Mittwoch22. Oktober 2025

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„Der politische Anspruch ist hoch“

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„Transgender Luxembourg“ ist die erste Organisation für transidente Menschen in Luxemburg. Gegründet wurde sie vor ziemlich genau einem Jahr, am 20. Januar 2009, als Teil der „Rosa Lëtzebuerg asbl.“, die sich schon seit fast 14 Jahren für die Rechte von LGBT („Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender“) einsetzt. Luc Laboulle

LUXEMBURG – Karl war einer der vier Gründungsmitglieder von „Transgender Luxembourg“. Wir trafen ihn in den Kellerräumen des Cigale („Centre d’information gay et lesbien“) in Bonneweg. Karl heißt nicht wirklich so, wir haben seinen Namen geändert, denn die Transgender-Aktivisten operieren in Luxemburg noch vorwiegend im Untergrund. Aus Furcht vor Diskriminierung und anderen möglichen gesellschaftlichen Repressionen wollen sie unerkannt bleiben.Mehr dazu in der Tageblatt-Auflage von Samstag
Ihr „Angriff“ gilt dem hegemonialen, dualistischen Geschlechtersystem von Frau und Mann. Transidente Menschen lehnen das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht und die damit verbundene soziale Rolle ab. Sie entlarven die vermeintlich „natürliche“ Geschlechteridentität als soziales Konstrukt, das dazu dient(e), das Leben zu vereinfachen und zu strukturieren.
„Wir definieren Transidentität als die Inkongruenz oder Nicht-Übereinstimmung von physischem Geschlecht und Geschlechtsidentität“, sagt Karl. Dieser Aussage zugrunde liegt die Differenzierung von „Sex“ und „Gender“, also einerseits dem biologischen Geschlecht und andererseits dem sozialen.
Das biologische Geschlecht wird einem Menschen in der Regel bei der Geburt attribuiert. Und wenn er aufgrund seiner Genitalien nicht in das dualistische Schema passt (wie im Fall von Intersexuellen), wenden die Ärzte häufig Gewalt in Form eines geschlechtszuweisenden chirurgischen Eingriffs bei Säuglingen und Kleinkindern an.
Das soziale Geschlecht hingegen wird erlernt und ist auch kulturell geprägt. „Biologische“ Jungs üben „männliche“ Verhaltensweisen, „biologische“ Mädchen lernen, sich wie „Frauen“ zu benehmen. So lautet die Regel, doch die Ausnahmen sind vielfältig.
Ein Teil der Transidenten probiert sich diesen stereotypisierten Kategorien zu entziehen: Karl erklärt das so: „Wir sind Menschen, die zum Teil versuchen, die gängigen Muster und Kategorien aufzubrechen, ohne jedoch das Bedürfnis zu haben, neue Muster zu finden.“
Ihre Argumentation liegt in der Variabilität von biologischem Geschlecht und geschlechtlicher Identität, deren ausschließliche Übereinstimmung bezweifelt wird. Unter geschlechtlicher Identität versteht man das „tief empfundene Gefühl der Zugehörigkeit“ zu einem Geschlecht. Bei transidenten Menschen weicht es von dem ab, das ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde.
Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass der Mensch seine geschlechtliche Identität selber bestimmen kann und sich nicht der Beurteilung seiner Person durch andere unterwerfen muss. Mehr dazu in der Tageblatt-Auflage von Samstag

Hinter dem Konglomerat Transidentität verbirgt sich dementsprechend eine ganze Fülle von sozialen Bezeichnungen und Kategorien wie z.B. „FTM, trans oder tranny man, boy, fag und gay (für MTFs ersetzt durch Frau, Mädchen, dyke und Lesbe), maskuline oder männlich identifizierte Frauen, lesbischer Mann, dyke daddy, drag king und queen, neue Frau, neuer Mann, baby butch, soft butch, soft dyke, tryke, boy chick, und boy dyke; transfaghag, gender-bender oder blender, gender fuck, gender outlaw und gender queer; transqueer, queer, cross dresser, Anrogyn, transhuman, transfolk, transpeople, Mann oder Frau mit transgender oder transsexueller Erfahrung“ (nach Cromwell, zitiert aus FeMale von Susanne Schröter).
Das politische Ziel von „Transgender Luxembourg“ besteht nun darin, die Lebenssituation transidenter Menschen zu verbessern. Dazu gehört, das Thema in das öffentliche Bewusstsein zu bringen und die Tabuisierung zu vermindern. Ferner soll die Möglichkeit der Diskriminierung von Transidenten ausgeschlossen und die Pathologisierung, insbesondere von Transsexuellen, abgeschafft werden. So benötigen Transsexuelle, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen möchten, in den meisten Ländern ein psychiatrisches Gutachten, das ihnen ihre „psychische Erkrankung“ bescheinigt. Diesem voraus gehen teils erniedrigende Tests und Untersuchungen, z.B. die Frage danach, ob und wie oft eine untersuchte Person masturbiert.

