Zwei Busse, vier Fahrer, 74 Jungen und Mädchen, acht Lehrer und strahlendes Sommerwetter in der Bretagne: Eine Woche lang durfte gespielt werden, durften sie besichtigen, Disco machen und in der Bucht von Lorient Boot fahren. Für die Jungen und Mädchen aus der „Groussgaassschoul“ in Esch/Alzette wurde ein Traum wahr.
„Lesen, Schreiben, Rechnen findet nicht statt“, sagt Manon Pöhnert, Klassenlehrerin einer dritten Klasse der Schule. Strand steht auf dem Stundenplan, Fußballspielen, Tischtennis und natürlich das Anschauen der Spiele der Fußballweltmeisterschaft. Marc Weidert, Präsident des Schulkomitees, gibt den neun- bis elfjährigen Kindern große Freiheiten. Das ist möglich auf der großen Anlage, die die Stadt Puteaux in der Gemeinde Ploermeux besitzt. Puteaux ist eine Stadt mit 45.000 Einwohnern im Einzugsbereich von Paris. Auf ihrem Stadtgebiet stehen große Teile des Businessbezirkes von Paris, zum Beispiel die „Grande Arche“. Puteaux ist seit 1960 Partnerstadt von Esch. Davon profitiert die Minettestadt seit einigen Jahren für ihre Kinder.
Französische Städte haben häufig in Feriengebieten große Anlagen, um sozial schwachen Familien die Möglichkeit zu geben, auch Urlaub zu machen. Die Anlage in Ploemeur ist weitläufig, man muss die Escher suchen und dem Gehör vertrauen. Dort, wo sie laufen, rufen, spielen, findet man sie. Die Wärme von um die 28 Grad stört nicht. Die Schuhe der Jungen, die dem Fußball hinterherlaufen, stehen aufgereiht auf dem Rasen. Die Lehrer sitzen geruhsam im Schatten auf einer Fensterbank und reden. Entspannung ist angesagt. „Die Schuhe“, sagt Weidert, „waren nass. Wir sind heute früh am Stand spazieren gegangen. Eigentlich sollte keiner mit den Füßen ins Wasser. Aber das ist natürlich nicht zu vermeiden. Also stehen die Schuhe jetzt zum Trocknen auf der Wiese.“
Sport, Strand und Disco
Jedes Escher Kind soll im Laufe seiner Schulzeit in ein Schulcamp gehen können, lautet die Devise der Stadt. Die Escher Grundschulen machen das in den Klassen drei und vier. Die Ferienanlage von Puteaux in Ploemeur hilft dabei. Die Kosten für die Woche in der Bretagne trägt die Stadt Esch. In diesem Schuljahr waren die Schulen „Nonnewisen“, „Dellhéicht“ und nun die „Groussgaassschoul“ in Ploemeur.
Die Kinder haben sich klaren Regeln unterworfen. Es gibt kein Smartphone, keinen persönlichen Fotoapparat. Es gibt keine Telefongespräche mit Zuhause. Wie ertragen das die Kleinen, die zum ersten Mal ohne Eltern eine Woche unterwegs sind? „Hat es Heimweh gegeben?“ Sie nicken alle und geben zu, dass es auch Tränen gegeben hat.
Aber es gab viel zu tun. Die Lehrer ließen sich auf ein Minigolf-Turnier mit ihren Schülern ein, das die Jungen gewonnen haben. Die Jungen wollten das sofort wiederholen, aber darauf haben sich die Lehrer zu ihrem Bedauern nicht eingelassen. Ausflüge gab es, wie nach Carnac zum Beispiel, wo die Hinkelsteine von Obelix stehen, die heute eingezäunt sind. Die Gruppe zog brav an den Zäunen vorbei und sah dann mit Staunen, wie die Steine im Meer verschwanden. Nadia Tornambé, die eine vierte Klasse unterrichtet, beobachtete, dass in Carnac aber nicht nur die Hinkelsteine Interesse fanden. Die Acht- und Elfjährigen entdeckten ihr Interesse für Bäume, Blätter und Blumen. Die Mädchen veranstalteten am ersten Abend eine Disco.
