Donnerstag20. November 2025

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SpanienFranco spaltet 50 Jahre nach seinem Tod noch immer das Land

Spanien / Franco spaltet 50 Jahre nach seinem Tod noch immer das Land
Der spanische Diktator Francisco Franco (Bild aus den 60ern) spaltet noch heute das Land Foto: Agencia Torremocha/AFP

Vor dem historischen „Königlichem Postgebäude” an Madrids zentralem Platz Puerta del Sol drängen sich täglich Touristen und schießen Fotos. Doch kaum jemand der Stadtbesucher ahnt, dass dieser barocke Bau mit seiner berühmten Turmuhr einst das Herzstück des Unterdrückungsapparats der spanischen Franco-Diktatur war.

Das Gebäude beherbergte die Zentrale des Sicherheits- und Geheimdienstes. Dort wurden während der von 1939 bis 1975 bestehenden Diktatur unter General Francisco Franco unzählige Oppositionelle verhört und brutal gefoltert.

In diesen Tagen, nahezu 50 Jahre nach dem Fall des Regimes, wurde der Bau von Spaniens heutiger Regierung unter dem sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez zum „Ort der Erinnerung“ ernannt. Das Gebäude habe „eine zentrale Rolle bei der Repression“ gespielt und sei „Symbol für die Menschenrechtsverletzungen während des Franco-Regimes“, heißt es in der Begründung. Zeitzeugen berichten, dass nicht wenige Oppositionelle in den Kerkern der Geheimpolizei verschwanden und tot oder gar nicht mehr auftauchten.

Deswegen soll nun eine Gedenkplakette daran erinnern, was hinter diesen Mauern geschah. Doch die Umsetzung stößt auf Widerstand: Die konservative Präsidentin der Hauptstadtregion Madrid, Isabel Díaz Ayuso, deren Amtssitz heute in eben diesem Gebäude liegt, lehnt die Anbringung ab. Die Erinnerungstafel bezeichnet sie als Provokation und ein Aufreißen alter Wunden. Für Spaniens sozialdemokratischen Regierungschef Sánchez ist das Gedenkschild hingegen ein notwendiger Schritt der Aufarbeitung – damit die Verbrechen der Diktatur nicht in Vergessenheit geraten.

Kaum eine Szene zeigt so deutlich, wie tief Spanien 50 Jahre nach dem Tod des faschistischen Caudillo noch immer gespalten ist. Zugleich verweist sie darauf, dass der 20. November 1975, der Todestag Francos, zwar das Ende von fast vier Jahrzehnten autoritärer Herrschaft markierte, aber keine Versöhnung einleitete.

1977 erste freie Parlamentswahlen

Spanien erlebte nach 1975 keinen revolutionären Umsturz, wie es etwa 1974 in Portugal der Fall war. Stattdessen entschied man sich für einen vorsichtigen, ausgehandelten Übergang: den Pakt der „Transición“. Dabei spielte König Juan Carlos I., von Franco selbst als Nachfolger an der Staatsspitze bestimmt, zweifellos eine wichtige Rolle. Doch die Demokratisierung war nicht allein dem König zu verdanken. Auch Reformkräfte im alten Staatsapparat und die demokratische Opposition kämpften für die politischen Freiheiten.

Ein erster Durchbruch gelang 1977, als Spanien die ersten freien Parlamentswahlen seit dem Bürgerkrieg (1936-1939) abhielt – ein Meilenstein, der die bislang verbotenen Parteien legalisierte und eine demokratisch legitimierte Regierung hervorbrachte.

Gleichzeitig verabschiedete das neue Parlament das Amnestiegesetz. Es entließ politische Gefangene aus den Haftanstalten, garantierte Exilierten die Rückkehr und schuf die Grundlage für einen politischen Ausgleich, der den Übergang stabilisieren sollte. Doch das Gesetz hatte eine zweite, bis heute umstrittene Seite: Es schützte auch Täter des Franco-Systems vor Strafverfolgung – ein Preis, den die junge Demokratie für den Systemwechsel zahlte.

