Das Tageblatt hat sich mit dem sozialistischen Fraktionschef Lucien Lux darüber unterhalten, wo die LSAP steht bzw. wo sie hin will.
„T“: Schaut man sich die internationalen Proteste bzw. die allgemeine Stimmung in den westlichen Ländern an, könnte man meinen, dass der Zeitgeist ein linker ist.
Warum nutzt hierzulande nicht die LSAP die Gunst der Stunde und schlägt einen radikaleren Ton gegen das bestehende System, gegen die zunehmende sozialen Ungerechtigkeiten an?
Lucien Lux: „Tatsache ist, dass derzeit in Europa ein sehr großer Teil der Regierungen eine rechtsliberale Ausrichtung hat. Der Zeitgeist scheint also eher ein rechter zu sein.
Zudem haben in verschiedenen Ländern von Gewerkschaften geführte Radikalkämpfe nicht viel bewegt. Ich denke da an eine Rentenreform in Frankreich, an Sparmaßnahmen in Großbritannien, in Italien und möglicherweise wird dies jetzt auch in Belgien unter einer sozialistischen Regierungsführung der Fall sein.
Für mich ist links heute der, der es fertig bringt, in Zeiten der Umwälzung, in denen wir uns befinden, in Zeiten einer Schuldenkrise, einer Vertrauenskrise den Sozialstaat zu stärken. An dieser Vorgabe und an den linken Werten Solidarität, Gerechtigkeit und Toleranz messe ich täglich unsere politische Arbeit. Wenn ich das tue, komme ich nicht an der Feststellung vorbei, dass wir dabei sind, den Sozialstaat zu stärken.“
Kritiker werfen der LSAP aber genau das Gegenteil vor, nämlich dass die LSAP sich selbst am Sozialabbau beteilige …
„Luxemburg hat ein sehr gerechtes Steuersystem. 45 Prozent der Haushalte zahlen keine Steuern. Der Großteil der direkten Steuern stammt von 3 bis 5 Prozent aller Steuerzahler. Gerecht oder ungerecht? Bei den Familienleistungen auf allen Ebenen gibt es kein Land, das so großzügig ist wie Luxemburg. Gerecht oder ungerecht? Ist das sozial oder unsozial? Der Mindestlohn wird hierzulande zum 1. Januar angehoben werden, Mainstream in Europa ist aber den Mindestlohn abzubauen. Sozial oder unsozial?
Stichwort Renten: Unser System, ein System, das von den Rechtsparteien schon tausendmal zum Tod verurteilt wurde, sind wir dabei zu stärken, nicht abzubauen.
Der Index ist trotz allen Attacken bis 2014 mit vollem Warenkorb intakt. In Luxemburg stärkt die Regierung derzeit mittel- und langfristig den Sozialstaat. Und das ist eine linke Politik. Wenn man der LSAP dann im Tageblatt, in einem Leitartikel rät, sich ein Beispiel an den französischen Sozialisten zu nehmen, dann kann ich mich nur wundern. Ich war bei der Rede Hollandes auf dem Bourget dabei. Ich habe nicht gehört, dass der PS-Präsidentschaftskandidat eine Anhebung der Löhne um 2,5 Prozent angekündigt hätte.
Und wenn ein Leitartikler der LSAP rät, sich für einen starken Staat einzusetzen, kann ich nur sagen, dass wir das getan haben. Auch während der Krise wurden mehr Personen eingestellt als in Rente gingen.
Gleichzeitig haben wir die Löhne hochgehalten, um die Kaufkraft zu erhalten. Gleiches gilt für die Investitionen. In Bezug auf all diese Parameter sage ich: unsere Politik ist die einer Stärkung des Sozialstaates. Und das ist eine linke, eine sozialdemokratische Politik. Eine Politik, die nicht Mainstream in Europa ist. Der Diskurs eines Luc Friedens ist liberaler Mainstream, der übrigens hierzulande von Blau und Grün unterstützt wird. Interessante Schattierungen, wie ich finde.“
Es ist aber Fakt, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, zu den sozial Schwächsten, die auf eine gewisse Hilfe staatlicherseits zählen können, gesellen sich immer mehr Haushalte aus der Mittelschicht. Diese haben vielleicht Arbeit, dennoch kommen sie nur knapp über die Runden. Für diese Menschen ist jeder soziale Einschnitt (zum Beispiel auch die von der LSAP mitgetragene Desindexierung von Familienzulagen, die zeitliche Indexverschiebung …) dramatisch. Was sagen Sie dazu?
„Ich darf daran erinnern, dass wir den Kinderbonus eingeführt und massiv in die Betreuungsstrukturen für Kinder investiert haben. Davon profitieren vor allem sozial schwache Familien.
Gleichzeitig haben wir zugegebenermaßen ein Problem mit der Arbeitslosigkeit, die es in den Griff zu bekommen gilt.
