Die Ukraine ist im Krieg gegen Russland in die Defensive geraten – und deshalb hält nicht nur die rot-grüne Minderheitsregierung eine zusätzliche deutsche Militärhilfe von drei Milliarden Euro im laufenden Jahr für nötig. Auch Union und FDP signalisieren grundsätzlich Zustimmung. Nun könnte alles sehr schnell gehen und die Ukraine-Hilfe noch vor der Bundestagswahl beschlossen werden. Uneinigkeit gibt es zwischen der Kanzlerpartei SPD einerseits und Union, FDP und Grünen andererseits allerdings über die Finanzierung. Genau an dieser Frage war die Ampel im November zerbrochen, weshalb das Thema zusätzliche Brisanz im Wahlkampf gewinnt.
Wie kam die Debatte auf? Als Erste hatte vergangene Woche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vor der Verringerung deutscher Ukraine-Hilfen gewarnt. Nach dem Ampel-Aus konnte ein neuer Bundeshaushalt für 2025 nicht mehr beschlossen werden. Der Bund wirtschaftet nach den Regeln der vorläufigen Haushaltsführung, die sich an der bisherigen Regierungsplanung orientiert. Demnach stellt der Bund der Ukraine im laufenden Jahr nur noch vier Milliarden Euro zur Verfügung, drei Milliarden Euro weniger als im Vorjahr. Die Ukraine ist aber auf deutsche Militärhilfe in der bisherigen Höhe angewiesen, will sie Russland weiter die Stirn bieten. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte Kiew bei einem Besuch am Mittwoch jedoch noch keine konkrete weitere Hilfe zusagen können.
Union, Grüne und FDP wollen Hilfe zustimmen
Was will der Kanzler? Olaf Scholz hatte Baerbocks Anliegen mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass er nicht bereit sei, an anderer Stelle zu sparen, um die zusätzlichen drei Milliarden Euro für die Ukraine zu finanzieren. Zwischen Baerbock und Scholz herrscht deshalb Funkstille: Am Donnerstag macht ein Foto die Runde, das Scholz und Baerbock im Kabinett am Mittwoch zeigt. Scholz streckt den Arm Richtung Baerbock aus, doch die lässt den Kanzler stehen. Der Kanzler erntete für seine Reaktion auf Baerbock selbst in den eigenen Reihen Kritik, weil ihm unterstellt werden konnte, die Ukraine-Hilfe sei ihm nicht wichtig genug. Pistorius und andere SPD-Spitzenpolitiker wiesen das scharf zurück: Es gebe in der Frage keine Blockade des Kanzleramts. Scholz bekräftigte jedoch in einem RTL-Interview am Mittwoch, er werde zusätzlichen Waffenlieferungen nur zustimmen, wenn sie über das Aussetzen der Schuldenbremse finanziert würden, „weil sonst das Geld nicht da ist“.
Was wollen Union, FDP und Grüne? Alle drei Parteien sind grundsätzlich bereit, der zusätzlichen Hilfe noch vor der Wahl zuzustimmen. Sie widersprechen Scholz und der SPD in der Finanzierungsfrage: Das Geld müsse und könne im Jahresverlauf 2025 an anderer Stelle eingespart werden. „Die FDP hat immer Hilfen unterstützt und das tun wir auch jetzt. Der Bundestag kann das einfach mit großer Mehrheit beschließen“, sagte FDP-Chef Christian Lindner dem Tageblatt. „Die Scholz-SPD will das nur in unwürdiger Weise mit anderen Fragen vermischen. Das war schon beim Ampel-Aus so“, betonte der ehemalige Finanzminister. Auch die Unionsfraktion will die Hilfe absegnen.
„Bei diesem Drei-Milliarden-Paket geht es insbesondere um die Stärkung der ukrainischen Luftabwehr. Das heißt, es geht um den Schutz von Wohnvierteln, Krankenhäusern und Schulen vor russischen Raketen- und Drohnenangriffen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei. Die Ukraine-Hilfen sollten aber nicht über neue Schulden finanziert werden. „Ein Grund, die Schuldenbremse aufzugeben, ergibt sich in keiner Weise“, betonte Frei. Trotz Schuldenbremse könne der Bund auch in diesem Jahr etwa 50 Milliarden Euro an weiteren Schulden aufnehmen. Die Grünen sehen das ebenso.
Wer trägt Verantwortung für den Koalitionsbruch?
Auf welcher rechtlichen Grundlage könnte der Bundestag die Hilfe kurzfristig beschließen? Auch ohne Bundeshaushalt kann der Haushaltsausschuss eine außer- oder überplanmäßige Ausgabe beschließen. Sie wäre nach Artikel 112 des Grundgesetzes aber nur unter einer Bedingung möglich: „Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden.“ Ein Beispiel für eine solche Ausgabe waren 2013 Soforthilfen für Flutopfer im Ahrtal. Pistorius könnte die Militärhilfe mit dem unabweisbaren Bedürfnis der Ukraine begründen, Finanzminister Jörg Kukies (SPD) daraufhin den Antrag auf eine außerplanmäßige Ausgabe dem Haushaltsausschuss vorlegen. Er könnte die Hilfe bereits kommende Woche in einer Sondersitzung billigen – vorausgesetzt, die Parteien haben sich bis dahin über die Finanzierung geeinigt. Scholz steht stark unter Druck.
Warum hat das Thema Brisanz? Scholz hatte den früheren Finanzminister Lindner am 6. November entlassen, weil dieser nicht bereit gewesen ist, für zusätzliche drei Milliarden Euro an die Ukraine die Schuldenbremse auszusetzen. Nach Auffassung der SPD stellt der fortgesetzte Ukraine-Krieg eine außergewöhnliche Notlage dar, die das Aussetzen verfassungsrechtlich begründet hätte. Lindner sah das anders. Die Auseinandersetzung darüber, wer hier Recht hat und wer am Ende tatsächlich die Verantwortung für den Koalitionsbruch trägt, dürfte bis zur Wahl am 23. Februar mit unveränderter Härte geführt werden.
De Maart
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