Mitten im Gespräch laufen die meisten Jungen und Mädchen fort. In der ersten Etage des großen Gemeinschaftsgebäudes, in dem auch gegessen wird, gibt es einen Kinosaal mit bequemen Sesseln. Dort wird die Weltmeisterschaft übertragen. Und wenn Portugal spielt, füllt sich der Saal. „Sie dürfen das“, sagt Weidert, „die erste Halbzeit, dann geht es wieder an den Strand.“ Die Lehrer lernen „ihre Kinder“ hier ganz anders kennen. „Hier klingelt es nicht“, sagt Nadia Tornambé. „Hier können sich die Kinder anders kennenlernen. Auf dem Schulhof ist dazu nie richtig Zeit und er ist auch zu klein. Wir merken schon, dass sich hier einige aus dem Weg gehen. Das geht in der Schule nicht.“
Heimweh kommt vor
Der Tag der 74 Schüler ist ausgefüllt. Und da irgendwann einmal Schluss sein muss, gibt es abends die Dusche, nach der um 21.30 Uhr schlafen angesagt ist. Weidert: „Um 22 Uhr schlafen alle. Allerdings hat der Abend auch so seine eigenen Riten. Nadia Tornambé kümmert sich um die Seele der Mädchen. Wenn alle im Bett sind, erzählt sie Gute-Nacht-Geschichten, gibt ihnen so Zärtlichkeit und Geborgenheit, lässt sie das Heimweh vergessen. Und während sie erzählt, fallen bei den meisten schon die Augen zu.“
Bei den Jungen haben sich die Pädagogen etwas anderes einfallen lassen. „Bei den Jungen entscheidet ein Elfmeterschießen darüber, ob eine Ausnahme gemacht wird“, sagt der Lehrer. Wer zwei Schüsse der Lehrer hält, darf später ins Bett. Meist halten die Jungen nur einen. Das zeigt, dass das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern in Ploemeur völlig anders ist als in Esch.
Das stellt auch Claudia fest, die sonst in Esch die „Konfliktlehrerin“ ist. Sie gleicht aus, löst Konflikte. „Hier kann ich in Ruhe beobachten und verstehen, was in den Kindern vor sich geht“, sagt sie. Claudia wird mit den Kindern nach dem Schullandheim anders umgehen können. „Wir hoffen ja, dass sie uns erhalten bleibt, denn sie ist so wichtig für uns“, sagt Marc Weidert. Hinter solchen Sätzen verbirgt sich ein großes Problem. Syrer, Araber, Kapverdier, Chinesen, Russen, Bulgaren, Montenegriner, Italiener und auch Luxemburger machen ihre Grundschulerfahrung in der „Groussgaassschoul“ in Esch. Und das sind noch nicht alle Nationalitäten. Die jeweiligen Befindlichkeiten führen in der Schule zu Konflikten, die Claudia beherrschen muss. In Ploemeur lernen die Kinder sich kennen und Konflikte können anders geklärt werden.
Dabei werden auch Talente deutlich. Der kleine Syrer Amas, der in Luxemburg die deutsche Sprache gelernt hat, entdeckte den Fotoapparat der Lehrer. Sie hatten den Kindern angeboten, den „offiziellen“ Fotoapparat zu benutzen. Aber nur Amas fand Interesse daran und alle anderen hatten schnell akzeptiert, dass Amas die Rolle des Schulfotografen übernehmen will.
Das Essen mögen alle durchgehend. Fisch mag Laila zwar nicht, aber am Mittag des Tageblatt-Besuches in Ploemeur hat sie ihn doch tapfer gegessen. Lorena ist geradezu begeistert von ihrem Aufenthalt. Das Zimmer sei gut, die Küche mag sie, die Karotten und den Fisch. „Karotten gibt es hier jeden Tag. Ich habe schon lange nicht mehr so viele Karotten gegessen wie hier“, schmunzelt Marc Weidert. Und während das Essen die wichtigste Erfahrung zu sein scheint, geben Dzemil, Daniel und Aidi offen zu, dass sie mit Heimweh zu kämpfen hatten. Dennoch: Würden sie das noch einmal machen, wenn sie könnten? Einstimmig kommt die Antwort, laut und unüberhörbar: Jaaa!
De Maart

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