KaukasusTausende flüchten aus Bergkarabach nach Armenien

Kaukasus / Tausende flüchten aus Bergkarabach nach Armenien
Flüchtlinge warten vor einem Registrierungszentrum des Roten Kreuzes in Goris Foto: AFP/Alain Jocard

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Tausende Flüchtlinge aus der umkämpften Region Bergkarabach sind nach der Niederlage der pro-armenischen Kräfte gegen Aserbaidschan in Armenien angekommen. Insgesamt fast 5.000 Flüchtlinge seien bisher in Armenien eingetroffen, gab die Regierung in Eriwan am Montag bekannt.

Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew sicherte den armenischen Bewohnern von Bergkarabach bei einem Treffen mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan in der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan die „Garantie“ ihrer Rechte zu. Russland warf Eriwan seinerseits vor, mit seiner jüngsten Hinwendung zum Westen einen „großen Fehler“ zu begehen.

Gegen Mittag seien bereits „4.850 zwangsvertriebene Menschen aus Bergkarabach nach Armenien eingereist“, teilte die armenische Regierung mit. AFP-Journalisten sahen Flüchtlingsgruppen in einem humanitären Hilfszentrum in einem Theatergebäude in der armenischen Stadt Goris, die sich dort für den Weitertransport und für Unterkünfte registrieren lassen wollten.

„Wir haben schreckliche Tage durchlebt“, sagte die 41-jährige Anabel Gulasjan aus dem Ort Rew, der in Aserbaidschan Schalwa genannt wird. Sie kam mit ihrer Familie in einem Kleinbus nach Goris, ihre Habseligkeiten in Taschen gepackt. Die 54-jährige Valentina Asrjan aus dem Dorf Wank konnte es nicht glauben, dass die Aserbaidschaner – die „Türken“, wie sie sagt – bis in ihr historisches armenisches Dorf vorgedrungen seien. „Ich weiß nicht, wohin“, sagte die Frau, die nun vorläufig in einem Hotel in Goris untergekommen ist.

Am Dienstag hatte Aserbaidschan eine großangelegte Militäroffensive in Bergkarabach gestartet. Bereits einen Tag später mussten die pro-armenischen Kämpfer von Bergkarabach eine Waffenstillstandsvereinbarung akzeptieren. Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Aserbaidschan und Armenien kämpfen seit Jahren um das Gebiet.

Enttäuscht von russischer Schutzmacht

Vor dem Hintergrund der erfolgreichen Militäroffensive Aserbaidschans kamen der aserbaidschanische Präsident Alijew und der türkische Staatschef Erdogan in der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan zusammen. Die Bewohner von Bergkarabach seien „unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit Bürger Aserbaidschans“, sagte Alijew bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Ihre Rechte würden vom aserbaidschanischen Staat „garantiert“.

Im Zentrum der Gespräche sollten nach Angaben des türkischen Präsidialamts die „neuesten Entwicklungen“ in der Kaukasus-Region stehen. Zudem wollten beide auch eine neue Gaspipeline und einen aserbaidschanischen Militärkomplex einweihen. Die Türkei ist schon lange ein Unterstützer von Aserbaidschan.

Russland wiederum galt lange als Schutzmacht Armeniens, doch ließen die um Bergkarabach stationierten russischen Einheiten die Aserbaidschaner zuletzt gewähren. Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan machte Moskau deshalb bittere Vorwürfe. Dies wies der Kreml am Montag zurück: „Wir weisen Versuche kategorisch zurück, eine Verantwortung der russischen Seite und den russischen Friedenstruppen (in Bergkarabach) zuzuweisen“, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. „Armenien bleibt unser Verbündeter.“

Später warf Moskau Eriwan vor, die traditionellen Verbindungen mit Russland kappen zu wollen. „Die Führung in Eriwan begeht einen großen Fehler, indem sie absichtlich versucht, die vielfältigen und jahrhundertealten Beziehungen Armeniens zu Russland zu zerstören und das Land in Geiselhaft für die geopolitischen Spiele des Westens zu nehmen“, erklärte das russische Außenministerium.

Schicksal von Armeniern ungewiss

Der armenische Regierungschef war zuvor auf Distanz zu Russland gegangen. Die bisherigen Allianzen Armeniens seien „ineffektiv“ und „unzureichend“, sagte Paschinjan. Er bezog sich dabei auf die von Russland dominierte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, in der auch Armenien Mitglied ist. Armenien hatte auf die Unterstützung des Militärbündnisses gehofft.

Armenien wirft Aserbaidschan nun vor, eine ethnische Säuberung in Bergkarabach zu planen. Laut staatlichen aserbaidschanischen Medien unterstrich Baku bei weiteren Friedensgesprächen mit pro-armenischen Kräften zwar seinen Wunsch nach „Eingliederung“ der rund 120.000 armenischen Bewohner Bergkarabachs. Doch international ist die Sorge um deren Schicksal groß.

Auf Initiative der EU kommen daher am Dienstag Vertreter Armeniens und Aserbaidschans in Brüssel zusammen. Laut einer Sprecherin von EU-Ratspräsident Charles Michel soll dessen diplomatischer Berater Simon Mordue die Gespräche leiten. Die ebenfalls anwesenden EU-Schwergewichte Frankreich und Deutschland werden jeweils von ihren nationalen Sicherheitsberatern vertreten. (AFP)