Ein riesiges Problem in Luxemburg heißt ’Logement’. Die Mieten sind zu hoch, Bauen ist zu teuer. Es ist dieses Problem, das viele Familien in die finanzielle Enge treibt. Hier müsste es zu einem Big Bang bei den Prozeduren, vor allem im Innenministerium, kommen, um das, was jahrelang versäumt wurde, aufzuholen.“
Mit dem Warten auf ein Big Bang ist aber niemandem geholfen …
„Das stimmt. Wir haben aber einiges getan, um die Schwächsten zu entlasten. Neben den diversen Transferleistungen haben wir die Krisensteuer auf den Mindestlöhnen immunisiert. Diverse Studien raten uns auch, die Steuereinnahmen von den direkten Steuern auf den Konsum umzuleiten. Sprich die Mehrwertsteuer anzuheben. Dagegen werden wir uns aber wehren.
Gleichzeitig haben wir den Spitzensteuersatz und die Solidaritätssteuer erhöht, wir haben eine Steuer auf den Finanzgesellschaften eingeführt. Das ist linke Politik. Linke Politik indes ist nicht im Alleingang eine Finanztransaktionssteuer einzuführen und durch eine linke ’Träumerei’ Tausende von Jobs dadurch aufs Spiel zu setzen.“
Inwiefern profitiert die LSAP davon, dass CSVPremier Juncker viel sozialer ist als die meisten anderen aus seiner politischen Familie?
„So langsam finde ich mich damit ab, dass im Tageblatt niemand glaubt, dass, wenn etwas Positives erreicht wird, die LSAP hierfür verantwortlich sein könnte.“
Das sagen Sie …
„Damit muss ich leben. Genauso damit, dass all unsere Anstrengungen, den Index gegen alle Angriffe zu verteidigen und die Lösung herbeizuführen, die wir jetzt haben, wenn überhaupt, dann nur ein sehr leises Dankeschön vonseiten der Gewerkschaften zu vernehmen war.“
Sehen wir’s vielleicht mal andersrum, positiv. Könnte es nicht so sein, dass die der LSAP entgegengebrachte Kritik ein Ausdruck davon ist, dass einige Personen hohe Erwartungen in die LSAP haben, die bislang nicht oder nicht ganz erfüllt wurden?
„Bislang habe ich dies in der Tat immer so, quasi als Kompliment gesehen. Seit einiger Zeit hat sich der Diskurs einiger Gewerkschafter aber dahingehend geändert, dass die Auseinandersetzungen mit der LSAP dieser schaden. Sicherlich kann man Diskussionen führen, ich bin aber der Meinung, dass man einer LSAP mit ihren eigenständig getroffenen Entscheidungen auch ein Minimum an Respekt entgegenbringen muss.“
Einige Kritiker trauen der vermeintlichen Ruhe vielleicht auch nicht. Vielleicht fragen Sie sich einfach, was der Preis für Ihre, wie Sie sagen, linke Politik ist? Welche Zugeständnisse haben Sie denn für z.B. die „Rettung des Index“ gemacht?
„Von was sprechen Sie? Welchen Preis? Es gab keinen Handel, keine Zugeständnisse. Wir haben als LSAP innerhalb der Koalition unsere Position klar gemacht und eine ganz klare Linie gezogen, bis wohin man maximal mit uns gehen kann.“
Mit Verlaub: So dick kann die von Ihnen gezogene Linie nicht gewesen sein, wenn ein Luc Frieden sich hinstellt und öffentlich fast das ganze Luxemburger Modell infrage stellt?
„Lassen Sie uns doch einfach das sehen, was getan wird oder getan wurde und nicht das, was geredet wird. Vielleicht will ein Luc Frieden den Mindestlohn kürzen oder abschaffen. Fakt ist, dass der Mindestlohn, wie bereits erwähnt, angehoben werden wird. Luc Frieden will vielleicht eine andere Rentenreform, ein System, das verstärkt auf private Zusatzversicherungen setzt. Fakt ist, dass wir an unserem System festhalten. Vielleicht will ein Luc Frieden auch den Index abschaffen: Fakt ist, dass das Index-System abgesichert wurde.“
Könnte man also Ihre Politik als sozialistische Realpolitik bezeichnen?
„Wir wollen – ich wiederhole mich – im Rahmen der sozialen Werte, im Rahmen einer Stärkung des Sozialstaates Luxemburg überlebensfähig für die Zukunft machen. Strukturkonservatismus hilft uns da nicht weiter.“
Haben Sie Angst vor einer Post-Juncker-Ära?
„Erst einmal glaube ich, dass die Aussagen zeigen, dass die Ich-AG Luc Frieden den Abgang Junckers nicht erwarten kann. Angst und bange kann einem dann werden, wenn ich Frieden aus Katar sagen höre, Betriebe seien keine sozialen Einrichtungen. Dies treibt uns in die Zeit vor Bismarck zurück. Ich bin aber der Überzeugung, dass nach dem Abschied von Juncker die Karten neu gemischt werden. Innerhalb der CSV, aber auch sonst. Und ich bin optimistisch, dass sich die Menschen dann für das Original entscheiden werden. Und das ist die LSAP.“
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