches in das Großherzogtum, wurde die Familie Cerf, wie 40.000 andere Bewohner des luxemburgischen Minettebeckens, in Richtung Frankreich evakuiert. Aber für diese jüdische Familie begann hiermit auch die Flucht vor der Verfolgung durch die Nazis. Ihr Exodus führte sie zunächst nach Montpellier, von Juli 1940 bis Februar 1941. Dann fanden sie Zuflucht in Aulus-les-Bains, einem kleinen Kurort in der Ariège. Nach der Besetzung der sogenannten „freien“ Zone durch die Deutschen im November 1942 und einem misslungenen Versuch, über die Grenze nach Spanien zu gelangen, beschloss die Familie, sich zu trennen. Wegen der Razzien der Vichy-Polizei in der Gegend war Aulus zu gefährlich geworden.

Die Eltern kehrten nach Montpellier zurück, die Kinder blieben vorerst bei den Großeltern, Ferdinand und Berthe Bonem. Julien Cerf schloss sich einer Widerstandsgruppe an, die unter anderem 13 luxemburgischen Zwangsrekrutierten zur Desertion verhalf. Von einem luxemburgischen Kollaborateur verraten und denunziert, wurden elf der 13 Zwangsrekrutierten zum Tode verurteilt und am 7. Februar 1944 in Lyon erschossen, darunter die Escher Aloyse und Jean Flammang, Alex Jacquemin, Nicolas Majerus und Jempy Thull. Julien Cerf wurde ebenfalls verhaftet und als Jude von Drancy nach Auschwitz deportiert, wo er am 7. April 1944 umgebracht wurde. 

Ein Stolperstein vor dem Gebäude bewahrt heute sein Andenken. Seine Frau und seine Söhne überlebten den Krieg. Camille lebte unter dem falschen Namen Camille Cernier, geborene Bonnet, in Ganges (Hérault). Georges und seine Großeltern Ferdinand und Berthe Bonem wurden von einem französischen Bauern in Bessolles, einem kleinen Dorf in der Creuse, versteckt. Paul Cerf (1929-2003) versteckte sich unter falschem Namen als katholisches Kind bei einem Dorfpfarrer in La Porcherie (Haute-Vienne). In den 1970er und 1980er Jahren wurde er der Pionier der Forschung über das Schicksal der Juden in Luxemburg während des Zweiten Weltkriegs.

Leila
16. Mai 2020 - 14.55

Traumhafte Fassade! Wahre Schätze in Esch, doch um sie zu entdecken, muss man nach oben schauen. Ich war schon oft in der Straße und habe das Gebäude noch nie wahr genommen!