Der Staat als Inkassobüro

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Mit einem Gesetzesentwurf über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen ergänzt Luxemburg das Instrumentarium zur europaweiten Verbrechensbekämpfung. Lucien Montebrusco

Wer in einem EU-Land zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, wird in Zukunft auch zahlen müssen, wenn er sein Bankkonto in einem anderen EU-Land hat. Den Griff auf das Vermögen des Verurteilten wird der Staat vornehmen, in dem der Straftäter das Ergaunerte hortet. Als Inkassobüro wird sich in Bälde auch der Luxemburger Staat profilieren können. Der Ministerrat nahm am vergangenen Donnerstag einen entsprechenden Gesetzesentwurf an. Es handelt sich dabei um die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses des EU-Rates, der die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen vorsieht.

Von Brandstiftung bis Terrorismus

Das Projekt bezieht sich dabei auf Geldstrafen, die von einem Gericht in einer strafrechtlichen Affäre verhängt wurde. Der Rahmenbeschluss nennt dabei unter anderem Straftaten wie Terrorismus, Menschenhandel, Rauschgifthandel, Korruption, Geldwäsche, Warenschmuggel, Diebstahl, Flugzeug- und Schiffsentführung, Vergewaltigung, Brandstiftung, Produktpiraterie – Straftaten, bei denen neben einer Haftstrafe auch eine Geldbuße verhängt werden kann. Um an das Geld des Straftäters zu kommen, wird der Staat, in dem das Urteil gesprochen wurde, den Staat, in dem der Verurteilte über Vermögen oder ein Einkommen verfügt, über das Urteil informieren. Dieser wird es dann „vollstrecken“, das heißt die verhängte Geldbuße einziehen. Das beabsichtigte Gesetz wird sich jedoch nicht auf den Autofahrer beziehen, der in Ostende einen Strafzettel wegen Falschparkens bekam. Das ist bereits in anderen zwischenstaatlichen Abkommen geregelt, zwischen den Benelux-Staaten seit 2004. Der entsprechende Vertrag vom 8. Juni 2004 war im Gesetz vom 21. Dezember desselben Jahres in Luxemburg umgesetzt worden. Das Gesetz regelt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizeibehörden von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Es räumt den Polizeibeamten das Recht ein, in das jeweilige Kraftfahrzeugzulassungsregister des anderen zu schauen und dem Verkehrssünder das Knöllchen ins Nachbarland nachzuschicken. Das Netz um den straffälligen Autofahrer wurde mit dem Vertrag von Prüm erweitert. Dem am 27. Mai 2005 im Eifelstädtchen unterschriebenen Abkommen „über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration“ haben sich bisher zehn Länder angeschlossen: Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Finnland, Slowenien und Ungarn. Italiens Parlament liegt bereits ein Gesetzesentwurf zum Prümer Vertrag vor. Luxemburg gehörte mit seinen Nachbarländern zu den Erstunterzeichnern. Bisher mussten die Justizbehörden in einem schwerfälligen Verfahren die Daten des sündigen Fahrers in dessen Heimatland anfragen. Jetzt können französische oder finnische Polizisten wie ihre Benelux-Kollegen bisher die Adresse des Fahrers gleich selbst im Fahrzeugregister des anderen Landes nachschauen. Operationell sei das System derzeit zwischen Österreich, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Spanien und den Niederlanden, sagte man uns im Justizministerium. Für Belgien gilt dies wegen technischer Umrüstungsprobleme vorläufig nur für das Grenzgebiet.

DNA und Fingerabdruck

Doch der sündige Verkehrsteilnehmer spielt im Prümer Vertrag nur eine kleine Nebenrolle. Viel spannender ist für die jeweiligen Polizeibehörden der Zugang zu den Datenbanken der ausländischen Kollegen mit DNA-Analysen und Fingerabdrücken. Zwar werden bei einer Übereinstimmung nicht gleich die personenbezogenen Angaben herausgerückt. Doch das ist nur noch eine Formsache. Der Gesetzesentwurf, den der Ministerrat nun guthieß, ist ein weiterer legislativer Schritt zur strafrechtlichen Einfassung des Bürgers. Bereits 2004 hatte das Parlament das Gesetz über den europäischen Haftbefehl angenommen. Das sieht die Auslieferung eines im Ausland Verurteilten vor. Nun soll ihm auch das Portemonnaie folgen. 

Der Vertrag von Prüm 
 
„Zur Verfolgung von Straftaten kann jeder künftig durch einen direkten Zugriff auf die DNA- und Fingerabdruckdateien
der anderen Staaten feststellen, ob dort zu einer DNA-Spur oder einem Fingerabdruck Daten gespeichert sind.
Kommt es zu einem Treffer, übermitteln die Staaten einander die Daten der gesuchten Person
(z.B. den Namen, die Adresse und weitere Informationen) – wie bisher auch – im Wege der Rechtshilfe.
Im Falle der Fingerabdruckdateien ist ein solcher Zugriff auch zur Verhinderung von Straftaten zulässig.
Zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und zur Gefahrenabwehr kann außerdem jeder dieser Staaten
in Zukunft Daten aus den Fahrzeugregistern der anderen Staaten direkt abrufen.
Sonstige wesentliche Inhalte des Vertrags sind:
Austausch von Informationen zu präventiven Zwecken über reisende Gewalttäter und Hooligans (z.B. vor Fußballspielen,
Europäischen Räten und anderen internationalen Gipfeltreffen).
Zur Verhinderung terroristischer Straftaten können (personenbezogene) Informationen über sog. ‚terroristische Gefährder‘
übermittelt werden; der Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern ist vorgesehen. Als Maßnahmen zur Bekämpfung der
illegalen Migration sind der Einsatz von Dokumentenberatern und die gegenseitige Unterstützung bei Rückführungen
vorgesehen…. Zur Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit ermöglicht der Vertrag gemeinsame Einsatzformen
zur Gefahrenabwehr (z.B. gemeinsame Streifen), grenzüberschreitendes Eingreifen zur Gefahrenabwehr bei gegenwärtiger
Gefahr für Leib oder Leben und Hilfeleistung bei Großereignissen und Katastrophen (auch durch Entsendung von Beamten,
Spezialisten und Beratern).“ (Aus der Pressemitteilung anlässlich der Unterzeichnung des Vertrags von Prüm durch
Justizminister Luc Frieden und seine Ministerkollegen aus Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, der Niederlande und
Österreich am 27. Mai 2005)