Wenn die DDR im Altersheim weiterlebt

Wenn die DDR im Altersheim weiterlebt
(AFP/Tobias Schwarz)

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In Deutschland will ein Dresdner Heim Demenzkranke mit DDR-Erinnerungen aus der Lethargie holen

Die weißhaarige Frau im Sessel hat noch lebhafte Erinnerungen an den DDR-Staats- und Regierungschef Erich Honecker, ist aber nicht immer sicher, wer Angela Merkel ist. Die 88-jährige Margit Hikisch lebt im Alexa-Pflegeheim in Dresden, das mit einem ganz besonderen Projekt Schlagzeilen macht. Die Einrichtung hat die DDR als Kapitel der deutschen Geschichte praktisch teilweise reaktiviert, um demenzkranken Menschen zu helfen.

Die private Einrichtung hat eine Art Erinnerungsräume geschaffen im Stil der DDR der 60er und 70er Jahre, einschließlich Mahlzeiten und Musik. Das soll den dementen Heimbewohnern helfen, alte Erinnerungen wiederzubeleben und damit auch die Selbstwahrnehmung der Menschen fördern. Hikisch überlebte die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs in Dresden und arbeitete in der DDR als Bankangestellte.

Alles wie früher

„Es waren harte Zeiten nach dem Krieg“, sagt die 88-Jährige. Die Menschen mussten viel arbeiten. In der DDR sei es dann „nach und nach besser“ geworden. „Wir hatten wieder zu essen und zu trinken“, berichtet die Seniorin, die sich wie viele Ältere besser an lange Zurückliegendes erinnern kann als an aktuelle Ereignisse. In dem DDR-mäßig ausstaffierten Heim fühlt sie sich zu Hause.

Die Erinnerungsräume, die es seit Januar 2016 gibt, sind an jedem Werktag vom Frühstück bis zum Abendessen geöffnet. Es gibt unter anderem eine Miniaturausgabe eines ostdeutschen Intershops, wo DDR-Bürger einst für harte Westmark einkaufen konnten, und natürlich ein Bild von Honecker, wie es früher in jedem offiziellen Raum hing. Von einem Plattenspieler dudeln alte Popsongs aus der damaligen Zeit.

Ein „Schlüssel“ für die Betreuung

„Wir haben gemerkt, dass Gegenstände aus einer gewissen Zeitepoche sehr starke Emotionen gerade bei den demenzkranken Bewohnern auslösen“, sagt Gunter Wolfram, Leiter des Pflegeheims. „Die Leute kommen aus ihrer Lethargie heraus.“ Durch die Erinnerungen kämen längst verloren geglaubte Fähigkeiten zurück. Bewohner seien wieder in der Lage, ihr Frühstück vorzubereiten, sie gingen eigenständig auf die Toilette und seien wesentlich offener und freundlicher, berichtet der 48-Jährige.

Diese Gefühle könnten „ein Schlüssel“ für die Betreuung der Demenzkranken sein. Das Projekt in dem sächsischen Heim erinnert an den Kassenschlager „Good Bye, Lenin!“ von 2003 über einen jungen Mann, der für seine kranke Mutter nach dem Mauerfall die DDR-Vergangenheit am Leben hält. Auch Wolfram kam bei der Planung einer Filmveranstaltung die Idee, ein bisschen ostalgisches Flair zu schaffen.

Er besorgte einen alten DDR-Motorroller – und plötzlich konnten sich viele demenzkranke Heimbewohner an diesen Roller erinnern. „Sie wussten, wo Gas, Bremse und Zündschloss sind, und erinnerten sich, wie sie ihre erste Freundin damit ausgefahren haben“, erzählt Wolfram.

„Froh dass es die DDR nicht mehr gibt“

Der Forscher Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie an der Universität Heidelberg, warnt indes vor möglichen negativen Folgen. „Demenzkranke Menschen sind sehr verletztlich und können sich gegenüber aufsteigenden Erinnerungen so gut wie gar nicht wehren“, sagt der Experte.

Für Menschen, die in einem System gelebt hätten, „das für sie freiheitseinschränkend gewesen ist, kann eine derartige Interventionsmethode hoch problematisch sein“ und negative Gefühle auslösen. Wolfram indes beteuert, dass es bei dem Dresdner Projekt nicht um die politische Dimension, um die politische Rolle der DDR gehe. „Wir sind alle heilfroh, dass es die DDR nicht mehr gibt.“