UkraineRussen kündigen Teilrückzug an, aber Gefechte halten an

Ukraine / Russen kündigen Teilrückzug an, aber Gefechte halten an
In Kiew werden die Monumente mit Sandsäcken geschützt Foto: AFP/Sergej SupinskyAFP

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Nach mehr als einem Monat Widerstand gegen Russlands Invasion kann die Ukraine einen ersten großen Erfolg verbuchen. Die russische Armee zieht sich aus den Gebieten um Kiew und Tschernihiw ein Stück weit zurück. Ist das der Anfang vom Ende des Krieges?

Die Hoffnungen von Kremlchef Wladimir Putin auf eine Kapitulation der Ukraine haben sich in den nun fast fünf Wochen blutigem Angriffskrieg zerschlagen. Im feinen Anzug, nicht in Militäruniform, liest in Istanbul sein Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin kleinlaut vor: Russland reduziere seine „militärischen Aktivitäten“ im Norden um die Hauptstadt Kiew und die Großstadt Tschernihiw deutlich. Der Offizier spricht von einem Schritt, der Vertrauen bilden soll in den Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew für ein Ende des Krieges. Die Ukraine sieht sich in ihrem hartnäckigen Widerstand bestärkt.

Zwar betonen der 69-jährige Putin und prominente Vertreter seines Machtapparats immer wieder, dass alles nach Plan laufe bei der „militärischen Spezial-Operation“. Aber in Sicht sind die von Putin ausgegebenen Ziele bisher nicht. Deshalb geht der Krieg, der in Russland so nicht genannt werden darf, auch nach den neuerlichen Verhandlungen in der Türkei weiter.

Postionen liegen weiter auseinander

Als Grund für ihr Einlenken zumindest in zwei der vielen umkämpften Regionen nennen die Russen ein Angebot der Ukrainer. Demnach ist Kiew bereit, unter Gewährung von Sicherheitsgarantien einen Vertrag über einen neutralen, block- und atomwaffenfreien Status der Ukraine zu schließen. Diese harten Garantien soll es von den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats wie den USA, Frankreich, Großbritannien, China oder Russland nach dem Vorbild der NATO-Militärallianz geben.

Beisetzung eines gefallenen ukrainischen Soldaten in Lwiw
Beisetzung eines gefallenen ukrainischen Soldaten in Lwiw Foto: AFP/ Yuriy Dyachyshyn

Allerdings solle sich diese Garantie nicht auf die von Russland schon lange einverleibte Schwarzmeer-Halbinsel Krim mit der strategisch wichtigen Stadt Sewastopol oder die abtrünnigen Gebiete Luhansk und Donezk beziehen, betont Putins Verhandlungsführer Wladimir Medinski. „Das heißt, dass die Ukraine auf ihr Streben verzichtet, sich die Krim und Sewastopol mit militärischen Mitteln zurückzuholen“, sagt Medinski in Istanbul. Das sei zwar nicht die russische Position, räumt er ein. „Aber die Ukraine hat ihren Ansatz formuliert.“

Russland hat stets einen Verzicht der Ukraine auf diese Gebiete gefordert. Aber so werde das jetzt Präsident Putin vorgelegt. Der Kremlchef stört sich seit langem daran, dass die Ukraine der NATO beitreten und sich dann die Krim mit deren militärischer Hilfe zurückholen könnte.

„Die Möglichkeit, einen Frieden zu schließen, ist näher gerückt“, meint Medinski. Der Vertrag müsse nun vorbereitet, dann von den Verhandlungsteams bestätigt und anschließend von den Außenministern begutachtet werden. Erst dann komme ein Treffen von Putin mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zur Unterzeichnung des Dokuments in Betracht. Klar ist aber auch nach diesen Verhandlungen, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist.

Nur taktisches Manöver?

Das US-Verteidigungsministerium sieht die russische Ankündigung, die Kampfhandlungen im Norden der Ukraine deutlich zu drosseln, als taktisches Manöver und warnt vor einer neuen Militäroffensive in anderen Landesteilen. Man dürfe sich trotz der russischen Erklärung „nichts vormachen“, sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby, am Dienstag. Es sei bislang nur zu beobachten, dass sich „eine sehr kleine Zahl“ russischer Truppen nördlich von Kiew von der Hauptstadt wegbewege. „Wir sind nicht bereit, die russische Begründung zu glauben, dass es ein Abzug ist“, sagte er. (AFP)

Nach gut einem Monat Krieg treten die ukrainischen Unterhändler mit den Erfolgen an der Front immer selbstbewusster auf. Es gebe „keinerlei Kompromisse“ bei den russischen Gebietsforderungen, sagt Kiews Verhandlungsführer David Arachamija, Fraktionschef der Präsidentenpartei im Parlament. Und auch das Zugeständnis bei einem möglichen neutralen Status der Ukraine knüpft er an die Zustimmung der Bevölkerung bei einem Referendum. „Dafür muss Frieden herrschen.“

Nach den Verhandlungen in Istanbul diktiert Arachamija die Bedingungen: „Wenn alle Seiten diese Position akzeptieren, dann werden die (russischen) Streitkräfte abgezogen, die Menschen kehren zurück und dann wird es ein Referendum geben.“ Ob es unter diesen Umständen zu einem solchen Vertrag kommt, gilt als fraglich, weil die russische und die ukrainische Seite eine lange Geschichte haben, sich im Kleinklein von Verträgen zu verlieren.

Die Folgen von russischem Raketenbeschuss in der Stadt Mykolajiw
Die Folgen von russischem Raketenbeschuss in der Stadt Mykolajiw Foto: AFP/Bulent Kilic

In Moskau donnert auch die Kriegspartei, Russland könne sich unter keinen Umständen jemals eine Niederlage leisten – schon gar nicht gegen die in den Staatsmedien stets als unzuverlässig dargestellte Ukraine, der weiter jedes Existenzrecht abgesprochen wird. Die Ukraine müsse als Staat zerstört werden, fordert etwa der Propagandist Anton Krassowski.

Druck von der Propaganda-Front

Der Kriegskorrespondent der russischen Boulevardzeitung Komsomolskaja Prawda, Alexander Koz, warnt, die russischen Soldaten dürften nicht umsonst ihr Leben gelassen haben. Der Fernsehkorrespondent des russischen Ersten Kanals, Andrej Rudenko, meint: „Die Offensive jetzt zu stoppen bedeutet, Kiew erneut Zeit zu geben, noch mehr Kämpfer für einen neuen Krieg vorzubereiten.“

Dagegen betont auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Tag der Verhandlungen vor Offizieren in Moskau, dass die Militäroperation fortgesetzt werde, bis alle Ziele erreicht seien. Er spricht von Erfolgen bei der „Entmilitarisierung“ des Nachbarlandes, die ukrainische Marine existiere praktisch nicht mehr. Und auch die Luftwaffe des Nachbarlandes sei fast vollständig zerstört.

Und Schoigu sendet auch Warnungen an den Westen, unter keinen Umständen Kampfflugzeuge oder Luftabwehrsysteme zu schicken. Die Kämpfe sollten sich nun vor allem auf die Gebiete Luhansk und Donzek konzentrieren, bis diese völlig von den moskautreuen Separatisten und von der russischen Armee eingenommen sind. Unter Kontrolle hat Russland auch weite Teile der Schwarzmeer-Küste – etwa in der Region Cherson, wo ein Rückzug bisher weder angekündigt noch in Sicht ist. (dpa)