Der entscheidende Schritt folgte 1978, als eine breite Bevölkerungsmehrheit in einem Referendum der neuen demokratischen Verfassung Spaniens zustimmte. Sie garantierte Grundrechte, Gewaltenteilung und Regionalautonomien und bildet bis heute das Fundament des spanischen Staatsmodells.

Konservative stoppten Aufarbeitung der Vergangenheit

Damit schien der Übergang institutionell vollzogen, auch wenn die politische Wirklichkeit noch zerbrechlich blieb. Das zeigte sich 1981, als Teile der Sicherheitskräfte versuchten, den Wandel gewaltsam zurückzudrehen: Beim Putschversuch am 23. Februar 1981 stürmten bewaffnete Offiziere das Parlament. Erst eine entschiedene Fernsehansprache von König Juan Carlos, in der er sich klar auf die Seite der Verfassung stellte, beendete diesen Aufstand und brachte die Demokratie endgültig auf Kurs.

Trotz der Festigung der demokratischen Ordnung tat sich Spanien jedoch lange schwer mit seiner Vergangenheit. Grund dafür war der Pakt der Transition, der auf ein Totschweigen der Vergangenheit setzte. Erst nach mehreren Jahrzehnten begann man, wenn auch zögerlich, mit der Aufarbeitung. Im Jahr 2007 wagte die sozialdemokratische Regierung von José Luis Zapatero einen ersten Schritt und verabschiedete ein „Gesetz der historischen Erinnerung“.

Als 2011 die konservative Regierung von Mariano Rajoy an die Macht kam, stoppte die Aufarbeitung erneut – bis sie der heutige sozialdemokratische Premier Sánchez mit einem Paukenschlag wieder auf die Tagesordnung setzte: 2019 ließ Sánchez die Gebeine Francos aus dem monumentalen „Tal der Gefallenen“, das zum Pilgerort für Franco-Anhänger und Neonazis geworden war, auf einen schlichten Gemeindefriedhof umbetten – ein symbolischer Bruch mit der Vergangenheit.

Zudem setzt sich die Mitte-links-Regierung für die Öffnung von Massengräbern ein, in denen Franco Zehntausende von Regimegegnern verscharren ließ. Auch will Sánchez die Auflösung der Franco-Stiftung erzwingen, die den Diktator bis heute verherrlicht.

Zunehmende politische Polarisierung

Doch genau diese Initiativen werden von der konservativen Opposition scharf kritisiert. Die Volkspartei und die steil aufsteigende rechtspopulistische Bewegung Vox werfen Sánchez vor, den „Pakt der Transición” zu brechen. Ein Manifest konservativer Intellektueller wirft der Regierung gar vor, mit der Aufarbeitung der Vergangenheit eine „bürgerkriegsähnliche Spaltung“ der Gesellschaft zu betreiben.

Die zunehmende politische Polarisierung in Spanien geht dabei mit einer beunruhigenden gesellschaftlichen Entwicklung einher: Eine aktuelle Umfrage besagt, dass 26 Prozent der jungen spanischen Männer ein autoritäres System nicht grundsätzlich für schlechter halten als eine Demokratie.

Trotz dieser Sorgen steht das Land demokratisch auf festem Fundament: Fünf Jahrzehnte nach dem Tod des Diktators ist Spanien heute eine stabile parlamentarische Demokratie, eingebettet in die EU und mit lebendigem politischen Pluralismus. Doch gerade in einer gefestigten Demokratie zeigt sich politische Reife auch daran, wie ein Land mit seinen Schatten umgeht.

Der Streit um die Gedenkplakette an Madrids historischem Postamt zeigt exemplarisch, worum es dabei geht: nicht um das Wiederaufreißen alter Wunden, sondern um die Anerkennung, dass sie nie wirklich geschlossen wurden. Die Aufarbeitung des Franco-Regimes und seiner Verbrechen ist in diesem Sinne eine demokratische Pflicht – damit sich nicht wiederholen kann, was einmal möglich war.