Norwegens konservative Ministerpräsidentin Erna Solberg gilt als fachlich präzise, nüchterne Politikerin, in TV-Duellen setzt sie auf detaillierte Erklärungen statt auf populistische Töne. Solberg wird von vielen Wählern wegen ihrer Besonnenheit geschätzt – und doch könnte nun Schluss sein mit der Regierungszeit, wenn in Oslo die Ära Solberg durch einen Wahlerfolg der Mitte-links-Parteien nach acht Jahren ein Ende finden sollte.
Das siegesgewisse Lächeln und das Victory-Zeichen, mit dem Solberg auf einem Flyer ihrer konservativen Partei Høyre dargestellt wird, können nicht über die Umfragen hinwegtäuschen: Obwohl die Solberg-Regierung ihr Land vergleichsweise gut durch die Corona-Krise gebracht und auch sonst kaum Fehler gemacht hat, spricht vor der Parlamentswahl am Montag alles für einen Regierungswechsel. Nach zwei Amtszeiten unter der Konservativen halten es Experten für sehr wahrscheinlich, dass Norwegen ebenso wie heute schon dessen nordische Partner Dänemark, Schweden und Finnland bald wieder federführend von den Sozialdemokraten regiert wird.
„Die Chancen für einen Regierungswechsel sind sehr hoch“, sagt der Wahlforscher Bernt Aardal am Institut für Gesellschaftsforschung in Oslo. Es liege in der Natur des demokratischen Systems, dass sich die Bevölkerung in Norwegen nach einigen Jahren einen Wechsel wünsche und sich die amtierende Regierung etwas abgenutzt habe – ungeachtet der Tatsache, dass es eigentlich ziemlich gut läuft im Land.
Die wohlhabende Öl-Nation mit ihren rund 5,4 Millionen Einwohnern ist jüngst in einem Länder-Ranking der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg für das erfolgreiche Krisenmanagement in der Pandemie auf Platz eins gelandet. Die Regierung hatte im Frühjahr 2020 als eine der ersten strikte Maßnahmen erlassen und die Grenzen dicht gemacht. Solberg hatte das Vorgehen Aufwind in den Meinungsumfragen verschafft – allerdings nicht ausreichend, um bis zur Wahl zu überdauern.
Stattdessen deutet seit Monaten alles darauf hin, dass der Chef der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Jonas Gahr Støre, nächster Regierungschef wird. Seine Partei ist in den Umfragen die klar stärkste Mitte-links-Kraft. „Wenn diese Seite eine Mehrheit bekommt, ist es im Grunde die einzige Möglichkeit, dass die Arbeiterpartei den Posten des Ministerpräsidenten erhält“, sagt der Wahlforscher Johannes Bergh. Es dürfte somit eine stabile Mehrheit für ein Mitte-links-Bündnis geben – die Frage ist nur, wie dieses Bündnis nach der Wahl konkret aussehen wird.
Der 61 Jahre alte ehemalige Außenminister Støre ist bei der vergangenen Norwegen-Wahl 2017 noch knapp an Solberg gescheitert, obwohl seine Partei stärkste Kraft geworden war. Solberg konnte damals jedoch auf die stärkeren Koalitionspartner setzen. Dass dies nun anders sein dürfte, hat teils auch mit dem wichtigsten Wahlkampfthema zu tun: der Klima- und Umweltschutz – und damit verbunden auch die Zukunft der norwegischen Ölförderung.
Wie der Weltklimarat Oslo auf den Kopf stellte
Vorübergehend sah es in den Umfragen so aus, als könnten Støres Sozialdemokraten und Solbergs Konservative starke Konkurrenz durch die Zentrumspartei erhalten. Die firmierte einst als Bauernpartei, sieht sich selbst als Kämpferin für die Belange der Landbevölkerung und profitierte vom alten Stadt-Land-Konflikt im Flächenland Norwegen. Dann aber kam im August der neue Bericht des Weltklimarates IPCC heraus – und das Klima-Thema überdeckte alles.
Die Zentrumspartei konnte daraufhin nicht mehr länger mit der Kritik an einer wahrgenommenen Zentralisierung in Oslo punkten. Stattdessen erhielten kleinere Parteien mit klarem Klima- und Umweltfokus Zulauf, darunter die sozialistische Linkspartei, die sozialliberale Venstre, die Grünen und die linke Partei Rot. Während diese vier Parteien um grüne Stimmen kämpften, stehe Støres Arbeiterpartei vor dem Dilemma, nicht als grün genug betrachtet zu werden, sagt Aardal. Er und seine Kollegen vermuten, dass diese Parteien für ihre Unterstützung ordentliche Zugeständnisse von Støre einfordern werden – auch wenn sich viele mögliche Koalitionspartner untereinander uneins sind.
Die Sozialdemokraten stehen somit vor dem vielleicht schlechtesten Wahlergebnis seit knapp 100 Jahren – und könnten dennoch den Posten des Regierungschefs erhalten. Die Chancen für ein Bündnis aus Sozialdemokraten, Zentrumspartei und sozialistischer Linken schätzt der Wahlanalyst Jørgen Bølstad von der Universität Oslo auf mehr als 60 Prozent. Auch eine sozialdemokratische Minderheitsregierung schließt er nicht aus.
Er habe das Gefühl, dass der Wind gut stehe für seine Partei, sagte Støre im Wahlkampfendspurt der Nachrichtenagentur NTB. Viele Wähler hatten sich da schon längst entschieden: Knapp 1,65 Millionen Norwegerinnen und Norweger haben bereits vorzeitig gewählt – mehr als 42 Prozent aller Wahlberechtigten. In vielen Wahllokalen war die Stimmabgabe zudem auch schon am Sonntag möglich.
Und Solberg? Für sie scheint nach acht Jahren vorerst Schluss zu sein mit der Regierungszeit. Ihre Chancen auf eine Parlamentsmehrheit bemisst Bølstad auf weniger als ein Prozent. (dpa)
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