20. Oktober 2025 - 6.37 Uhr
Nach der ParlamentswahlMoldau will nach Europa – und ringt mit sich selbst

Dreimal, sagt Ion Luca, habe er an der Grenze zur Ukraine geweint. Der Winzer aus Moldau steht in seinem Weinladen in der Hauptstadt Chisinau und erinnert sich an früher. Als Russland vor dreieinhalb Jahren die Ukraine überfiel, bereiteten sich Lucas Frau und seine Kinder im benachbarten Moldau schon darauf vor, nach Rumänien zu fliehen. Er wiederum wollte helfen und fuhr mehrfach an die ukrainische Grenze. Dort traf er auf Männer in Uniform, die ihm ihre Frauen und Kinder übergaben. Ihm, einem wildfremden Mann. Dann sah er, wie sich Familien verabschiedeten und nicht wussten, ob sie sich eines Tages wiedersehen würden. Szenen, die ihn mehrere Male zu Tränen rührten. Eine der Familien habe er dann fast ein Jahr lang in seinem Weinladen in Chisinau untergebracht, erzählt Luca.
Russlands Krieg gegen die Ukraine hat auch das Nachbarland Moldau verändert. Von Chisinau bis zur ukrainischen Hafenstadt Odessa sind es nicht einmal 200 Kilometer. Hunderttausende Ukrainer flüchteten seit Kriegsbeginn in das kleine Nachbarland, das nur rund 2,4 Millionen Einwohner hat und halb so groß wie Bayern ist. Aber auch politisch hat Russlands Krieg im Nachbarland etwas verändert: Wenige Tage nach Putins Angriff auf die Ukraine beantragte Moldau die Mitgliedschaft in der EU.
Verantwortlich für den politischen Kurs der letzten Jahre in Moldau ist Präsidentin Maia Sandu. Sie will das Land in Richtung EU führen und ist mit dem Versprechen angetreten, die Gespräche über den Beitritt innerhalb der nächsten Jahre abzuschließen. Bis Ende des Jahrzehnts hofft das Land, Teil der EU zu sein. Den proeuropäischen Kräften im Land gelang erst vor drei Wochen ein wichtiger Zwischenerfolg: Die Regierungspartei Aktion und Solidarität (PAS) um die Präsidentin setzte sich bei den Parlamentswahlen durch. Beobachter sehen in Sandus Erfolg nicht nur ein Bekenntnis zur EU, sondern auch einen Rückschlag für Russland. Das hatte im Vorfeld der Wahlen viel Geld in Desinformationskampagnen gesteckt.
Doch längst nicht alle Menschen in Moldau befürworten den EU-freundlichen Kurs. Ein Referendum für einen proeuropäischen Kurs in der Verfassung ging im vergangenen Oktober nur hauchdünn zugunsten der EU aus. Das dürfte auch daran liegen, dass der Einfluss Russlands in Moldau schon heute groß ist – wie das Beispiel von Transnistrien zeigt.
Im sicherheitspolitischen Interesse des Landes
Das Gebiet im Osten des Landes gehört völkerrechtlich zu Moldau, hat sich vor mehr als 30 Jahren aber für unabhängig erklärt. Der von Moskau unterstützte Landstreifen hat mit Tiraspol eine eigene Hauptstadt, eine eigene Regierung und eine eigene Währung. Im Süden Moldaus gibt es mit Gagausien zudem eine Region, die als autonomes Gebiet Sonderrechte genießt. In beiden Regionen haben die meisten Menschen russlandfreundlich gewählt. Die Gebiete zeigen, wie hin- und hergerissen das Land zwischen einer Annäherung an die EU und Russland ist.
Ein EU-Beitritt liegt aus Sicht vieler Moldauer im sicherheitspolitischen Interesse des Landes. Jede Bombe im Nachbarland Ukraine zeige, dass der Weg nach Europa Frieden bringe, sagte Präsidentin Sandu, als Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, der polnischen Regierungschef Donald Tusk und der deutsche Kanzler Friedrich Merz im August Moldau besuchten. Neben sicherheitspolitischen Interessen dürften viele Menschen mit einem EU-Beitritt auch auf eine bessere wirtschaftliche Entwicklung hoffen. Nach dem russischen Überfall hatte das Land zeitweise mit Inflationsraten von mehr als 30 Prozent zu kämpfen. Derzeit stagniert die Wirtschaft – was auch an Russlands Krieg in der Ukraine liegt.
Denn früher, sagt Winzer Luca, habe er seine Flaschen über den ukrainischen Hafen in Odessa verschifft. Seit dem Krieg ist das nicht mehr möglich, was den Transport enorm verkompliziert und verteuert. Auch deshalb gehört Luca zu der Mehrheit der Bevölkerung, die Moldau gerne bald in der EU sehen würde. Er produziert Wein in vierter Generation und exportiert schon heute vier von fünf Flaschen ins Ausland. Nach politischen Verwerfungen vor einigen Jahren spielt Russland – anders als Anfang des Jahrtausends – für Winzer wie ihn keine Rolle mehr. Heute verkauft Ion Luca seinen Wein in mehreren europäischen Staaten. Ein EU-Beitritt würde es für ihn erleichtern, Geschäfte zu machen.

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