Doch auch andere Formen von Transidentität wie Fetischismus oder Transvestitismus, genauso wie bestimmte Sexualpräferenzen, sind immer noch in der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geführten Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD) als Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgelistet.
Das führt dazu, dass auch in der öffentlichen Wahrnehmung Transidente häufig als krank identifiziert werden. „Die Unterdrückung und Ausgrenzung, die die betroffenen Personen erfahren, führen häufig zu Depressionen, Ängsten und anderen psychischen Beschwerden. Sozialer Rückzug, Flucht in die Sucht oder auch Suizide können die Folge sein“, bedauert Karl.
Um dem entgegenzuwirken setzt sich „Transgender Luxembourg“ für die Anerkennung der 29 „Yogyakarta-Prinzipien zur Anwendung der internationalen Menschenrechte auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität“ durch die luxemburgische Regierung ein. Diese Prinzipien wurden auf einer Versammlung internationaler Menschenrechtsexperten in Yogyakarta, Indonesien, im März 2007 veröffentlicht und gewährleisten die Einhaltung der internationalen Menschenrechte für LGTB.
Die Anerkennung der Yogyakarta-Prinzipien sollte, zusammen mit Respekt vor dem Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und den zwölf Forderungen des EU-Kommissars für Menschenrechte (siehe Kader), dann auch zu einer rechtlichen Anerkennung der Vielfalt von Geschlecht und geschlechtlicher Identität führen, denn, wie Karl betont, ist die Geschlechtsidentität in Luxemburg bislang nicht explizit vor Diskriminierung geschützt. Eine weitere zentrale Forderung von „Transgender Luxembourg“ ist die Trennung von Namens- und Personenstandsänderung.
Zurzeit sieht es in Luxemburg so aus, dass man seinen Vornamen nur im Falle einer Personenstandsänderung infolge einer chirurgischen Geschlechtsumwandlung ändern kann. Wer sich jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht operieren lassen kann oder die Unversehrtheit seines Köpers schützen möchte, dem bleibt diese Möglichkeit vorenthalten. In vielen Ländern Europas ist daher die Trennung von Namens- und Personenstandsänderung eingeführt worden. Als Zwischenlösung regt „Transgender Luxembourg“ daher die Entwicklung eines luxemburgischen Ergänzungsausweises für transidente Menschen, der die Anrede im subjektiv wahrgenommenen Geschlecht auch vor der gesetzlich verankerten Namensänderung ermöglicht.
Neben der politischen Arbeit bietet „Transgender Luxembourg“ aber auch eine breit gefächerte Beratung für transidente Menschen und ihre Angehörigen an. Diese Beratung reicht von Information und Erfahrungsaustausch über die Vermittlung von interessierten Psychologen und Sozialpädagogen bis hin zur Aufklärungsarbeit über kosmetische Operationen und Geschlechtsumwandlungen.
Die erste Kontaktaufnahme geschieht oft per E-Mail oder Telefon, anschließend besteht die Möglichkeit einer individuellen Beratung oder der Teilnahme an der Selbsthilfegruppe, die sich regelmäßig trifft.

Das Gründungsjahr 2009 sei durchaus erfolgreich gewesen, bilanziert Karl, die Nachfrage sei definitiv vorhanden: „Zurzeit variiert die regelmäßige Teilnahme an der Selbsthilfegruppe mit steigender Tendenz. Im Dezember waren zehn Personen anwesend. Wir haben Anfragen von Menschen der unterschiedlichsten Couleur, eine Zunahme ist bemerkbar. Mit vielen führen wir nur E-Mail-Kontakt. Zusätzlich notieren wir ein verstärktes Interesse öffentlicher Institutionen am Thema. Unser Bekanntheitsgrad steigt.“ Der von „Transgender Luxembourg“ betriebene „erste YouTube-Kanal für Transgenderinformation“ trägt sein Übriges dazu bei.
Trotz alledem sind transidente Menschen im öffentlichen Raum noch kaum sichtbar. Und wenn doch, sei es meist das „schreiende Visuelle“, das überwiege, sagt Karl. Langfristig sollen in Luxemburg viele und unterschiedliche Bilder entstehen, künftig will „Transgender Luxembourg“ auch aktiv Forschung im Sinne von Transidenten betreiben.
„Der politische Anspruch ist hoch, der Raum für Performativität ist größer geworden“, meint Karl, und er weiß, dass dies vor allem sein Verdienst und das seiner Kolleg(inn)en ist.

KONTAKT

o TransgenderLuxembourg (TGL)
E-Mail: [email protected]
Tel.: (+352) 621 69 66 54
www.gay.lu

o YouTube www.youtube.com/transgenderchannel