Montag20. Oktober 2025

Demaart De Maart

„Enormer Nachholbedarf“

„Enormer Nachholbedarf“

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

LUXEMBURG - Um den Sozialdialog in den Betrieben ging es in einem Symposium der Hans-Böckler-Stiftung am Dienstag in der "Chambre de commerce".

Deutschland, ein Modell für die luxemburgische Gesetzgebung, deren Reform die Gewerkschaften schon seit Jahren anmahnen? Ein Gespräch mit OGBL-Nationalpräsident Jean-Claude Reding.

Tageblatt: Deutschland wird wegen seiner wirtschaftlichen Entwicklung zum Teil neidisch betrachtet. Hat das auch mit dem Modell des Sozialdialogs zu tun?

Jean-Claude Reding: „Das deutsche Modell beruht auf Diskussion und Verhandlung. Das ist an sich nicht viel anders als bei uns. Faszinierend ist allerdings, dass dieses Modell gesetzlich so umrahmt ist, dass ein Druck entsteht, der dazu führt, dass diese Verhandlungen am Ende auch zu einem Ergebnis führen müssen, dass nicht einfach nur ins Leere diskutiert wird. Deutschland hat eine ganze Reihe von zwingenden Etappen im Mitbestimmungsgesetz verankert.

Unabhängig davon, ob man die deutsche Wirtschaftspolitik als richtig empfindet, muss man feststellen, dass ihr vertieftes Mitbestimmungsmodell bis in die Führungsebene hinein in den Betrieben gut funktioniert und diese nicht in ihrer Entwicklung lähmt oder behindert. Wenn man das deutsche Modell für das richtige hält, dann müsste man es konsequenterweise aber auch in all seinen Elementen umsetzen.“

In Luxemburg funktioniert der Sozialdialog derzeit eher schlecht. Die Tripartite ist zum zweiten Mal gescheitert …

„Ja, der Sozialdialog in Luxemburg funktioniert derzeit schlecht auf nationaler Ebene. Aber vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass er an der Basis in den Betrieben nicht so funktioniert, wie er sollte, weil wir eine gesetzliche Basis aus den 1970er Jahren haben, die eigentlich nicht mehr in die heutige Zeit passt. Wenn der Sozialdialog oben funktionieren soll, dann muss man unten ansetzen und einen geeigneten Rahmen schaffen. Und da kommen wir nicht voran.

Bereits die vorige Regierung mit Arbeitsminister François Biltgen hatte versprochen, ein neues Gesetz auszuarbeiten, jetzt sind wir mit einem neuen Arbeitsminister bereits in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode und wir haben noch immer kein Gesetz. Premierminister Juncker hat nach dem Scheitern der Tripartite im September gesagt, dass er mit den Gewerkschaften grundsätzlich darin übereinstimmt, dass in Sachen betriebliche Mitbestimmung etwas passieren muss. Es wäre an der Zeit, diesen Worten endlich Taten folgen zu lassen.“

Welche Punkte müssten konkret reformiert werden?

„Die Arbeitsbedingungen haben sich geändert. Die Leute arbeiten nicht mehr unter denselben Bedingungen wie vor 30 oder 40 Jahren. Heute stellen sich die Beschäftigten vor allem Fragen über die Organisation ihrer Weiterbildung, nicht nur für den Betrieb selbst, sondern auch in der Optik eines Wechsels. Es geht aber auch darum, wie schnell die Beschäftigten bei Veränderungen informiert werden, wie man Entwicklungen voraussehen und sich darauf einstellen kann.

Damit die Personalvertretung, der gemischte Betriebsrat, die richtigen Informationen bekommt, brauchen wir Rechte für diese Gremien, an die Informationen heranzukommen und diese zu verarbeiten. Kritische Nachfragen müssen auch beantwortet werden. Das geht nicht ohne klar gesetzlich festgelegte Sanktionsbestimmungen. Genau dieser Druck fehlt derzeit in der luxemburgischen Gesetzgebung.“

Das Patronat klagt, es gehe den Gewerkschaften nur um zusätzliche Freistellungen.

„In Deutschland ist ein Personaldelegierter auf 200 Beschäftigte freigestellt, in Luxemburg einer auf 500. Für die Qualität der Mitbestimmung ist es wichtig, wenn die Delegierten Zeit haben, ihre Arbeit auch seriös zu machen. In dem Zusammenhang erinnere ich auch daran, dass durch die Einführung des ‚Statut unique‘ nach den Sozialwahlen 2013 Betriebe, die während der Übergangsphase noch eine Arbeiter- und eine Beamtendelegation haben, nur noch eine gemeinsame Vertretung mit weniger Delegierten haben.

Warum nicht von dieser Verschlankung der Delegationen profitieren, um diesen mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Arbeit professionalisieren können? Auch die Betriebsdelegation muss das Recht haben – und den Zugang zu den finanziellen Mitteln –, etwa bei anstehenden Betriebsrestrukturierungen einen externen ‚Consultant‘ zu bestellen. Positive Ideen müssen diskutiert werden. Das scheint mir das größte Defizit in der aktuellen Gesetzgebung.

Das deutsche Mitbestimmungsgesetz geht da sehr weit. Ein Arbeitgeber, der sich im Sozialdialog taub stellt, kann von der Betriebsdelegation vor das Arbeitsgericht zitiert werden. Das alles verursacht natürlich Kosten. Da macht man sich schon Gedanken, ob man nicht doch besser hat, in Verhandlungen einzusteigen. Ein solches Modell erfordert aber auch einen besseren gesetzlichen Schutz der Personaldelegierten, nicht nur vor einer Entlassung, sondern auch vor subtileren ‚Sticheleien‘ durch den Betrieb. Und schließlich: Wenn wir gute Personaldelegierte wollen, dann müssen wir auch sicherstellen, dass ihre Gehaltslaufbahn während ihrer Freistellung normal weiterläuft.“

2013 sind Sozialwahlen, wie ist Ihr Gefühl?

„Wir fangen wirklich an, nervös zu werden. Es liegt alles auf dem Tisch. Die Gewerkschaften und die Salariatskammer haben praktisch einen fertigen Text vorgelegt. Es muss jetzt endlich gehandelt werden. Die ganze Regierung ist in der Pflicht, einen Gesetzentwurf zu liefern, der ein wirkliches qualitatives Plus bringt. Wir wollen eine fundamentale Reform, um die betriebliche Mitbestimmung auf eine andere Ebene zu stellen. Solange der Sozialdialog in den Betrieben nicht läuft, werden wir auch in der Tripartite nicht mehr vorankommen.“